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Wie Öko-Pioniere die Welt verändern

„Sagen kann man viel, am Ende ist das tägliche Tun ausschlaggebend“, schreibt der Journalist Jens Brehl, der ausgewählte Bio-Pioniere aus unterschiedlichen Branchen in ganz Deutschland getroffen hat, um zu erfahren, was aus ihnen geworden ist. Er wollte die Philosophie fernab der Marketingsprache selbst erleben und spüren. Inzwischen sind Bio-Lebensmittel in fast jedem Supermarkt zu finden. Nur wenige Jahrzehnte zuvor sah das noch anders aus.

Damit sich „bio“ in unserer Gesellschaft so tief verankern konnte, mussten viele Widerstände überwunden werden.

Wie haben es zunächst einige Wenige geschafft, „bio“ in unserer Gesellschaft zu verankern? Welche Ideen haben die Gründer*innen bewogen, ihren eigenen Weg zu gehen? Welche Hindernisse mussten überwunden werden? Was leisten diese Pioniere und Vorreiterinnen noch heute täglich für uns? Wie kann es gelingen, die ursprünglichen Ideale im rauen Wirtschaftssystem zu bewahren. Diesen Fragen geht er in seinem Buch „Für unsere Zukunft“ nach. Unter den vorgestellten Pionier*innen der ökologischen Land- und Lebensmittelwirtschaft, sind Rapunzel, Naturkost, Andechser Molkerei Scheitz, Hofpfisterei, Herrmannsdorfer Landwerkstätten, Voelkel Naturkostsafterei, tegut Lebensmittelmarkt und viele mehr.

„Wenn wir 20 Prozent, vielleicht eines Tages 50 Prozent unseres Lebens verändern, ist das gut. Wenn wir dabei froher sind als zuvor, ist die Übung gelungen“, sagt Georg Schweisfurth, der sich auch als Öko bezeichnet, aber als solcher leider oft an 100 Prozent gemessen und meistens von Nicht-Ökos sofort kritisiert wird, wenn er etwas Unökologisches tut (zum Beispiel mit dem Auto statt mit der Bahn reist). Immer wieder wird dann in seinen Publikationen nach Formulierungen gesucht, mit denen seine „wahre“ Gesinnung bewiesen werden kann. Wer immer das Absolute will, wird die Welt niemals verbessern können. Auch das lässt sich von Öko-Pionieren lernen. Allerdings reicht es nicht, „nur“ ein Pionier und der Erste im Markt zu sein und dafür zu sorgen, dass sich Geld- und Warenproduktion fortlaufend vermehren. Mit nachhaltigem Wirtschaften hat das nichts zu tun. Ein Unternehmen hat Kunden, Mitarbeitern, Eigentümern und der Gesellschaft zu „dienen“. Gefragt ist, wer als Verantwortlicher diese dreifache Verantwortung managt.

Heute sind es vor allem die Öko-Pioniere, deren Weitsicht besonders geschätzt wird. „Es geht um die Einsicht, dass man den Einklang zwischen Wirtschaftlichkeit, sozialen und ökologischen Belangen schaffen kann“, sagt Katharina Reuter, Geschäftsführerin von UnternehmensGrün, dem Bundesverband der grünen Wirtschaft, dem es um dezentrale Wirtschaftsstrukturen, um die kleinen und mittleren Unternehmen geht, die regional verankert sind und Arbeitsplätze schaffen. Mitglieder sind auch bekannte Pioniere aus der Nachhaltigkeitsbranche wie etwa die GLS Bank, oekom, taz, die memo AG, EWS Schönau oder Naturstrom.

Was Öko-Pioniere gemeinsam haben

  • Ursprünglich sind sie angetreten, um die Welt zu verändern.

  • Für sie gilt der Satz von Gandhi in besonderer Weise: „Erst belächeln sie dich, dann bekämpfen sie dich und dann folgen sie dir!“

  • Sie zeichnen sich durch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale aus (z.B. selbstreflektive Vernunft, positive Einschätzung der eigenen Handlungsfähigkeit, Ausdauer, Kontinuität und Resilienz).

  • Sie sind Gestalter des nachhaltigen Wandels.

  • Sämtliche Stakeholder werden bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien sowie bei deren Umsetzung eingebunden.

  • Sie thematisieren offen und konstruktiv Herausforderungen und Zielkonflikte bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen.

  • Sie stellen systematisch die Sortimentsgestaltung und deren Orientierung an ökologischen und sozialen Kriterien dar.

  • Sie geben sich niemals mit dem Erreichten zufrieden.

  • Die „Enkeltauglichkeit“ aller Maßnahmen bleibt auch weiterhin oberste Maßgabe der Unternehmen.

Die „neuere“ Geschichte der Öko-Pioniere beginnt in den späten 1960er Jahren.

