Was bleibt: Warum die Zeiten durchgestylter Großveranstaltungen vorbei sind
Unter den Bedingungen der Globalisierung und einer räumlichen Entankerung kommt dem Regionalen heute die Aufgabe einer gesellschaftlichen Stabilisierung zu.
Beim Trend zur Regionalität geht es daher um Zukunftsstrategien, um Nachhaltigkeit und um die Lebensqualität vor Ort. Regionale Produkte und Wirtschaftskreisläufe sind der Schlüssel dazu. Die eigene Region zu stärken, bringt den Vorteil, sein eigenes Umfeld und damit die eigene Lebensqualität und Zukunft in dieser Region zu verbessern. „Think global, act local“ heißt dabei die Devise. Die Gemeinde Burgthann im Nürnberger Land steht stellvertretend für viele, die mehr sind als nur eine Wohngemeinde. Eine Ansiedlung von Klein- und Mittelbetrieben ist hier ein großes Anliegen, um daraus hervorgehende Potenziale für die Entwicklung unseres Wirtschaftsstandortes auszuschöpfen.
Vor Ort werden die wahren Probleme gelöst, weil der Kontakt zu den Menschen am wichtigsten ist, auch wenn den digitalen Medien eine immer größere Rolle zukommt. Häufig erreichen Politiker ihre Wählerschaft nicht mehr Face to face: Sie versenden ihre Botschaften per Mail oder als Videos. Auch wenn die modernen Kommunikationswege noch so wichtig sein mögen – den direkten Dialog mit Menschen können sie nicht ersetzen. Die Rolle eines Kommunalpolitikers ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig, denn er ist für alle als Person und nicht in einer Rolle ansprechbar und verkörpert authentisch das, was er sagt und tut.
Die Burgthanner Dialoge waren eine nicht-kommerzielle Veranstaltungsreihe der Gemeinde Burgthann, die unter der Schirmherrschaft des 1. Bürgermeisters Heinz Meyer stand. Im Oktober 2019 fand sie nach zehn Jahren zum letzten Mal statt. Regionales und Globales wurden hier miteinander verbunden - in einem Rahmen, der das menschliche Bedürfnis nach Austausch und Nähe erfüllte. Die Sehnsucht nach Intimität, nach Nischen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen hat im Zeitalter der Digitalisierung etwas Erwärmendes. An diesem Punkt kommt auch das Unfertige ins Spiel: Es muss nicht von Anfang an einen Plan oder ein Konzept geben. Oft entstehen gute Dinge, wenn man schon auf dem Weg ist. So war es auch bei dieser Veranstaltung: Entwickelt haben sie sich, nachdem der damalige DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger zu einem Gespräch zugesagt hatte und ein passendes Format dafür gesucht wurde. Was jährlich folgte, war eine Veranstaltung mit einem besonderen Ehrengast sowie eine Reihe von Referenten, die vor geladenen Gästen über ihr Leben und ihr gesellschaftliches Engagement berichteten.
Dabei ging es auch um Fragen zur Gestaltung des gesellschaftlichen Wandels und die Einflussmöglichkeiten des Einzelnen. Anspruch der Burgthanner Dialoge war es aber auch, ein Gegenpol zu den großen Veranstaltungen in Hotelketten und austauschbaren Orten sein, denn oft findet in einem kleinen Rahmen mehr Austausch statt als bei großen Konferenzen. Menschen wurden inspiriert und ermutigt, sich mit der Vielfalt gesellschaftlicher Themen zu beschäftigen. Sie sollten erkennen, dass Gestaltungsmacht dort gedeiht, wo Verbundenheit und Begeisterung spürbar sind, wo positive Einflussnahme durch Freundlichkeit, Gemeinsinn und Gerechtigkeit wächst. Sie ist das Ergebnis kleiner Handlungen und des persönlichen Engagements.
