Navigation überspringen
article cover
Bild: 123rf.com

Weihnachtsfeier mit Chef und Kollegen: Gefährliche Tabuzone oder gesellige Party?

In diesen Tagen sind sie wieder überall zu lesen, die vielen Tabus, die du als Mitarbeiter auf der Weihnachtsfeier unbedingt zu beachten hast, damit sie deiner Karriere nicht schadet. Wo bleibt da der Spaß?

Du kennst diese Tipps bestimmt auch: Nicht zu viel Alkohol, auf keinen Fall dem Chef das Du anbieten, bloß nicht flirten und besser nicht über die Arbeit sprechen. Ich bin der Meinung, diese vermeintlichen Fallstricke haben mit „O du fröhliche!“ so gar nichts mehr gemein. Sie verunsichern mehr, als dass sie Lust auf eine besinnlich gesellige Zeit machen. Was ist die Weihnachtsfeier für dich? Gefährliche Tabuzone oder entspannte Feier mit Chef und Kollegen?

Tabuzone betriebliche Weihnachtsfeier: O du vorsichtige?

Ja, es ist wirklich unglaublich, welche Ratschläge sich die bunte Presselandschaft pünktlich alle Jahre wieder ausdenkt, sobald sich Chefs und Kollegen friedlich zur besinnlichen Weihnachtsgans verabreden. Was mich dieses Jahr besonders amüsiert hat, das ist der Tipp, den Chef nach der Weihnachtsfeier nur dann weiter zu duzen, sofern er sich selbst noch daran erinnert. In der Umsetzung heißt es für dich als Mitarbeiter, am Tag danach bitte Kater schonend leise an der Bürotür deines Chefs anzuklopfen und zunächst mit unverfänglich neutralen Sätzen zu prüfen, ob Erinnerungslücken nachweisbar sind, bevor du das sympathische Feier-Du zum offiziellen Arbeits-Du erklärst. Klasse Tipp, oder?

Auch immer wieder nützlich sind die Hinweise, wie viele Tassen Glühwein proportional zu Körpergröße und Gewicht gerade noch in Ordnung sind, um bloß nicht peinlich aufzufallen. Peinlich zu sein scheint überhaupt die größte Gefahr, die auf sämtlichen betrieblichen Feiern lauert. Nun gut, auch professionelle Knigge-BeraterInnen benötigen Aufmerksamkeit und feiern in diesen Tagen Hochkonjunktur im Kampf gegen Benimm-Fauxpas und Peinlichkeiten.

Wer die Firmenweihnachtsfeier zur geselligen Tabuzone erklärt, der veranstaltet verkrampftes Businesstheater.

Mal ehrlich, kennst du auch nur einen einzigen Fall aus deinem Freundes- und Kollegenkreis, bei dem peinliches Verhalten auf einer Firmenfeier im Anschluss schädlich für die Karriere war? Dass ein Kollege am Tag danach die Kündigung auf dem Tisch hatte, nur weil er zu tief ins Weinglas sponsored by Big-Boss geschaut und alle Weihnachtslieder lautstark neu interpretiert hat? Weil er seinem Chef in geselliger Laune Dinge anvertraut hat, die im sterilen Büro niemals ausgesprochen worden wären? Weil Martin von seiner Kollegin Martina endlich offiziell erfahren hat, dass sie Stress mit ihrem Mann hat und die Scheidung droht? Du und ich kennen wahrscheinlich noch viele andere Geschichten, die sich auf Firmenfeiern zugetragen haben, doch ich frage dich: Wie peinlich und schädlich für eine Karriere waren sie im Nachhinein tatsächlich?

Selbstverständlich verurteile ich jegliche Form von Zwangshandlung, Übergriffen oder sogar sexueller Belästigung. Hier hört der Spaß auf! Keine Frage, es gibt Tabus und klare Grenzen, wenn es feucht-fröhlich unter Kollegen zugeht.

Doch ich bin der Meinung, wir sollten betriebliche Feiern nicht per se zur gefährlichen Tabuzone erklären. Und falls doch, sollten sie besser ganz abgeschafft werden, statt verkrampft an Tradition festzuhalten, Angst vor Fehlverhalten zu schüren und sogar auf der Weihnachtsfeier noch anstrengendes Businesstheater zu spielen.

Wer hart arbeitet, darf auch kräftig feiern

Vielen Arbeitnehmern sind heute Kollegialität sowie Anerkennung und Wertschätzung sehr wichtig. Sie möchten ihre Arbeit erleben und Erfolge spüren. Die gemeinsame Weihnachtsfeier zum Abschluss eines Jahres ist eine gute Gelegenheit, stolz auf Erfolge zu blicken und Danke zu sagen. Sich im Kreis der Kollegen an die Highlights des Jahres zu erinnern, prägende Erlebnisse noch einmal zu teilen, das Jahr gemeinsam gut zu beenden sowie als Team gestärkt und motiviert nach vorne zu blicken.