Sie findet ihren Ausdruck in den Studenten-, Anti-Atomkraft- und Friedensbewegungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete sich unter dem Einfluss der Lebensreformbewegung und der von Rudolf Steiner begründeten Anthroposophie der ökologische Landbau heraus, den die Umweltaktivisten für sich entdeckten. Die Sorge um die Gesundheit der eigenen Kinder war bei vielen Öko-Pionieren der Auslöser, um bisherige Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und die individuell wertgeprägten Unternehmenskonzepte entsprechend auszurichten. Viele Öko-Unternehmer waren auch maßgeblich an der Gründung regionaler Vermarktungsstrukturen wie Erzeugergemeinschaften beteiligt oder engagieren sich in ökologischen und sozialen Projekten. Dazu finden sich viele Beispiele im Buch von Jens Brehl.

In den großen Kontext der Öko-Pioniere gehört aber auch ein Unternehmen, das gerade sein Jubiläum begangen hat: Im März 1991, vor genau 30 Jahren, startete die heutige memo AG als „memo – der Firmenausstatter für Umweltbewusste“ ins Versandhandelsgeschäft. Die Verwendung von umweltfreundlichen Produkten war zu dieser Zeit auch ein politisches Statement. Allerdings wollte sich das Unternehmen nie in eine politische oder ideologische Ecke stellen lassen: Ziel war es, das Verwenden von umweltverträglichen Produkten zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Die Strategie lautete „Kein Öko-Bonus“.

Was damals mit einem kleinen Sortiment an umweltverträglichen Büroartikeln und Schreibwaren – vorwiegend aus „Umweltschutzpapier“ - ausschließlich für Gewerbekund*innen begann, ist heute ein erfolgreiches mittelständisches Unternehmen mit über 20.000 umwelt- und sozialverträglichen Produkten für Gewerbe- und Privatkund*innen. Bürobedarf und –möbel sowie Werbeartikel und weitere Alltagsprodukte bleiben ein wichtiger Bestandteil des Sortiments. Mittlerweile gehören aber auch Naturkosmetik, nachhaltige Textilien und energieeffiziente oder wiederaufbereitete Technik zum Produktportfolio. War die Auswahl der Produkte vor 30 Jahren noch recht überschaubar, gibt es heute für (fast) jedes Produkt eine nachhaltige Alternative. „Sorgfältig wird jedes Produkt prüft, bevor es ins Sortiment genommen wird. Relevant sind dabei u.a. nicht nur die verwendeten Materialien, eine ressourcenschonende Herstellung und sozialverträgliche Arbeitsbedingungen in der Produktion, sondern auch die Recyclingfähigkeit und die Verpackung der Produkte“, sagt Claudia Silber, die hier die Unternehmenskommunikation leitet.

Das Prinzip des Anpackens und Handelns wird auch in Zukunft weitergeführt. Die Weichen dafür wurden durch strukturelle Maßnahmen vor zwei Jahren und durch einen Generationenwechsel im Vorstand zum Jahreswechsel gestellt: Der 35-jährige Henning Rook, der 2013 als Produktdatenmanager ins Unternehmen eintrat, folgte auf Mitbegründer Helmut Kraiß und leitet seit 1. Januar das Unternehmen zusammen mit Frank Schmähling und Richard Wolf.

Meilensteine seit der Gründung:

  • • Umzug 1995 von Würzburg in ein eigenes Firmengebäude in Greußenheim im Landkreis Würzburg

  • • Umwandlung der GmbH in eine Aktiengesellschaft zur Beteiligung der Mitarbeitenden am Unternehmenserfolg

  • • drei Onlineshops für verschiedene Kundengruppen

  • • seit 2003 wird alle zwei Jahre ein Nachhaltigkeitsbericht herausgegeben

  • • Einführung eines eigenen Mehrweg-Versandsystems („memo Box“) im Jahr 2009

  • • Seit 2016 wird die bestellte Ware in mittlerweile neun deutschen Städten auf der letzten Meile mit Elektro-Lastenrädern emissionsfrei, ohne Lärm und mit wenig Platzbedarf direkt zur Haustür gebracht.

  • • In ihrer „Heimatstadt“ Würzburg macht der Onlineversender eine emissionsfreie Same Day-Lieferung möglich (Elektroauto und Elektrolastenräder)

  • • „Betankung“ der Fahrzeuge mit Strom aus 100 % regenerativen Energien

Um bewussten Konsum, nachhaltige Produkte und die Bildung für nachhaltige Entwicklung gezielt zu fördern, rief Jürgen Schmidt, der ebenfalls zu den Gründern des Unternehmens gehört, 2019 die memo Stiftung ins Leben, die ihre Arbeit in den kommenden Monaten aufnehmen wird.

Weiterführende Informationen:

Öko-Onlinemagazin über bio

Jens Brehl: Für unsere Zukunft. Wie Bio-Pioniere die Welt verändern. Oekom Verlag, München 2020.

Georg Schweisfurth, Christine Koller: NACHHALTIG LEBEN FÜR ALLE. Irisiana Verlag, München 2015.

Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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