Zeitbombe unter den Füßen: Zum Weltbodentag 2019
Kaum jemandem ist bewusst, dass es fast zweitausend Jahre dauert, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden wächst. Allein in Deutschland gehen täglich Bodenflächen in der Größe von über hundert Fußballfeldern verloren. Schwermetallhaltige Dünger, Pestizide, ein exzessiver Stickstoffeintrag, Rückstände von Antibiotika und anderen Medikamenten belasten unsere Böden, und niemand weiß, was dieser Cocktail, aus dem wir unsere Nahrung beziehen, letztlich anrichtet. Fruchtbare Böden sind lebenswichtig, denn wir brauchen sie unter anderem für die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Bioenergie sowie Biomasse für die Chemie- und Textilindustrie. Sie leisten weltweit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel. Bleiben unsere gegenwärtigen Konsum- und Produktionsmuster unverändert, erreichen wir allerdings bald die Grenzen der ökologischen und damit letztlich auch sozialen Tragfähigkeit unserer Erde.
Böden sind Basis für 95 Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion und damit direkte Lebensgrundlage mehrerer Hundertmillionen Landwirte (insb. Kleinbauern im globalen Süden).
Insgesamt wird etwa ein Drittel der weltweiten Landfläche landwirtschaftlich genutzt, um die verschiedenen Nachfragen nach Biomasse zu befriedigen.
Böden dienen als gewaltige Kohlenstoffspeicher, denn sie binden mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und die gesamte Erdvegetation zusammen.
Das Ökosystem Boden sichert Biodiversität und spielt eine entscheidende Rolle in der Wasserregulierung.
Warum der Schutz der Böden nicht nur eine globale Aufgabe ist
Anlässlich des Weltbodentags am 5. Dezember fordert die weltweite Bewegung Slow Food Deutschland Politik, Wirtschaft, Erzeuger*innen und Verbraucher*innen auf, Boden als Lebensgrundlage zu achten: Politik (indem sie Boden rechtlich schützt), Erzeuger*innen (indem sie bodenerhaltend wirtschaften) und Verbraucher*innen (indem sie guten Boden durch den Kauf guter Lebensmittel fördern). Aktuell führt u.a. das industrielle Lebensmittelsystem durch Überdüngung, zu hohem Pestizideinsatz und Monokulturen dazu, dass Böden ausgelaugt und geschädigt werden. Mit einem weiter so wie bisher gefährden wir unsere Ernährungsgrundlage Boden und damit die Zukunft unserer Ernährung.
Über 90 Prozent aller Nahrungsmittel entstehen im, auf oder durch den Boden. Ihn zu schützen hat deshalb höchste Priorität, wenn wir die Ernährung für künftige Generationen sichern wollen, denn nur aus gesunden Böden werden künftig noch Lebensmittel hervorgehen. In den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) spielen Böden bzw. Landflächen - zumindest implizit - eine herausragende Rolle. Das betrifft zum Beispiel die Ziele zur Ernährungssicherheit (SDG 2), Energieversorgung (SDG 7), Produktion und Konsum (SDG 12) sowie zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme (SDG 15).
„Der Erhalt gesunder Böden durch eine zukunftsfähige Landwirtschaft und den Bodenschutz in allen Sektoren muss politisch höchste Priorität haben. Die Umsetzung eines bodenerhaltenden Lebensmittelsystems erfordert allerdings auch verantwortungsbewusste Verbraucher*innen, die bereit sind, einen höheren Preis für ökologisch erzeugte Lebensmittel zu zahlen. Ohne, dass alle Akteur*innen an einem Strang ziehen, ist der nötige Wandel nicht leistbar. Deshalb müssen Maßnahmen für den Bodenschutz von der Politik gefördert, von Erzeuger*innen umgesetzt und von Handel und Verbraucher*innen durch den Kauf und Vertrieb nachhaltiger Lebensmittel mitgetragen werden“, sagt Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland.
