Weniger ist mehr: Wie unsere Arbeit(szeit) unser Wohlbefinden beeinflusst
Vor Kurzem wurde ich gefragt, wie viele Stunden in der Woche ich arbeite. Und ich konnte diese Frage tatsächlich nicht beantworten, da mein Job sehr „saisonal“ ist, ich Monate habe, in denen es trubelig zur Sache geht, ein Event, Release oder Projekt das nächste jagt und ich viel auf „Montage“ bin – wie ich es humorvoll nenne, wenn ich neue Ideen und Formate auf die Bühne und somit zu den Menschen bringe. Dann gibt es aber auch wieder die Leerlaufphasen wie das Sommerloch, das ich dafür nutze, um neue Dinge anzustoßen oder so weit es mir gelingt, eben auch mal wenig bis gar nichts zu machen.
Und dieses Gefühl des Loslassens und des Treibenlassens ist ein großartiges! Eines, das ich viel öfter in meinen stressigen Arbeitsalltag integrieren möchte. Denn Hand aufs Herz: Als Selbstständige, die ihren Beruf liebt, arbeite ich wahrscheinlich tendenziell zu viel. Doch was bedeutet zu viel eigentlich? Warum wir uns darüber Gedanken machen sollten, wie wir weniger leisten und mehr leben können, zeigt euch dieser Artikel.
Höher, schneller, weiter – diese drei Worte prägen die Denkweise einer ganzen Gesellschaft. Höher auf der Karriereleiter, schneller den Weg ins Berufsleben finden und noch weiter in den Feierabend hinein arbeiten. Auch wenn es sicherlich wichtig und außerdem extrem privilegiert ist, sich auf diese Weise einen guten Lebensstandard zu verdienen, so vergessen wir bei dieser Hamsterrad-Mentalität leider oft, was wirklich wichtig ist und dass uns zu viel Arbeit auch ganz schön belasten kann.
Vorreiter in Sachen Arbeitszeiten
Vor Kurzem habe ich auf dem Instagram-Kanal von Funk einen Beitrag gelesen, in dem es um eine Studie in Island ging: Dort konnten 2500 Menschen im Rahmen eines Experiments ihre Arbeitszeit von 40 auf bis zu 35 Stunden reduzieren. Diese paar wenigen Stunden allein reichten, um bereits bemerkenswerte Effekte zu erzielen: So berichteten die Isländer:innen von einem gestiegenen Wohlbefinden, sie fühlten sich körperlich fitter und hatten mehr Zeit und Energie für Freizeitaktivitäten, Familie und Freund:innen. Dadurch verbesserte sich nicht nur ihre Work-Life-Balance – die zusätzlich gewonnene Freizeit wirkte sich auch positiv auf die Produktivität am Arbeitsplatz aus. Mittlerweile können 86 Prozent der Isländer:innen die verminderte Arbeitszeit von bis zu 35 Stunden in Anspruch nehmen und von den positiven Effekten profitieren. Ich finde das großartig! Und gleichzeitig frage ich mich: Warum geht das noch nicht in Deutschland?
Arbeitszeit ist Lebenszeit
Das ist vielen von uns durchaus bewusst. Deshalb streben immer mehr und vor allem junge Menschen einen Beruf an, in dem sie sich selbst verwirklichen können und der ihnen Spaß macht. „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten“, suggerierte bereits Konfuzius – und trotzdem ist Deutschland laut einer Studie des dänischen Unternehmens Peakon im Jahr 2020 „Frustweltmeister“ in Sachen Mitarbeitendenzufriedenheit. Laut Umfrageergebnissen geht knapp jede:r Vierte unmotiviert ins Büro. In keinem anderen Land lag diese Quote so hoch. Gleichzeitig hat sich die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche in Deutschland seit den 1990er-Jahren kaum merklich verändert: Demnach arbeiten Vollzeitbeschäftigte durchschnittlich 41 Stunden pro Woche. „Das geht ja noch …“, denke ich mir – muss aber gleichzeitig wieder an die Studie aus Island denken. Ein Schnitt von 41 Stunden bedeutet ja, dass es genug Menschen gibt, die mit ihrer wöchentlichen Arbeitszeit weit über dieser Zahl liegen. Was macht das mit uns, wenn wir 50, 60 oder sogar noch mehr Stunden die Woche arbeiten? Geht das überhaupt (gut)?
