Weihnachten und die Botschaft von Hiob
Hiobsbotschaften sind oft mit Schicksalsschlägen verbunden, die die Betroffenen als ungerecht empfinden. So auch Hiob, der immer gottgefällig lebte, verlor plötzlich sein gesamtes Vermögen. Auch seine Kinder starben, und er wurde sehr krank. Seine festen Überzeugungen gerieten ins Wanken, denn es traf nicht ein, was er erwartet hatte: dass gute Taten mit guten Folgen und schlechte Taten mit negativen Folgen verbunden sind. Doch er fügte sich in sein Schicksal. Schon am Beginn seiner Lebenskatastrophe bekannte er: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat‘s genommen, der Name des Herrn sei gelobt.“ (Buch Hiob, Kap. 1, Vers 20) Als mein Vater im November, acht Monate vor der Rente, die Diagnose erhielt, dass er unheilbar an Krebs erkrankt ist, musste ich sofort an die Geschichte von Hiob denken. Der große und starke Mann, der alles konnte (reparieren, gärtnern, Möbel bauen, PC-Probleme lösen) und bei allen Menschen beliebt war, der allen half, kann plötzlich nicht einmal mehr spazieren gehen. Sein Leben bewegt sich zwischen Couch, Bett, Esstisch und Krankenhaus. Einmal im Jahr, am Heiligabend, ist er in die Kirche gegangen. Wegen der Chemotherapie ist es in diesem Jahr nicht möglich. Der Abschied ist nah – aber immer auch die Hoffnung, selbst wenn alles aussichtslos scheint.
Denn auch die Erzählung von Hiob, die zu den ergreifendsten der Menschheitsgeschichte gehört, ist mit einem guten Ende verbunden: „Der Herr gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte.“ Hiob wurde von „fortan mehr als einst“ gesegnet und starb „alt und lebenssatt“ (Sprüche 15, 22, Prediger 7, 16). Auf diese Stelle verweist Roger Willemsen am Ende seines Buches „Das müde Glück“: Der Alte verbeugte sich, „satt vom Leben, reich an Erfahrung“ – „ein Mensch, so schön wie ein Baum, der in allen Wettern gestanden hat“. Es ist ein Mensch wie jeder von uns. Irgendwann fühlte Hopp eine düstere Wolke heranrollen „mit schlechten Nachrichten in ihrem Bauch“. Der Überbringer der Nachricht, dass er eigentlich Hiob und nicht Hopp heißt, war ein gewisser Herr Gottlieb. Jemand, der die Härte von Managern repräsentiert, die ihre weibliche Seite verdrängen: Er „stolziert hinaus in den Garten mit der Hoheit eines Mannes, der schon als Kind von Beruf Alleinherrscher werden wollte“.
Ihm stellt Roger Willemsen Hopp/Hiob gegenüber, der am Rande der Stadt eine Manege aufgebaut hat: „Hopps Welt“. Ein Zirkus, der nicht wanderte, sondern blieb - eine Welt mit Tieren, Pflegern, Artisten, Clowns und einem Papagei, der sagen konnte: „Prost Gemeinde, der Vorstand ist besoffen!“ Dass der Zirkus eine so wichtige Bedeutung im Buch und im Leben hat, mag damit zusammenhängen, dass hier niemand betrügt. Zirkusleute schwindeln nicht, sie können nicht so tun „als ob“, weil sie dann vom Hochseil fallen würden. Als Hopp/Hiob das Schicksal auf dem Boden trifft, tröstet ihn der Clown Pico: „Jetzt mal halblang. Du hast andere aufgerichtet, doch jetzt, da es dich trifft, kannst du dich selbst nicht aufrichten? Was glaubst du denn? Dass du das Glück bewohnen kannst wie ein Eigenheim? Das Unheil geschieht nicht in der weiten Welt allein, es kann auch in deiner passieren. Also verzweifle nicht, sondern finde eine Haltung.“
Noch unglücklicher machten ihn die Worte seiner Frau Helga: „Wenn es abwärts mit dir geht, wird ein anderer steigen. Bist du wichtiger als er? Hat er keine Kinder? Stehen nicht Tiere auch in anderen Ställen und möchten gestreichelt werden?“ Trotz aller Rückschläge war Hiob davon überzeugt, dass es immer noch besser ist, wenn man teilweise wenigstens auch für andere lebt - auch wenn man selbst vom Glück nicht oder nur selten belohnt wird. Die Stimme aus dem Dunkel, die sich an ihn wendet, ist hörbar für alle, die vom Schicksal hart getroffen wurden. Sie spenden Trost und geben Hoffnung auch in hoffnungslosen Situationen: „Du hast deine Sache gut gemacht. Die Herren haben mit dir gelacht, als du stark warst. Die Traurigen haben sich erkannt in deiner Klage. Immer warst du, zu einem Teil deines Lebens, für alle da. Das war gut.“
Für meinem Herausgeberband „Klimawandel in der Wirtschaft“, an dem ich 2019 arbeitete, schrieb ich den Beitrag „Das Leben als Aufgabe“, in dem ich auf Roger Willemsen Bezug nehme und darauf verweise, dass für ihn am Ende seines Lebens das Thema Nachhaltigkeit am dringlichsten war: Die Jugend des Autors, der im August 2015 selbst schwer erkrankt ist und im Februar 2016 seiner Krebserkrankung erlag, war auch vom Sterben seines Vaters begleitet (1969 erkrankte er ebenfalls an Krebs). Es folgten zwei Jahre Ängste, Sorge und das Gefühl des Verlassenwerdens. Der Vater starb im Augenblick, als Willemsen zu begreifen begann, was für eine große Persönlichkeit er war. „Diese Autorität bricht weg, und du musst sie dir dann also selber geben.“ Als Roger Willemsen selbst an Krebs erkrankte, wollte er nicht mehr unterhalten, sondern beobachten und präzise sagen, wie es ist. Sein literarisches Vermächtnis ist das postum erschienene Buch „Wer wir waren“. Ihn beschäftigte hier nicht nur der Gesamtzustand der Welt, sondern auch der menschliche Bewusstseinszustand. Als ich am 14. November 2019 das Vorwort für mein Klimabuch schrieb, das im Frühjahr 2020 erscheint, erhielt ich die Nachricht von der Krebserkrankung meines Vaters. So ist alles schicksalhaft miteinander verbunden – nicht nur das, was wir verlieren, sondern auch das, was wir gewinnen und nur sehen, wenn alles ins Wanken gerät und das Wesentliche sichtbar wird.
Weiterführende Informationen:
Alexandra Hildebrandt: Das Leben als Aufgabe. In: Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.
Roger Willemsen: Wer wir waren. S. Fischer Verlag. Frankfurt a. M. 2016.
Roger Willemsen: Das müde Glück. Mit Illustrationen von Kitty Kahane, Edition Chrismon, 2012.
Roger Willemsen und Kitty Kahane: Das müde Glück. Edition chrismon, Frankfurt am Main 2012.