Für mich früher als Angestellter waren Weihnachtsfeiern immer die Zeit, Zugehörigkeit zu spüren und stolz auf das zu sein, was ich und wir gemeinsam als Team im zuende gehenden Jahr geschafft haben. Schöne Stunden mit meinem Chef, meinen Mitarbeitern sowie den Kollegen und Kolleginnen aus anderen Abteilungen einmal abseits vom Büro zu verbringen. Gute Gespräche auch mit solchen Kollegen zu führen, zu denen ich im Alltag seltener Kontakt hatte. Und ja, ich gebe es zu, ich habe es auf den Firmenfeiern immer sehr genossen, es mir gutgehen zu lassen.

Gute Gelegenheit, Chef und Kollegen anders kennenzulernen

In meiner heutigen Arbeit mit Führungskräften und Angestellten nehme ich mit zunehmendem Stress im Tagesgeschäft wahr, dass ihre Verbindung auf der Beziehungsebene immer stärker bröckelt. Manche Mitarbeiter sehen ihre Chefs tagelang nicht und kommunizieren mit ihnen nur noch über Kurznachrichten. Andere Angestellte erzählen mir, dass ihr Chef nicht einmal mehr ein „Guten Morgen“ über die Lippen bekommt, bevor sie oder er Gedanken versunken ins erste Meeting hetzt. Viele Mitarbeiter fühlen sich von ihren Führungskräften nicht mehr gesehen und zu wenig beachtet. Ich frage mich, wie soll so noch Delegation und gute Zusammenarbeit zwischen Führung und Team funktionieren?

Ein ähnliches Bild zeigt sich häufig beim Blick in Teams. Jeder wurschtelt für sich, in offenen Büros findet kaum noch Kommunikation statt und die gemeinsame Mittagspause wird als spontanes Team-Meeting missbraucht. „Ich muss mit meinen Kollegen nicht befreundet sein“, sagen mir viele Klienten. Doch gleichzeitig wundern sie sich, dass sie sich im wahrsten Sinne des Wortes immer schlechter verstehen und ein gutes Miteinander irgendwie immer komplizierter wird.

Frage ich Führungskräfte oder Angestellte, wenn sie mir im Coaching über merkwürdiges Verhalten von Kollegen berichten, ob sie denn wissen, was ihrem Kollegen oder der Kollegin im Job und für eine gute Zusammenarbeit besonders wichtig ist, dann blicke ich oft in fragende Gesichter. Je schneller und komplexer die Arbeitswelt wird, umso weniger interessieren wir uns für die Menschen in unserem Umfeld, so kommt es mir beim Blick von Außen in Organisationen vor.

Wäre nicht auch deine nächste Weihnachts- oder Firmenfeier eine prima Gelegenheit, mehr über deine Kollegen in Erfahrung zu bringen und sie außerhalb der täglichen Büro-Routinen auch einmal anders zu erleben? Ich bin sicher, du entdeckst ganz neue Seiten an ihnen. Zudem bieten betriebliche Feiern auch viele Möglichkeiten, das interne Netzwerk auszubauen und Verbindungen abseits des Organigramms zu knüpfen, die für dich und deine Karriere irgendwann einmal von Nutzen sein können. Und so manche Liebe des Lebens soll an diesem Tag auch begonnen haben.

O du fröhliche! Und wer keine Lust hat, darf zuhause bleiben

Auch wenn ich mit diesem Beitrag deine echte Lust auf die Firmen-Weihnachtsfeier wecken möchte, kann es auch immer eine Zeit geben, in der du als Mensch einfach nicht in Feierstimmung bist oder dir die Gans im Hals stecken bleibt, während dein Chef Reden über das erfolgreiche letzte Jahr schwingt.

Ich finde es nicht gut, wenn Arbeitgeber oder Chefs betriebliche Feiern mit einem Teilnahmezwang belegen oder sie sogar als Arbeitszeit deklarieren. Denn so wird jedes besinnliche Beisammensein zur steifen Pflichtveranstaltung. Wer wirklich keine Lust aufs Feiern hat, der soll zuhause bleiben dürfen. Mache deiner Führungskraft und vielleicht auch den Kollegen klar, warum dir gerade wirklich nicht nach Feiern zumute ist.

Allen anderen wünsche ich viel Freude, interessante Gespräche mit den Kollegen und einen entspannt fröhlichen Nachmittag oder Abend in geselliger Runde.

* * *

Wenn du Lust hast, dann schreib in die Kommentare, was du schon so alles auf Weihnachtsfeiern erlebt hast und was ihr dieses Jahr mit eurem Team plant. Was macht für dich eine richtig schöne Feier mit Chef und Kollegen aus?

Euer

www.bernd-slaghuis.de

Dr. Bernd Slaghuis schreibt über Job & Karriere, berufliche Neurorientierung, Bewerbung

Karriere ist heute mehr als nur "höher, schneller, weiter". Seit 2011 habe ich über 2.000 Angestellte bei ihrem nächsten Schritt im Beruf begleitet. Von der Neuorientierung und Bewerbung bis zum Onboarding. Meine Erfahrungen teile ich hier als XING Insider, auf meinem Blog und als SPIEGEL-Kolumnist.

Artikelsammlung ansehen