Zu viel arbeiten ist ungesund – für Körper und Geist
Überstunden sind nicht nur nervig, sie belasten nachhaltig unsere Psyche. Klar, es klingt logisch, dass uns Stress psychisch krank macht. Das belegen auch Studien, die sich seit geraumer Zeit mit der mentalen Gesundheit von Arbeitnehmer:innen beschäftigen. So zeigt eine Umfrage der TK, dass sich allein in Deutschland jede:r dritte Angestellte dauerhaft nervös und gereizt fühlt und jede:r Zweite überarbeitet ist. Hinzu kommt, dass sich 40 Prozent der deutschen Arbeitskräfte aufgrund mangelnder Anerkennung gestresst fühlen. Das sind schlichtweg zu viele! Neben dem psychischen Druck bergen lange Arbeitszeiten aber tatsächlich auch körperliche Risiken. Eine globale Studie der WHO und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zeigte, dass Überstunden die Anzahl von Todesfällen durch Herzkrankheiten und Schlaganfall erhöhen. 55 oder mehr Stunden pro Woche – also mindestens elf Stunden am Tag (!) – erhöhen das Risiko dabei um ganze 35 Prozent im Vergleich zur „normalen“ 35- bis 40-Stunden-Woche. Zu viel Arbeit wirkt sich also negativ auf unsere Gesundheit aus und ist für etwa ein Drittel der gesamten geschätzten berufsbedingten Krankheitslast verantwortlich. Das sind mehr als genug Gründe, um einen Gang zurückzuschalten!
Raus aus dem Hamsterrad – rein ins (Privat-)Leben
Leichter gesagt als getan, denn: Der deutschen Arbeitsmentalität wird nicht völlig ohne Grund nachgesagt, sie sei ganz besonders von Effizienz, Fleiß und Pünktlichkeit geprägt – auch wenn es da sicherlich genug Ausnahmen gibt. So kommt das schwäbische „Schaffe, schaffe, Häusle baue“ nicht von ungefähr: Die Deutschen arbeiten strukturiert und gewissenhaft, sind perfektionistisch und kommunizieren meist sehr direkt. Wie sollen wir es angesichts dieses gesellschaftlichen Leistungsdrucks schaffen, aus dem Hamsterrad auszubrechen und unserem Bedürfnis nach einer gesunden Work-Life-Balance Ausdruck zu verleihen? Ich verrate euch meine fünf Glücksgaranten, die euch dabei helfen, Glück und Wohlbefinden auch am Arbeitsplatz wieder häufiger zu spüren – ob mit oder ohne 35-Stunden-Woche:
5 Tipps für mehr Glück am Arbeitsplatz
1. Den Status quo reflektieren und aktiv werden
Wenn sich Stress und Unzufriedenheit im Arbeitsumfeld breit machen, kann es im ersten Schritt helfen, die eigene Situation genau unter die Lupe zu nehmen: Welche Erwartungen habe ich an meinen Job? Was an meinem Arbeitsalltag nehme ich als Stress wahr? Wenn wir uns der eigenen Erwartungen und Wünsche bewusst werden, fällt es uns leichter, (berufliche) Entscheidungen zu treffen. Kein Job der Welt ist es wert, psychisch oder physisch zu leiden. Wenn sich also im Arbeitskontext selbst nichts an eurer Situation ändern lässt, hilft nur das offene Gespräch mit eurem:r Vorgesetzten. Macht ihr oder ihm deutlich, dass es für euch unter diesen Umständen nicht weitergehen kann und erarbeitet gemeinsam Lösungen für die aktuelle Situation. Oftmals können auch Stress-Bewältigungsstrategien dabei helfen, besser mit Konflikten und einem hohen Arbeitsdruck umzugehen. Und im Notfall gibt es immer noch die Möglichkeit, den Job zu wechseln.
2. Selbstverwirklichung ist gut, eine gesunde Work-Life-Balance ist besser
So reizvoll Konfuzius’ Idee ist, einen Beruf zu finden, den man uneingeschränkt liebt, so selten lässt sie sich in der Realität wiederfinden, denn: Bei Weitem nicht jede:r hat das Privileg, einen Job auszuüben, der zur Selbstverwirklichung nach Maslows Bedürfnispyramide beiträgt. Manche Menschen arbeiten, um Geld zu verdienen, um Menschen oder der Gesellschaft zu helfen oder das Vermächtnis ihrer Familie weiterzuführen. Und sogar Menschen, die es geschafft haben, ihr Hobby zum Beruf zu machen, klagen über einen mangelnden Ausgleich neben der Arbeit. Die Studie aus Island macht eines deutlich: Arbeiten wir weniger, haben wir mehr Zeit, den Dingen nachzugehen, die uns wirklich erfüllen. Wichtig ist also, regelmäßige Pausen einzuplanen und sie – genauso wie all unsere anderen Termine – pflichtbewusst einzuhalten. Das können die kurzen Pausen zwischen den Meetings sein, aber auch Zeit im Grünen oder stressabbauende Aktivitäten wie autogenes Training, Yoga oder progressive Muskelrelaxation.
