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Wie wir der Welt der dummen Dinge entkommen können

„Würde nicht so viel Überflüssiges gekauft, das uns abhängig, aber nicht glücklich macht, dann stünde es besser um die Welt!“ Wolfgang Schmidbauer

Symbole menschlicher Selbstbestimmtheit

Handwerklich hergestellte Produkte und die Verwendung traditioneller Materialien sind ein wertvolles Kulturgut und stellen eine nachhaltige Alternative zur Welt der Massenprodukte und zum schnellen Konsum dar. Der Psychoanalytiker Wolfang Schmidbauer, einer der ersten Kritiker der Konsumgesellschaft aus ökologisch-psychologischer Sicht, spricht von „klugen“ und „dummen“ Dingen, wobei sich letztlich ausgerechnet jene Dinge als „dumm“ erweisen, in die sehr viel Intelligenz investiert wurde, dass sie die Benutzer(innen) aufgrund ihrer Unzugänglichkeit „verdummen“ lassen.

In seinem Buch „Raubbau an der Seele. Psychogramm einer überforderten Gesellschaft“ widmet er sich den Verleugnungsstrategien und Verwöhnungsbedürfnissen des Homo consumens. Der moderne Mensch betreibt Raubbau an seinen physischen wie psychischen Ressourcen, was immer öfter zu einer lähmenden Erschöpfung des Ich führt: aus Homo sapiens wurde Homo consumens. Überfluss folgte Überdruss, der mit Selbstoptimierung, Schnelllebigkeit und Gier einhergeht. Leistungsdenken lässt unsere Seele verkümmern. Anstatt Probleme als Teil des Lebens zu begreifen (!), wird im schnellen (Tabletten-)Konsum gesucht.

Die Zahl der verordneten Tagesdosen von Antidepressiva ist in Deutschland massiv angestiegen. Für Schmidbauer ist diese Entwicklung in erster Linie eine Folge von konstanter Überforderung, Leistungsansprüchen und Wachstumszwängen.

Dabei ist es an der Zeit, das eigene Leben wieder sinnvoll zu machen: handwerkliches Tun wäre nach Schmidbauer ebenso ein Rezept wie Entschleunigung und die Aufwertung sozialer Kontakte. In der Summe würden wir „psychische Resilienz“ und damit jene Energie gewinnen, „die wir benötigen, um uns den Herausforderungen unserer Zeit stellen zu können.“ Auch hier geht es wie in seinem Buch „Enzyklopädie der dummen Dinge“ um die Fähigkeit, die wirklich wichtigen Dinge zu erkennen und nachhaltig zu schützen. Sie basieren auf der Sinnhaftigkeit unseres Tuns.

Die Dinge sind heute so komplex geworden, dass sie keinen sichtbaren „Meister“ mehr haben, sondern häufig aus einer intransparenten Organisation kommen. Dinge mit einer greifbaren Geschichte sind deshalb heute umso wertvoller. Zudem unterstützen sie uns darin, unsere Möglichkeiten zu stärken, einsichtig und nachhaltig zu handeln – „unsere Intelligenz zu trainieren“.

Der chilenische Dichter und Schriftsteller Pablo Neruda widmete ihnen eine Ode, in der es heißt: „Ah, soviel / reine / Dinge / hat der Mensch / entworfen, / aus Wolle, / aus Holz, / aus Glas, / aus Stricken - / Tische, wunderbare Tische, / Schiffe, Leitern. // Ich liebe / alle / Dinge, / nicht weil sie / brennen / oder / duften, / sondern / ich weiß nicht warum, / weil / dieser Ozean dir gehört, / mit gehört: / Die Knöpfe, / die Räder, / die kleinen / vergessenen / Schätze, die Fächer, / in deren Federn / die Liebe ihre / Orangenblüten / wehte, / Gläser, Messer, / Scheren - / auf allem / am Griff, am Rand, / eine Fingerspur, / die Spur / einer entrückten, / ins vergessenste Vergessen / versunkenen Hand.“

Kluge, reine Dinge zeigen uns etwas von ihrer Machart, sind langlebig und sind zugleich Symbole menschlicher Selbstbestimmtheit. Dazu gehören Fahrräder, mechanische Schreibmaschinen, Anspitzer, Füllfederhalter oder Bleistifte.

