Wohngesundheit: Warum Gift häufig in der Luft liegt - und was Unternehmen dagegen tun
Bereits in den 1970er Jahren gab es erste Aktivitäten zum Thema Wohngesundheit, nachdem Erkenntnisse über Gesundheitsgefahren aus Holzschutzmitteln und Dämmstoffen die Menschen beunruhigten. Das Buch „Wohngifte: Handbuch zur kritischen Auswahl der Materialien für gesundes Bauen und Einrichten“ (1984) von Wulf-Dietrich Rose wurde damals zu einem Bestseller. In der Folge entstanden in Deutschland viele Institute für Baubiologie, zudem wurden Alternativbaustoffe und neue Technologien entwickelt. In den 1990er Jahren kam der Begriff „Green Building“ auf – stark zugeschnitten auf die Themen Ökologie und Energieeffizienz.
Im September 2017 hat die Europäische Kommission die Pilotphase für „Level(s)“ eingeleitet, einen neuen EU-Rahmen für nachhaltige Gebäude, der zum Wandel im Bausektor beitragen soll. Es ist das erste Instrument dieser Art, das zur Verwendung in ganz Europa entwickelt wurde. Es stellt Leistungsindikatoren für Bereiche wie Treibhausgasemissionen, Ressourcen- und Wassereffizienz sowie Gesundheit und Wohlbefinden in den Mittelpunkt. Ziel ist die Schaffung einer „gemeinsamen Sprache“ zum Thema „Nachhaltiges Bauen in der Praxis“, wobei die Debatte über bloße Energieeffizienz hinausgeht.
Bis zu 90 Prozent unserer Zeit verbringen wir in geschlossenen Räumen. Hier ist die Luft nicht immer rein, denn nach einer Einschätzung der Kommission für Innenraumlufthygiene des Bundesumweltamtes sind sie oft stärker mit Feinstaub und Schadstoffen belastet, als die Luft draußen vor der Tür. Denn hier gesellen sich oft noch potenziell gesundheitliche Substanzen hinzu, die aus Möbeln, Bodenbelägen, Wandfarben und Elektrogeräten austreten. Kopfschmerzen oder Unwohlsein können ihre Ursache in den verwendeten Baumaterialien sein.
Jeder fünfte Deutsche leidet inzwischen an Allergien, denn auch aus Möbeln, Wänden und Fußböden dünsten häufig Stoffe aus, die krank machen. Ist in der Küche beispielsweise ein alter PVC-boden verlegt, kann der Verdacht bestehen, dass er asbesthaltig ist. Linoleum dagegen besteht zumeist aus natürlichen Materialien, wenn es im baubiologischen Fachhandel bezogen wird.
Viele Emissionen sind geruchlos und können mittel- und langfristig zu schweren gesundheitlichen Problemen führen. Da sich Radon-Atome nicht binden, können sie sich im Erdboden frei als Radongas bewegen und von hier aus in die Atemluft gelangen. Es ist so natürlich wie Erdgas, unsichtbar, geruchlos und geschmacklos. Und es ist per se nicht giftig, allerdings zerfallen Radonatome in die radioaktiven Folgeprodukte Polonium, Blei und Wismut - und diese schweben in der Atemluft. Sie können beim Einatmen in die Lunge geraten, sich auf dem Lungengewebe ablagern und dieses bestrahlen. Das kann Lungenkrebs zur Folge haben. Die Bedrohung durch Radon im Gebäude kann durch wirkungsvolle, teilweise recht einfache bauliche Maßnahmen vermindert werden (beispielsweise Abdichtung der Bodenplatte oder Radondrainagen).
Auch Schimmel ist nicht ungefährlich. Wenn er sich ausbreitet, kann er zum Auslöser von Allergien, Atemwegsbeschwerden, chronischer Müdigkeit und sogar Herzrhythmusstörungen werden. Einige Schimmelarten sind sogar toxisch für den menschlichen Organismus und können schwere Erkrankungen hervorrufen.
Die kalifornische Umweltbehörde California Air Resources Board (CARB) hat die deutsche Autoindustrie tief erschüttert. Der Diesel-Gate wirkt noch immer nach. Doch droht nun auch ein Formaldehyd-Gate? Das, was zuweilen aus Möbeln ausdünstet, ist nicht weniger schädlich als das, was aus dem Autoauspuff kommt. Bereits Ende der 1980er Jahre widmete sich Öko-Test erstmals dem Thema Formaldehydausdünstungen aus Möbeln, weil Kunden über Beschwerden wie brennende Augen und Husten klagten. Formaldehyd ist ein farbloses, stechend riechendes Gas, das bei hoher Konzentration in der Raumluft beim Menschen Allergien, Haut-, Atemwegs- oder Augenreizungen verursachen kann.
Seit dem 1. April 2015 wird es in der EU als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. In den USA ist Formaldehyd seit 2011 als krebserzeugend eingestuft, und seine Nutzung wurde stark eingeschränkt. Trotz zahlreicher Bemühungen sind etliche Möbel deutscher Anbieter noch vielerorts Schadstoffschleudern. Spanplatten sind das mengenmäßig wichtigste Produkt unter den Holzwerkstoffen. Spätestens seit Herbst 2017 steht das Thema CARB2 (die Übertragung der seit 2009 in Kalifornien geltenden Regelung auf die gesamten USA) im Branchenfokus. CARB2 wurde 2010 in Kalifornien noch unter Arnold Schwarzenegger eingeführt. Zu dieser Zeit wurden nicht nur die Grenzwerte der Formaldehydemission geregelt, sondern auch die werkseigene Qualitätskontrolle sowie die externe Kontrolle durch die „Third Party Certifiers“ geregelt. Die Regelungen sind verpflichtend für alle Hersteller, Importeure, Verarbeiter, Händler und Zertifizierungsstellen, die mit Holzwerkstoffprodukten.
