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Wie man die Kunden der Zukunft begeistert

Die Digitalisierung ist allgegenwärtig. Doch sie ist nicht alles. Sie ist vielmehr Mittel zum Zweck. Um Herz und Seele der Kunden zu berühren, muss sich technologisches Können mit sozialer Intelligenz und Menschlichkeit paaren. Gerade weil wir immer mehr von Digitaltools umgeben sind, verstärkt sich unsere Sehnsucht nach Momenten, in denen es menschelt. Die Serviceexpertin Sabine Hübner bezeichnet diese als „Menschmomente“.

Aus Sicht des Kunden betrachtet

Über den Erfolg eines Unternehmens entscheiden nicht Produkte und Technologien, sondern zahlungswillige Kunden. Mit ihren Kaufentscheidungen stimmen diese tagtäglich darüber ab, ob ein Anbieter überlebt oder nicht. Pure Technologie kann allenfalls kurzfristig begeistern. Zudem ist Technologie nicht exklusiv. Deshalb ist sie schnell imitiert. So sorgt sie bestenfalls nur sehr temporär für einen Wettbewerbsvorteil.

Auch Produkte per se sind ruck, zuck kopiert. Zudem sind sie leicht vergleichbar. Hierdurch geraten sie sofort in den Preiswettbewerb. Und im Preiswettbewerb verliert jedes Produkt sein Charisma. Customer-Experiences hingegen und personalisierte Servicemomente sorgen für Differenzierung, für Individualisierung, für Emotionalisierung – und damit für Aufpreisbereitschaft, für Kundentreue und fürs Weiterempfehlen.

Kundennähe in der Chefetage

Nicht nur physische Produkte, auch reine Onlinedienste müssen sich in das reale Leben der Menschen gut integrieren. Doch vielerorts haben die Manager in den Unternehmen noch nie mit Kunden gesprochen. Deshalb fallen viele Entscheidungen auch so theoretisch aus. Sogar im Marketing sitzen fast ausschließlich Book-Smarts. Ihre Kunden kennen sie nur noch von Charts. Endlos brüten sie über Daten und nennen das „Customer Insights“. Wie die Menschen im wahren Leben mit dem Gekauften hantieren, das haben sie nie erforscht. Dafür ist ihnen ihre Zeit viel zu schade.

Doch Kundenversteher kann man nur werden, wenn man rausgeht zum Kunden und dessen Lage wirklich hautnah durchlebt. Also dann: Raus aus dem Elfenbeinturm, runter vom Feldherrenhügel, weg von den Dashboards, um eine typische Customer-Journey, die Kundenreise durch die Unternehmenslandschaft, mal höchstpersönlich zu durchlaufen und zu erspüren, wie es den Kunden tatsächlich ergeht. So hat ein Hersteller von Inkontinenzprodukten seine Manager angewiesen, eine Woche lang rund um die Uhr Erwachsenenwindeln zu tragen – und diese auch zu verwenden.

Maximale Individualisierung

Jemand Besonderes sein: Das ist es, was Menschen goutieren. Statt Allerweltlösungen und Massenware rückt die maximale Individualisierung nach vorn. An perfekt auf uns zugeschnittene Angebote, die dank kontextbezogener Daten, künstlicher Intelligenz und ausgeklügelter Tests zu Volltreffern werden, haben wir uns längst gewöhnt. Früher hatten alle die gleiche Schallplatte, heute hat jeder seine ganz persönliche Playlist.

Das Standardsegment erodiert. Je personifizierter das Produkt, desto höher sind die Absatzchancen. Losgröße 1: Customization wird zum neuen Erfolgsformat. Wir wollen uns mit Dingen umgeben, die unserer Identität Ausdruck verleihen. Dabei spielen das Selbstgestalten und die eigene Kreation („I made it myself!“) eine zunehmend wichtige Rolle. Doch bisweilen braucht man dabei eine helfende Hand. Zum Beispiel?

Das assistierende Verkaufen

Sicher kann fast jeder im Web ein Wunschprodukt vorkonfigurieren. Das macht Spaß und schafft erste Erfolgserlebnisse, die man gern mit anderen teilt. Geht es dann aber um komplexe Details, wird gern fachkompetente Hilfe hinzugezogen. So wird das assistierende Verkaufen fortan eine wichtige Rolle spielen. Dies wird über Contact Center passieren, in denen Menschen arbeiten, die extrem gut ausgebildet sind und richtig viel von einer Sache verstehen. Denn bei vorinformierten Kunden werden die Fragestellungen kniffliger – und die Anliegen werden komplexer.