Warum der Bleistift zu den klugen Dingen gehört

Ein Bleistift sei „ein Wunder“, schrieb der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Leonard E. Read im Jahr 1958. Um ihn herzustellen, werden Wissen und die Fähigkeiten vieler Menschen benötigt: „Holzfällern in Nordkalifornien, die den Rohstoff für die Zedernhülle liefern. Minenarbeitern in Sri Lanka, die das Graphit abbauen. Chemikern im Staat Mississippi, die die Bleistiftmine weich machen, zum Teil mit Candelillawachs aus Mexiko. Und woraus wird der Lack für das glänzende Finish gewonnen? Unter anderem aus dem Öl von Rizinusbohnen, deren Anbau Expertensache ist.“ Würde Read heute eine „Geschichte namens I, iPhone oder I, E-Scooter“ schreiben, bemerkt Jochen Bittner, würden ihm diese Innovationen noch mirakulöser erscheinen. Zudem konnte er vor 60 Jahren vieles noch nicht sehen (Rohstofftransport, Einfluss auf das Klima etc.).

Für Schmidbauer gehört der Bleistift - wie sein alter Verwandter, der angeblich giftige Kopierstift - jedenfalls zu den klugen Dingen, weil sie uns über das Wesen des Schreibvorgangs belehren können. Auch echte Literaturliebhaber können ohne ihren Bleistift nicht sein. Sie merken sich beim Lesen ständig „Hausnummern", wo sie später noch einmal „vorbeikommen und anklopfen“ möchten. Für die Anglistin und Ägyptologin Aleida Assmann bedeutet Lesen, „den linearen Strom der Buchstaben in ein sichtbares Gewebe zu verwandeln. Text heißt ja nichts anderes. Die Quer- und Längsfäden verfolgen, dem Geheimnis der verborgenen Zusammenhänge nachgehen, das Ganze in räumliche Anschaulichkeit verwandeln." (Cicero, 15.10.2009) Wer einen schönen Bleistift verschenkt, liefert diese wundersamen Fäden, die sich durchs eigene Leben ziehen, gleich mit und zeigt dem anderen seine besondere Zuneigung.

Wer nachhaltige Bleistifte sucht, sollte auf FSC-zertifiziertes Holz achten und eine nachhaltige Verpackung (z.B. Recyclingkarton). Astbleistifte, die beispielsweise von Ökoversendern angeboten werden, sind aus europäischem Linden- oder Haselnussholz aus Durchforstungsbeständen hergestellt. Für die Herstellung wird nachhaltiges Durchforstungsholz eingesetzt (Quelle: memolife).

Christine Arlt und Ulrich Riedel haben eine Technologie aus der Luft- und Raumfahrt abgewandelt, so dass damit Design-Produkte hergestellt werden können – aus alten Kleidungsstücken und aus Naturfasern. Das Material ist formbar wie Plastik und natürlich wie Jute, Flachs oder Baumwolle. Dazu wird ein Abfallprodukt des Zuckerrohrs gegeben und daraus unter Druck und Hitze ein leichtes (wie Carbon) und stabiles Material (wie Holz) „pultrudiert“. Das erste Produkt sind Bleistifte, die über alle Kontinente hinweg reale Geschichten erzählen sollen. Das Material enthält keine fossilen Ressourcen wie Erdöl und die Produktion ist nahezu abfallfrei.

Flugtaugliche Kugelschreiber gehören für Schmidbauer beispielsweise zu den dummen Dingen, weil sie teuer sind, zudem verlässt sich die Massenware auf die Schwerkraft und „versagt entsprechend schnell und radikal“. Wer heute ausschließlich in die Automatik vertraut, lässt wichtige Fähigkeiten verkümmern, weil die geistige Auseinandersetzung mit den Dingen nicht mehr stattfindet. „Solange das Streben nach Perfektion handwerklich geordnet bleibt, schadet es nicht. Sobald es sich aber auf Gefühle, Beziehungen, Charaktereigenschaften oder soziale Anerkennung richtet, wird es zum Verhängnis“, so Schmidbauer. Es geht nicht darum, heute die Hände freizuhaben für die viel beschworenen wichtigen Dinge, sondern sie nachhaltig zu nutzen, um die Welt in ihrem Wesen zu be-greifen und mit den richtigen Werkzeugen, die auch unsere motorischen Fähigkeiten schulen, zu gestalten. Damit Homo sapiens den Homo consumens überleben kann.

Weiterführende Informationen:

Jochen Bittner: Das Wunder Bleistift. In: DIE ZEIT (8.8.2019), S. 9.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Von Lebensdingen: Eine verantwortungsvolle Auswahl. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Circular Thinking 21.0: Wie wir die Welt wieder rund machen (mit Claudia Silber) Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Wolfgang Schmidbauer: Enzyklopädie der Dummen Dinge. Oekom Verlag München 2015.

Wolfgang Schmidbauer: Raubbau an der Seele. Psychogramm einer überforderten Gesellschaft. Oekom Verlag, München 2017.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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