Nach Entscheidungen der Umweltbehörde soll der CARB2-Standard (US EPA) seit Dezember 2018 im gesamten US-Gebiet gelten. Anfang September 2017 wurden die Termine um ein Jahr nach hinten verschoben. In Deutschland stellte sich vor dem hintergrund dieser entwicklung die Frage die Frage: Sollen die Unternehmen umstellen oder nicht? Einige Hersteller wie Häcker Küchen, deren Hauptmärkte Europa, Asien und Australien sind, haben bereits reagiert und ihre Produktion umgestellt. Die Umstellung des Holzwerkstoffeinsatzes betrifft hier die komplette Produktpalette.
In Zusammenarbeit mit Holzwerkstoffherstellern und den Lieferanten von Halbfabrikaten wurden die Lieferungen umgestellt und die Lagerbestände ausgetauscht. Das Unternehmen kennzeichnet sein auf formaldehydreduzierte Holzwerkstoffe umgestelltes Küchenprogramm mit dem Label „PURemission“. Die Begriffsführung hat Häcker bei der im Verlauf des Jahres 2013 vorgenommenen Umstellung auf die PUR-Verleimung von Dickkanten eingeführt. Diese als Alternative zur Lasertechnologie ausgewählte Verleimungsart wird vom Unternehmen unter der Bezeichnung „PURresist“ kommuniziert.
Pfleiderer Holzwerkstoffe führt bereits seit 2009 das CARB-Zertifikat. Das wirkt sich allerdings auch auf die Preise aus, denn die verschiedenen Leimsysteme erfordern jeweils angepasste Produktionen, was wiederum Einfluss auf den Herstellungsprozess und den höheren Preis im Endprodukt hat. Nachhaltigkeit ist billig nicht zu haben, denn Produkte zu einem niedrigen Preis sind heute meistens mit einer schlechten Ökobilanz, Lohn-Dumping, Kinderarbeit und verantwortungslosen Unternehmenspraktiken verbunden.
Während in der Wohnmöbelbranche häufig noch auf eine Verzögerungs- oder Verdrängungstaktik gesetzt wird, machen einige Küchenmöbelhersteller Nägel mit Köpfen. Das bestätigt auch ein Recherchebericht, der sich mit der Frage beschäftigt, wie Küchenhersteller mit dem Thema Nachhaltigkeit umgehen und ob sie CARB2 berücksichtigen. Gefragt wurde u.a. nach der Verankerung des Themas Nachhaltigkeit in der Unternehmensphilosophie, nach dem Commitment der Geschäftsführung und nach der jeweiligen Nachhaltigkeitsstrategie.
Das Ergebnis: Fast alle Unternehmen haben hier lediglich Einzelmaßnahmen, Zertifikate oder Definitionen aufgelistet, die jedoch keinen strategischen Ansatz erkennen lassen. Die meisten deutschen Küchenhersteller werben mit dem Qualitätssiegel „Made in Germany“. Es sind kaum Ansprechpartner für Nachhaltigkeit zu finden, sondern nur allgemeine Unternehmensinfoadressen. In der Rubrik „Gütezeichen“ finden sich meistens Hinweise auf das GS-Zeichen sowie die PEFC-oder FSC-Zertifizierung.
Nach Angaben der Häcker Geschäftsführung hat das Thema Umwelt auch vor dem Hintergrund CARB2 derzeit besondere Priorität. Deshalb wird auch am Aufbau eines Umweltkennzahlensystems gearbeitet: Hier können betriebliche Umweltdaten zu aussagekräftigen Schlüsselinformationen verdichtet und miteinander verglichen werden. Dazu ist die regelmäßige Fortschreibung und Weiterentwicklung der Kennzahlen maßgeblich erforderlich, um entsprechende Wirkungen durch Maßnahmen zu erfassen und abzubilden. Dies ermöglicht, die eigenen Umweltziele festzulegen und quantifizierbar zu machen, um den betrieblichen Umweltschutz kontinuierlich zu verbessern.
Häcker Küchen hat im Mai 2019 auf der Messe küchenwohntrends in Salzburg ein Szenario aus alpenländischer Tradition und modernen Küchen gezeigt unter dem Motto: „Versuch‘s mal mit Gemütlichkeit“. Für Gisela Rehm, die als Marketingleiterin maßgeblich an der Standgestaltung mitwirkte, zeigt sich in einer solchen Kombination das Wesen der Nachhaltigkeit, die Natur und Kultur einschließt. Als gemütlich empfinden wir das, was uns aufnimmt und ein Wohlgefühl vermittelt – und was uns bewusst macht, wie wichtig es ist, die Dinge um uns pfleglich zu behandeln.
Weiterführende Informationen:
Qualität aufgewertet. In: WORK. kitchen. Nr. 12 (Dezember 2017), S. 42-45.