Die Zukunft des Vertriebs findet im digitalen Raum und am Telefon statt, nicht nur bei der Betreuung, sondern auch bei der Akquise. Der neue Trend heißt D2C (Digital to Customer). Spätestens seit der Coronakrise sind Verhandlungen via Zoom & Co Usus. Offline-Events und Verkaufspräsentationen werden zunehmend durch virtuelle Aktivitäten, Videos und Webinare ersetzt. Dass das technisch perfekt laufen muss, ist aus Kundensicht selbstverständlich ein Muss. Die Art und Weise, wie die Mitarbeiter in digitalen Erlebnisräumen mit den Kunden interagieren, DAS ist entscheidend.

Der Kunde hat „Liquid Expectations“

Ein perfekter Service ist komplett frei von jeglicher operativer Unannehmlichkeit – aus Kundensicht obligatorisch. Ich nenne das die „Nulllinie der Zufriedenheit“. In Zufriedenheit steckt Friede, also kein Ärger, kein Stress. Doch das reicht nicht. Damit eine Kundenerfahrung weitererzählt wird, braucht es Momente des „Wow!“. Aus Kundensicht ist dabei auch relevant, was man im Fachjargon „Liquid Expectations“ nennt: Nicht der Servicelevel, der in einer Branche üblich ist, sondern der beste Service, den ein Kunde je erlebt hat, wird seine zukünftige Messlatte sein.

Will heißen: Den Weltklasse-Servicelevel, den man als Kunde bei Firma x erhält, erwartet man in Zukunft von allen Unternehmen in allen Branchen. Weil Firma x bewiesen hat, dass es machbar ist. Zum Beispiel heißt es bei Amazon: „Wenn du ein Problem mit uns hast, brauchst du nicht in unserer Warteschleife zu hängen, bis wir Zeit für dich haben. Wir rufen dich vielmehr zurück, und zwar sofort, oder, wenn dir das lieber ist, erst in 15 Minuten.“ Und das ist nicht nur ein Serviceversprechen. Es klappt, ich habe es ausprobiert. Der Rückruf, den ich wollte, kam nach genau 15 Minuten.

Eine ausgefeilte Servicearchitektur

Die zunehmende Dematerialisierung, die die Digitalisierung mit sich bringt, verlagert viele Aktivitäten in den Dienstleistungsbereich. Man kauft kein Produkt mehr, sondern zahlt für den Gebrauch. Eine ausgefeilte Servicearchitektur ist dafür elementar. Hierbei wünschen sich die Kunden modernste Technologien, möchten aber zugleich bei Bedarf die Beratungskompetenz eines menschlichen Mitarbeiters nutzen. So wandelt sich der Service auch für den Controller (hoffentlich) endlich vom Kosten- zum Profit-Center.

Was auch immer am Ende das Kundenproblem ist, es sollte im ersten Anlauf gelöst werden können, möglichst in Echtzeit und ohne viel hin und her. „First Contact Resolution“ nennt man das im Fachjargon. Dabei wird die klassische Hotline durch digitale Live-Chats, Videoberatung, Co-Browsing und Chatbots unterstützt. Dies verlangt im Hintergrund, dass alles ohne Bruchstellen miteinander verbunden ist. Wenn Sprachbots auf der Basis von selbstlernenden Algorithmen dann künftig immer besser werden, wird der direkte Kundenkontakt in vielen Situationen nicht mehr gebraucht.

Wenn wir ihn aber dann einmal brauchen, dann muss er außergewöhnlich sein. „Sie sprechen jetzt mit einem Menschen“ kann und muss zu einem Qualitätsmerkmal werden. Wer seine Mitarbeiter nämlich komplett durch Chatbots ersetzt, riskiert, dass er Kunden verliert. Die menschliche Komponente bleibt auch in Zukunft von hoher Bedeutung. Um sicherzustellen, dass an allen Touchpoints alles reibungslos klappt, ist ein Customer-Touchpoint-Manager unentbehrlich. Das nächste Ausbildungsprogramm: vom 10. - 12. Feb. 2022 in München

Anne M. Schüller schreibt über Touchpoint Management, Unternehmensführung, Kundenorientierung

Anne M. Schüller ist Managementdenker, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. Die Diplom-Betriebswirtin gilt als führende Expertin für das Touchpoint Management und eine kundenfokussierte Unternehmensführung. Zu ihrem Kundenkreis zählt die Elite der Wirtschaft.

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