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Tsvetoslav Hristov/Pexels

Widerstand ist eine Folge von Nicht-Können – oder warum sich in der Klimafrage so wenig bewegt

Eine Katastrophe kommt immer schneller auf uns zu – und dennoch reagieren wir nicht. Ich frage mich seit Jahren, wie etwas so Offensichtliches wie die Klimakrise noch immer nicht zum lauten kollektiven Aufschrei führt – und vor allem: zum Handeln.

Woran liegt das? Der Soziologe Niklas Luhmann sieht Organisationen und Institutionen sowie ganze Gesellschaftsbereiche als geschlossene Systeme. Es geht weder eine Information hinein noch hinaus, sondern die Systeme „lernen“ Neues, indem sie sich inhärent, also durch Druck von außen, neu ausrichten. Exakt so erklärt Gerald Hüther, wie unsere Gehirne funktionieren. Eine Störung bringt das Gehirn in Dissonanz mit den eigenen Denkmustern und dann sucht das Gehirn intern eine Lösung, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Die erste Reaktion eines Systems ist dabei immer: Es versucht, in den alten Zustand zurückzukehren. Die uns bekannten Mechanismen: verneinen, dass etwas sich verändert, es ignorieren, oder sogar verdrängen, und wenn das alles nicht klappt, suchen wir ein neues Subsystem, eine neue Gruppe von Menschen mit ähnlichen Denkmustern wie Freunde oder Familie. Das ist in der Wissenschaftsgemeinschaft so, im Recht, in der Kirche, in der Bildung. Was steht dahinter?

Systeme verharren oft in der eigenen Unkenntnis

Ein System hat per se kein Interesse daran, Neues zuzulassen und ist bestrebt, sich selbst zu erhalten. Ab und zu passiert es dennoch, dass einzelne Teile eines Systems wie z. B. Menschen daraus ausbrechen, weil sie mit gewissen Erfahrungen konfrontiert werden oder Einsichten erlangen. Dieses Thema wird in Platons Höhlengleichnis bereits beschrieben: Jemand verlässt die Höhle des Status quo, geht in die Sonne, ist anfangs geblendet, hat Angst, sieht dann aber die Schönheit draußen vor der Tür. Als er zurückgeht, um den anderen zu sagen: Kommt, lasst uns „vor die Tür“ gehen, glauben sie ihm nicht und töten ihn. Er stellt eine Störung im System dar. Verdrängen, verneinen, ausgrenzen oder sogar töten ist einfacher, als selbst vor die Tür zu gehen.

Warum gehen die anderen nicht einfach auch vor die Tür? Weil sie nicht können. Sie wissen nicht, wie das geht. Sie kennen den Weg nicht, oder trauen sich nicht (auch eine Folge von Nicht-Wissen).

Nicht-Können führt zu Widerstand

In der westlichen Welt glauben wir, dass die Systeme (Menschen sind auch Systeme für sich) sich nicht bewegen, weil sie nicht wollen. Nein – sie können nicht. Sie haben schlicht nicht die Fähigkeiten, um einfach das zu tun, was jetzt notwendig ist. Die Folge von Nicht-Können ist also Widerstand. Daher lebe ich seit Jahren nach dem Grundsatz: Widerstand ist eine Folge von Nicht-Können. Denn wenn Systeme etwas können, tun sie es, weil sie ja einen Nutzen davon haben.

Meine sehr geschätzte Kollegin Laura Vollmann-Popovic hat mir erklärt, dass politische Bewegungen dann etwas erreichen, wenn es ihnen gelingt, 3,5 Prozent der Bevölkerung eines Landes hinter sich zu bringen – denn dann beginnen die Politiker:innen, sich zu bewegen. Sie reagieren also (oft) nur, weil sie unter Druck sind und nicht etwa, weil es ihre Motivation ist, etwas zu ändern.

Was heißt das nun für unser Klima?

Unser derzeitiges Wirtschaftssystem, unsere Firmen und unsere Institutionen „können“ die solarbasierte Wirtschaft nicht. Ein faszinierendes Beispiel: In Stanford wird derzeit daran geforscht, wie man durch Elektrolyse petrochemische Stoffe erzeugt, ohne dazu fossile Brennstoffe zu nutzen. Die Idee: Nimm CO2 aus der Atmosphäre und dem Wasser und mache durch Elektrolyse, die mit Wind- und Solarstrom betrieben wird, die notwendigen Stoffe für die Herstellung von Gütern wie Stickstoff (z. B. für Dünger).

