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Wesentlich werden: Entschleunigung und Nachhaltigkeit

„Das Virus ist der radikalste Entschleuniger, den wir in den letzten 200 Jahren erlebt haben.“ Hartmut Rosa

Bevor der Mensch Häuser errichtet, baut er an sich selbst – schließlich haben "Ich bin" und "ich baue" oder "buan" dieselbe Wurzel. In der Corona-Krise, in der Verpflichtungen, Reisen und Meetings von heute auf morgen entfallen, die Produktion stoppt, die Tourismusbranche und Konsumindustrie stillgelegt sind, werden wir alle wieder daran erinnert, indem wir auf uns selbst zurückgeworfen werden. Die große Welt schrumpft auf kleinsten Raum zusammen.

Für einige ist diese radikale Entschleunigung unerträglich, für andere ist es wie eine Reinigung von allem, was zu viel war.

Es zählt wieder das Wesentliche im Leben, und man kann endlich wieder Blendwerk und Fassade unterscheiden. Denn die letzten Jahre führten zur größeren Konkurrenz, Leistung und Effizienz wurden zunehmend gefordert, um global Schritt halten zu können. Doch das Wachstumsparadigma des „Turbokapitalismus“ ist nicht zukunftsfähig. Entschleunigung setzt bei der Suffizienz an, also der Reduzierung des Konsums und Lebensstils. Ökoeffizienz reicht nicht mehr aus, die Ressourcenverknappung zu stoppen.

Das Konsumentenverhalten sowie der gesamte Lebensstil einer Gesellschaft müssen sich ändern, um den Prozess einer nachhaltigen Entwicklung in Gang zu setzen.

In den vergangenen Jahren tappten immer mehr Unternehmen in die „Beschleunigungsfalle“ und brachten in immer kürzeren Abständen neue Produkte auf den Markt. Das führte dazu, dass auch unsere Lebens- und Arbeitswelt permanent voll blinkendender und unüberhörbarer Signale war, die suggerierten, dass es sich lohnt, noch mehr Geld zu verdienen und noch eine weitere Sprosse auf der Karriereleiter zu nehmen. Viele Führungskräfte konnten sich kaum auf eine Sache fokussieren, weil sie gleichzeitig so viele andere Dinge um die Ohren hatten. Sie achteten weder auf sich selbst und andere und lernten nie, wirklich innezuhalten.

Die Corona-Krise holt nicht nur das Schlechteste in einigen Menschen hervor (Gier, Hamstern, Rücksichtslosigkeit), sondern auch – das betrifft wohl die meisten - das Beste: Hilfsbereitschaft und Mitgefühl. Viele werden empathischer für ihre Umwelt. Das achtsame Handeln fördert nicht nur die Gesundheit, sondern auch – wie sich in diesen Wochen in besonderer Weise zeigt - Teamgeist, Kreativität und Produktivität. Es braucht nach Corona wohl kaum noch achtsamkeitsbasierten Stressreduktionskurse, weil die meisten in dieser Zeit gelernt haben werden, worauf es wirklich ankommt.

Wer Jahrzehnte nachhaltig gewirtschaftet hat, ist für Krisenzeiten gut gerüstet.

In turbulenten Zeiten werden hier auch häufig besondere Energien freigesetzt. Nach einer Woche der Justierung und Organisation, meldete sich das Familienunternehmen Häcker Küchen aus Rödinghausen kürzlich mit einem klaren Statement: „Wir produzieren weiter, selbstverständlich unter Einhaltung strenger Sicherheits- und Hygienemaßnahmen“, sagte Markus Sander, Geschäftsführer Vertrieb, Marketing und Controlling. Die Zeit wurde genutzt, um gemeinsam mit den vielen Vorlieferanten außergewöhnliche Lösungen zu entwickeln. So wurden Bestände deutlich gesteigert, und die Logistikkette wegen der aktuellen Entwicklungen optimiert. Zudem verfügt das Unternehmen über einen sehr hohen Automatisierungsgrad für eine schnelle Belieferung. Marktseitig wurde ebenfalls mit vielen Kunden gesprochen und eine hohe Liefersicherheit erreicht. Um den internen Schutz nochmals zu verstärken, wurden versetzte Schichtzeiten sowie erhebliche, zusätzliche Hygienemaßnahmen in sämtlichen Unternehmensteilen eingeführt. Von Desinfektionsmittelstellen bis zu Sonderanweisungen für Reinigungskräfte. Selbst die Werkskantine und die große Hausaustellung wurden vorsorglich geschlossen.

Die Lieferfähigkeit des Unternehmens ist damit im Rahmen der vereinbarten Lieferzeiten gesichert. Die Häcker-Fahrer können von den Kunden mobil erreicht werden, ebenso wie die Sachbearbeiter und die gesamte Vertriebsmannschaft. Im Sinne eines hohen Verantwortungsbewusstseins wurden über 520 Homeoffice-Arbeitsplätze eingerichtet. Zudem wurden Überstunden von den Mitarbeitern abgebaut. Die Summe all dieser Maßnahmen ermöglicht die sichere Versorgung der Kunden. Als weltweit tätiges Unternehmen werden dabei die jeweils gültigen Reisebeschränkungen und behördlichen Anweisungen genauestens beachtet, denn: „Die Gesundheit der Kunden und Mitarbeiter steht weiterhin an erster Stelle, denn wir agieren schon aus Tradition verantwortungsvoll“, so Sander.

Wo Ökonomie, Ökologie und Soziales zusammen betrachtet wird, gilt es auch, die Entschleunigung (wieder) zu entdecken und einen bewussten Umgang mit Ressourcen, Menschen und Natur zu erreichen.

Corona scheint zwar die Klimakrise und die Fridays-for-Future-Bewegung aus der Öffentlichkeit verdrängt zu haben, weil es sich um eine konkrete Gefahr durch eine Infektionskrankheit handelt, aber sie ist keine schlechte Ausrede, um die Klimafrage zu vernachlässigen.

Weiterführende Informationen:

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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