Auch Bodenständigkeit und Identität waren wesentliche Kriterien für die jährliche Auswahl des Ehrengastes und der Vortragenden. Sie präsentierten Beispiele, die nachahmenswert sind und Mut machen. Zu den Ehrengästen gehörten unter anderem Uschi Glas, Jutta Speidel, Michael Herberger, Waldemar Hartmann oder Arne Friedrich. Ehrengast 2019 war Radiolegende Fritz Egner https://n-land.de/lokales/burgthann/fritz-egner-im-haus-der-musik, der unter anderem James Brown, Diana Ross, Paul Simon, Mick Jagger, Billy Joel und Freddy Mercury interviewt, mit Thomas Gottschalk gearbeitet hat. Viele Anekdoten des BR-Moderators („Fritz und Hits“) sind auch in seinem Buch „Mein Leben zwischen Rhythm & Blues“ nachzulesen. Um ihn zu überraschen, wurde der Musikproduzent und Sänger Bernie Paul („Lucky“ 1978, „Oh no no“ 1981) eingeladen. Beide kennen sich seit 43 Jahren und sind seit langem befreundet.
Auch Dr. Theo Zwanziger kehrte noch einmal zu den Burgthanner Dialogen zurück und sprach über die gesellschaftliche Verantwortung des Fußballs. „Der Sport dürfe nicht nur Unterhaltung und Profit sein, sondern müsse als positives Vorbild in die Gesellschaft hinein strahlen und jungen Menschen Orientierung geben.“ Gemäß dem Motto der letzten Dialoge („Was bleibt?“) berichtete Stefanie Kästle, Geschäftsführerin des Druckluftspezialisten Marder über die Unterstützung ihres Unternehmens der NGO Build & Grow e.V., die das soziale Home Build-Konzept als Team-Event für Geschäftsleute aus dem Westen anbietet. Innerhalb von nur drei Tagen wird in Ländern wie Rumänien oder Moldawien ein Haus gebaut, das anschließend einer armen Familie übergeben wird.
Seit 2010 nahmen an den Burgthanner Dialogen auch Gisela Bartulek und Peter Kalb teil und präsentieren die Skulptur „Wenn Richten, . . . dann Aufrichten“. Sensibler zu werden für die Art und Weise, wie hierzulande gerichtet oder mit dem Scheitern umgegangen wird, gehört auch zur „Zukunftskompetenz“, die wir mehr denn je brauchen, um Situationspotentiale der Gegenwart auf zukünftige Chancen hin auszuloten. Allzu leichtfertig erfolgt häufig eine Aufteilung in Gewinner und Verlierer. Ein Augenblick kann ein Lebenswerk zerstören. Aber er kann auch aufrichten und eine Situation zum Guten wenden: So fiel dem Künstler Peter Kalb auf, „dass es einen kleinen Moment beim Menschen gibt, in dem er über tiefste Verzweiflung oder auch höchstes Glück entscheidet - und das Tag für Tag, Stunde für Stunde. Der Moment, in dem er über etwas richtet, oder es aufrichtet.“ Diesen Moment hielt er fest: in einer abstrakten Form mit dem Titel „Wenn Richten, … dann Aufrichten“. Der in Nürnberg lebende Künstler arbeitet nicht nur Archetypen aus der Menschheit und ihrer Geschichte heraus, sondern setzt sie auch in einen zeitgemäßen Kontext. Sein Kunstprojekt ist global angelegt und besteht aus vielen Einzelteilen. Es folgt einem archetypischen Grundprinzip, das zwar in seinen Geschichten im Detail voneinander abweichen kann, aber in seiner Grundstruktur durch die Skulpturen erhalten bleibt.
Die Burgthanner Dialoge zeigten Beispiele, die nachahmenswert sind und Mut machen. Allerdings darf ein Thema wie Nachhaltigkeit nicht verordnet, sondern muss auf breiter Ebene gelebt werden. „Deshalb setzen wir auf Dialog, Teilhabe und die Übernahme von Verantwortung. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass ein Bürgermeister Nachhaltigkeit im Sinne von Langfristorientierung (dazu gehören z. B. auch ausgeglichene Haushalte und der Schuldenabbau zugunsten kommender Generationen) zur Chefsache macht und das gemeinsame Anliegen in alle Verwaltungsbereiche und in die kommunalen Unternehmen trägt“, sagt Heinz Meyer.
Was sich von den Burgthanner Dialogen lernen lässt
Es ist wichtiger, anzufangen, als auf eine gute Gelegenheit zu warten.
