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Wir können und sollten Corona auch digital bekämpfen!

Corona ist nicht die erste Pandemie, die uns global bedroht und es wird sicher auch nicht die letzte sein. Aktuell wird diskutiert, ob und wie Daten bei der Bekämpfung von globalen gesundheitlichen Herausforderungen unterstützen können. Ein bekanntes Beispiel sind die “Google Flu Trends”, in denen auf Grundlage von Suchanfragen nach typischen Symptomen die Verbreitung von Grippewellen verfolgt werden konnte. Daten sind für Vorhersagen und vorausschauendes Handeln essenziell wichtig. In den letzten Wochen hörte man immer öfter, dass unsere Politiker “auf Sicht fliegen” oder “im Dunkeln tappen”. Grund dafür sind fehlende bzw. zuverlässige Daten.

COVID-19 stellt uns vor ganz neue globale Herausforderungen und wir alle erleben gerade die Auswirkungen. Die Welt steht still, unser soziales Leben ist stark eingeschränkt, viele Unternehmen melden Kurzarbeit an, andere gleich Insolvenz. Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze. Kinder dürfen nicht mehr in die Schule. Senioren sind in den Altenheimen isoliert und besonders gefährdet. Häusliche Gewalt steigt stark an.

Wir sollten alle verfügbaren Möglichkeiten, Corona einzudämmen, ernsthaft und sachlich prüfen. Dazu zählt auch die Nutzung von Daten, die über online Dienste und Smartphones gewonnen werden können. Doch wie immer, wenn es um Daten geht, beginnen besonders in Deutschland die Diskussionen rund um das Thema Privatsphäre und Datenschutz. Dabei geht es in erster Linie um folgende Frage: Wollen wir unsere Smartphones und die anfallenden Daten nutzen, um diese und die sicher kommende nächste Pandemie deutlich schneller und effektiver in den Griff zu bekommen oder lehnen wir diese Datennutzung einfach pauschal ab?

Wenn es um Daten geht, haben wir leider das Diskutieren verlernt

Leider haben wir hierzulande in den letzten Jahren das Diskutieren verlernt. Viele Technologien werden pauschal abgelehnt, ohne dass eine auf Fakten basierende breite gesellschaftliche Debatte möglich wäre, der Atomausstieg ist hier ein gutes Beispiel.

Das wesentliche Ziel einer Pandemie-App ist es, die regionale Ausbreitung zu verfolgen, darauf basierend Nutzer zu informieren und somit letztlich Infektionsketten zu unterbrechen und damit die Ausbreitung einer Pandemie zu verlangsamen. Inzwischen wissen wir, dass die Ausbreitung in Nordeuropa zu großen Teilen vom Skigebiet Ischgl ausging. Man kann sich kaum vorstellen, wo wir heute stehen würden, wenn es eine Pandemie-App vor einigen Wochen bereits gegeben hätte.

Das Allgemeinwohl steht über sachlich unbegründeten Bedenken

Ich halte eine solche App für sehr, sehr sinnvoll, zumindest für alle, die am öffentlichen Leben teilhaben wollen. Hier steht das Allgemeinwohl unserer Gesellschaft in meinen Augen über den sachlich unbegründeten Bedenken einzelner.

Lasst uns also sachlich und umfänglich darüber sprechen, wie wir eine "Bundes-Pandemie-App" intelligent und zuverlässig bauen können, in einem ruhigen Ton. Denn einfach pauschal "Nein" zu Big Data in diesem wichtigen Bereich zu sagen, greift zu kurz und ist schlichtweg nicht durchdacht.

Es ist technisch möglich, eine App zu bauen, die unsere Privatsphäre nicht angreift und uns dennoch die Chance gibt, unser aller Leben in Zeiten einer globalen Herausforderung drastisch zu verbessern. Es ist möglich, die Daten technisch und mathematisch so weit zu schützen, dass keine zentrale Instanz Zugriff darauf erhalten kann.