Derzeit ist das Stickstofferzeugungsproblem durch Elektrolyse superkompliziert und in der Folge sind diese Anlagen noch nicht lukrativ, weil das aktuell noch als Katalysator genutzte, sehr teure Platin erst durch bessere billigere Katalysatoren ersetzt und der Strom günstiger werden muss. Aber wenn es gelänge, das Platin zu ersetzen und den Strom für 1 US-Cent/kg erzeugtes Material zu liefern – wir also wüssten, wie das geht und unsere Systeme das könnten – wäre es gar kein Problem. Die Unternehmen würden sofort aufhören, fossile Brennstoffe zu nutzen, um petrochemische Stoffe zu erzeugen. Das wiederum gefährdet natürlich die Industrie, die genau dieses Know-how nicht hat. In der Folge geht diese in den Widerstand (und betreibt Lobby-Arbeit).

„Wissen ist Macht“ oder „Können kommt vom Tun“

Wir müssen also alle viel mehr verstehen und wissen, damit wir neue Wege gehen können. Wir müssen aufhören, bekehren zu wollen, sondern zeigen. Wir müssen aufhören, zu erklären. Wir müssen neue Firmen bauen, die mit den neuen Ideen zu regenerativen Businessmodellen den anderen zeigen, dass es geht. Wir müssen aufhören, zu denken, wir könnten Politiker:innen bekehren. Es gibt viele, die es eh schon wissen. Diese müssen wir entsprechend wählen und die anderen Politiker:innen durch Machtdemonstrationen wie Demos (Fridays for Future, bitte macht noch entschiedener weiter) in ihrer Machtbasis angreifen, statt mit ihnen zu diskutieren. Sie können nicht anders, weil sie es nicht besser wissen (wollen). Und wissen alleine reicht nicht, wir müssen machen.

Ein Beispiel ist die Landwirtschaft: Viele Ökolandbaubetriebe werden von Nicht-Landwirt:innen gegründet werden, gleichzeitig „weigern“ sich viele konventionelle Landwirt:innen, ökologisch zu wirtschaften. Diese Landwirt:innen kennen und wissen einerseits nicht, wie sie ihren Betrieb umstellen, aber das größere Problem ist folgendes: Das EU-Förderungssystem bestraft die Landwirtin, weil sie eine Einkommensreduktion erfährt, wenn sie beginnt, ihren Betrieb umzustellen. Gleichzeitig muss sie investieren. Dabei fehlt es schlicht an Kapital. Dieser Sachverhalt wird in diesem fabelhaften TED Talk sehr gut erläutert: The Permaculture Way of Life | Manisha Lath Gupta | TEDxShivNadarUniversity. Manish Lanah Gupta, die sicher zu den Wohlhabenderen Indiens zählt, macht in ihrem Appell sehr deutlich: Die reichen Städter:innen müssen den Landwirt:innen helfen, die Transformation zu stemmen. Nur diese haben das Kapital, um den viel ärmeren Landwirt:innen in Indien ihre Transformation zu ermöglichen.

Was wir tatsächlich tun können

Auf eine Großstadt wie Frankfurt bezogen würde das also bedeuten: Wenn die wohlhabenden Frankfurter:innen regionales, biozertifiziertes Gemüse und Fleisch haben wollen, dann geht raus aufs Land, kauft Bauernhöfe und lasst diese bewirtschaften. Oder findet Wege, wie ihr das Einkommen der Landwirte sichert, während diese auf Bio umstellen. Denn das können wir tatsächlich tun. Ich bin zwar kein Banker, aber meine Vermutung ist, dass es darauf sicher eine bessere Rendite gibt als auf eure Spareinlagen, das Sparbuch oder die Mieteinnahmen.

Und – ja, wir können die Weichen für diese Aktivitäten günstig stellen, wenn wir geneigtere Politiker:innen für solche Ideen wählen statt derer, die den Status quo fortführen wollen, weil sie nicht anders können.

Boris Gloger schreibt über Agiles Management, neues Arbeiten

Boris Gloger ist Gründer und Geschäftsführer der Managementberatung borisgloger consulting und gilt in der DACH-Region als Pionier des agilen Arbeitens. Sein Wissen teilt er als Autor zahlreicher Bücher sowie als Keynote Speaker auf internationalen Podien.

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