Menschen sollten ihre Aufgabe in den Mittelpunkt stellen und nicht sich selbst.
Offenes, kritisches, tiefes und vernetztes Denken ist mit richtigem Leben und Handeln verbunden.
Wer mit der richtigen Einstellung beginnt, findet auch die richtigen Lösungen.
Eitelkeit ist schädlich und ineffizient, denn wer sich selbst zum Maßstab macht, investiert seine Zeit in das äußere Bild, aber nicht ins wirksame Tun und die Stärkung der eigenen Kompetenzen.
Der Erfolg in der Sache ist wichtig, nicht der Erfolg als Person. Erstellt sich durch beständiges, konsequentes Handeln ein, was nur dann geschieht, wenn man seinen eigenen Überzeugungen und Prioritäten treu ist.
Gelegenheiten sollten sofort genutzt und nicht auf den „perfekten Moment“ gewartet werden, sodass man sich später nicht fragen muss, wo die Zeit geblieben und was aus den eigenen Träumen geworden ist.
Wir brauchen Neugier, um auf Änderungen in unserem Umfeld zu reagieren und zu lernen. Ohne neugierige Fragen und Erkenntnisdrang, ohne Versuch und Irrtum können wir unseren Weg nicht gehen.
Es ist wichtig, den Fließrichtungen des Lebens zu folgen und vor Veränderungen keine Angst zu haben.
Die Zeiten, in denen auf durchgestylten Großveranstaltungen nur Meinung, Stimmung und Inszenierung präsentiert werden, sind vorbei.
Die Vermittlung von Nachhaltigkeit benötigt keine Kongresshallen, aber sie braucht Raum. Wenn Menschen zusammenkommen, um über das Thema zu sprechen, dann ist es nicht wichtig, wie viele es sind, sondern dass sie eine Gemeinsamkeit haben und gemeinsam etwas bewegen wollen. Nachhaltige Veranstaltungen müssen nicht komplett „öko“ sein, es geht auch nicht mehr um Namen, Status und ein „Programm“ (von griech. „Vorschrift“), sondern um sinnvolle Botschaften „von unten“ statt „von oben“, die durch Kommunikation im Kleinen, im Dialog, getragen werden und sich von allein verbreiten. Weil sie einfach gut sind. Mit der Selbstorganisation kleinerer Einheiten werden sich völlig neue Veranstaltungsformate entwickeln, die wie die Burgthanner Dialoge Perspektiven zeigen und Orientierung in einer unübersichtlichen Zeit geben. Ganz nah.
In eigener Sache
Ich habe die Veranstaltungsreihe von Anfang an mit Herzblut konzeptionell und als Moderatorin begleitet. Der Termin im Oktober war immer etwas Besonderes für mich. Ich danke allen, die an der Organisation und Durchführung beteiligt waren – ganz besonders jedoch Elke Leser von der Gemeinde Burgthann. Ohne sie wären die Burgthanner Dialoge niemals das geworden, was sie waren: ein Herzstück unseres Lebens und Arbeitens. Von Anfang an waren auch meine Eltern ein Teil des treuen Publikums. Zwei Wochen nach den letzten Dialogen erhielt mein Vater die erschütternde Nachricht, dass er Krebs im Endstadium hat und nur noch palliativ behandelt werden kann. Am Tag, als er in die Notaufnahme kam, wartete mit mir im Besucherraum eine Gemeinderätin aus Burgthann auf ihren Mann. Auch sie gehörte zu den treuen Gästen der Veranstaltungsreihe. Plötzlich waren wir eine kleine Schicksalsgemeinschaft. Auch die Traurigkeit und Hilflosigkeit, die Angst vor dem Unabänderlichen wird nun für immer mit den Burgthanner Dialogen verbunden sein. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine unbeschwerte Zeit.
Weitere Informationen:
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. SpringerGabler Verlag, Heidelberg Berlin 2017.
Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.
Alexandra Hildebrandt, Elke Leser, Heinz Meyer: Burgthanner Dialoge: Eine fränkische Gemeinde im Gespräch und Spiegel der Gemeinschaft. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2019.