Möglich wird dies durch ein sogenanntes P2P-Netzwerk, bei dem die Endgeräte auf der obersten Ebene untereinander per Bluetooth verbunden sind. Die so gewonnen Daten würden gefilterten und anonymisiert, bevor sie dann auf einem zentralen europäischer Server gespeichert und verarbeitet werden. Die Daten auf dem Zentralserver ließen sich nicht zurückverfolgen und wären somit für keine zentrale Instanz einsehbar. Sie würden lediglich dazu dienen, bei Bedarf die entsprechenden Endgeräte zu informieren. Unbedingte Voraussetzung sollte zudem sein, dass alle verwendeten Module Open-Source sind, sodass sie unabhängig beurteilt werden können. So ließe sich sowohl technisch als auch organisatorisch eine 100 % sichere, datenschutzkonforme App entwickeln.

Ein europäischer Open-Source-Ansatz, der Daten und Gesundheit schützt

Das “Pan-European Privacy-Protecting Proximity Tracking” Projekt macht genau das. Die Organisation stellt einen Technologie-Baukasten für “Corona Apps” zur Verfügung. Mehr als 130 europäische Organisationen und Unternehmen sind an PEPP-PT beteiligt. Genauso, wie sich das Coronavirus nicht von Ländergrenzen aufhalten lässt, funktioniert auch das Framework grenzüberschreitend. Datensparsamkeit und Transparenz sind dabei die obersten Prämissen. Dazu gehört auch, dass der gesamte Code offengelegt werden wird. Konkrete Apps auf dieser technischen Grundlage gibt es noch nicht, aber sie sind in Entwicklung, mit einer ersten Bundes-Corona-App wird laut des Robert-Koch-Instituts (RKI) und des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Mitte April gerechnet. Sie sind ebenfalls an PEPP-PT beteiligt.

Das brilliante an PEPP-PT: Jeder kann durch den Open Source Ansatz seine eigene App programmieren, es wäre sogar ein SDK denkbar, das bestehende Apps mit einer Zusatzfunktion ausstattet. Dennoch landen alle so gesammelten Daten am Ende auf dem gleichen, europäischen Zentralserver, der als Basis dieses Netzwerkes fungiert. So wäre gewährleistet, dass auch unterschiedliche Apps miteinander verknüpft sind. Es muss nicht ganze Europa ein und dieselbe App nutzen - und dennoch könnte ganz Europa auf ein und dieselben, anonymisierten Daten zurückgreifen, um diese und die unweigerlich bevorstehenden, nächsten Pandemien schnell und effektiv in den Griff zu bekommen.

Europa kann in der COVID-19 Krise zeigen, dass es gemeinsam unabhängig von den amerikanischen und asiatischen Konzernen agieren und selbst neue Technologien entwickeln kann, die nicht nur jetzt, sondern auch bei der Bekämpfung zukünftiger Pandemien ihren Beitrag leisten können.

Und so bietet auch diese Krise ihre Chance. Nutzen wir sie! Weiterführende Links:

Projekt-Website: ​https://www.pepp-pt.org/

Einer der Technologie-Köpfe hinter dem Projekt: Chris Boos ​https://twitter.com/boosc​ im ​t3n Interview​.

Unterstützung des BMWi zB durch Thomas Jarzombek ​https://twitter.com/tj_tweets​ hier im ​​ARD Interview​.

Frank Thelen schreibt über Startups, Tech, Innovation, Venture Capital

Ich baue seit knapp 30 Jahren Technologie- und Design-getriebene Unternehmen auf. Mit Freigeist Capital investiere ich in frühphasige Deeptech-Unternehmen wie Lilium Aviation. Seit 2021 bin ich CEO von 10xDNA Capital Partners. 10xDNA bietet Investoren Fonds mit Technologie-konzentrierten Portfolios

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