3. Perfektionismus adé
Perfektionismus ist etwas, das uns oft in unserer Kreativität behindert. Ideen und Projekte werden zerdacht und erblicken daher oft nie das Licht der Welt. Viel zu sehr sind wir damit beschäftigt, das kleinste Haar aus der Suppe zu fischen, etwas besonders ordentlich machen zu wollen oder krampfhaft den Erwartungen von anderen zu entsprechen. Oft reichen bereits 80 Prozent vom „Optimum“ aus, damit wir und unsere Mitmenschen uns wohl fühlen. Weniger ist also auch hier oft mehr, und man gewinnt enorm an Lebensqualität! Getreu dem Motto: „Better done than perfect!“ Sich vom Perfektionismus zu verabschieden kann man üben. Dinge einfach mal gut sein lassen, nicht so penibel sein, nicht ganz fertig machen und einfach loslegen.
4. Die Gemeinschaft stärken
Eines der wichtigsten Dinge für ein glückliches (Arbeits-)Leben ist ein gesundes Miteinander – und dazu gehören gemeinsame Aktivitäten. Im Privatleben planen wir deshalb schon am Montag den nächsten Spieleabend oder Sonntagsbrunch mit unseren Eltern. Gemeinschaftliche Erlebnisse schweißen uns zusammen, vor allem wenn es außergewöhnliche sind. Man sagt sogar, dass sich Paare schneller verlieben, wenn sie Dates haben, bei denen Adrenalin ausgeschüttet wird, also zum Beispiel zusammen Bungee jumpen. Keine Sorge, ihr müsst jetzt nicht gleich mit euren Kolleg:innen in die Tiefe stürzen und euch erst recht nicht verknallen, aber auch im Arbeitskontext gibt es Möglichkeiten, durch Teambuildingmaßnahmen das Zusammengehörigkeitsgefühl zu stärken und somit die allgemeine Zufriedenheit zu steigern – und damit auch die Produktivität. Gemeinsame Erlebnisse schaffen Vertrauen und fördern den „Wohlfühlfaktor” sowohl in unserem Freundes- als auch Kolleg:innenkreis. Dabei ist es gleich, ob man die Zeit in einen gemeinsamen Kochabend, ein digitales Escape-Game oder einen Ausflug in den Hochseilgarten investiert.
5. Stark, stärker, Stärken
Oft sind wir uns unserer eigenen Fähigkeiten gar nicht bewusst. Wir tendieren eher dazu, darauf zu achten, was wir nicht so gut können, und uns mit anderen zu vergleichen. Das bringt uns aber nicht weiter. Wenn wir uns davon lösen, können wir uns ganz bewusst unseren eigenen individuellen Stärken widmen: Was kann ich richtig gut? Welche Stärken möchte ich mehr in meinen (Arbeits-)Alltag integrieren? Bei was vergessen wir Raum und Zeit? Wenn wir die Antworten auf diese Fragen finden, haben wir bereits einen großen Schritt Richtung Glück getan. Denn wenn wir tun, was wir am besten können und was uns in den berühmten Flow-Zustand versetzt, finden wir mehr Erfüllung im Leben. Und auch im Job – und das hilft uns dabei, nicht zu den 63% der deutschen Arbeitnehmenden zu gehören, die Montagmorgens mit Bauchschmerzen aufstehen, weil sie keine Lust auf ihre Arbeitsstelle haben.
Letztlich gilt wie bei so vielem: Nehmt euch eure Zeit – zum Reflektieren und zum Kennenlernen eurer ganz individuellen Bedürfnisse und Vorstellungen, wie ihr euch euer (Arbeits-)Leben wünscht. Bastelt euch eure Babysteps zusammen, wie ihr eurer passenden Konstellation sukzessive näher kommt. Und dann gilt: Steht für euch ein – oder auf – oder bleibt liegen, wenn euch danach ist.
Ich für meinen Teil gehe jetzt wieder eine Runde schaukeln in meiner Hängematte, die mich jeden Tag demonstrativ daran erinnert, die Seele auch mal wieder baumeln zu lassen.
Quellen:
4: https://ergonomie-am-arbeitsplatz.de/die-deutsche-arbeitsmentalitaet-muss-revolutioniert-werden/