Den Boden zu schützen ist auch deshalb wichtig, weil die Bodengesundheit sich direkt auf die Pflanzengesundheit auswirkt. „Gesunder Boden ist die Basis für gesunde Pflanzen“, meint Franz Rösl, Gründer der Interessengemeinschaft gesunder Boden e. V., die eng mit Slow Food kooperiert. Er erklärt weiter: „Bekommt die Pflanze täglich Fast Food in Form ausgelaugter Böden, dann fehlen ihr mit der Zeit wichtige Bestandteile. Insbesondere die natürliche Zufuhr von Mikronährstoffen wird unterdrückt. Fehlen der Pflanze Nährstoffe und Spurenelemente in einem ausgewogenen Verhältnis, dann liefert die Pflanze zwar Energie, also Ertrag, aber darüber hinaus kann sie fast nichts leisten“.
Bodenschutz ist auch Pflanzenschutz
Nur nährstoffreiche Böden bringen nährstoffreiche Lebensmittel hervor und stehen uns langfristig für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung. Als förderungswürdig sieht Slow Food deshalb nur eine Lebensmittelproduktion, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf das Nötigste begrenzt, Überdüngung vermeidet und aktiven Bodenschutz betreibt zum Beispiel durch Fruchtfolgen und das Setzen auf Vielfalt auf dem Acker. Saatgut ist nicht nur ein Thema, das allem Landwirte und Gärtner, sondern uns alle betrifft. Das Saatgut ist das erste Glied in der Nahrungsmittelkette und gehört zu den Grundlagen unserer Ernährung. Leider wissen viele Menschen jedoch zu wenig über das, was heute mit dem Saatgut geschieht. Aus vielen komplexen Anbausystemen wurden Monokulturen gemacht, die Agrarökosysteme sehr anfällig macht, dabei wären vielfältige Felder und Pflanzen krisensicherer (resilienter). In den vergangenen hundert Jahren war ein dramatischer Sortenverlust zu verzeichnen. In den 1990er Jahren bekam die Saatgut-Frage „durch die sich ankündigende Gentechnik eine neue Dringlichkeit“ (Laura Krautkrämer). Immer neue Zuchttechniken und Sorten-Patentierungen durch marktbeherrschende Konzerne unterstreichen die Notwendigkeit der ökologischen Pflanzenzüchtung, die sich dafür einsetzt, dass dies auch künftig so bleibt. Saatgutsouveränität ist eine Grundlage von Ernährungssouveränität, was auch bedeutet, dass die Menschen, die mit Saatgut umgehen, selbstbestimmt und nachhaltig entscheiden und handeln können.
Was jeder von uns tun kann
Ohne den Schutz des Bodens ist es nicht möglich, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten sowie den Verlust der Biodiversität zu stoppen. Der Schutz der Böden ist zwar eine globale Aufgabe, doch kann auch jeder Einzelne etwas tun. Dort, wo er gerade steht. Claudia Silber, die hauptberuflich bei beim nachhaltigen Versandhändler memo AG die Unternehmenskommunikation leitet, unterstützt auch privat das Bergwaldprojekt. Der gemeinnützige Verein, auch Kooperationspartner des Öko-Pioniers memo, engagiert sich für den Schutz naturnaher Bergwälder der Mittelgebirge und der Alpen. Gemeinsam mit den Mooren sind sie wichtig für das Klima. Die Wälder filtern die Luft und speichern Kohlenstoff. Natürliche Bergwälder sind Lebensgemeinschaften für unzählige Arten und deshalb für die Biodiversität besonders wichtig. Das Bergwaldprojekt wurde 1987 auf Initiative von Wolfgang Lohbeck (Greenpeace Deutschland) und dem Schweizer Förster Renato Ruf im Zusammenhang mit der Waldsterbensdebatte gegründet. Der deutsche, gemeinnützige Verein Bergwaldprojekt e.V. wurde 1993 gegründet und setzt sich heute aus 25 ehrenamtlichen Mitgliedern zusammen. Er ist unabhängig, überparteilich und weltanschaulich neutral.
Zweck des Bergwaldprojekts ist der Schutz, der Erhalt und die Pflege des Waldes und der Kulturlandschaften sowie die Förderung des Verständnisses für die Zusammenhänge in der Natur, die Belange der verschiedenen Ökosysteme und die Abhängigkeit des Menschen von diesen Lebensgrundlagen. Aus diesem Grund führt das Bergwaldprojekt Freiwilligen-Einsätze mit jährlich weit über 2.000 Teilnehmenden durch. Ziele der Arbeitseinsätze sind, die vielfältigen Funktionen der Ökosysteme zu erhalten, den Teilnehmenden die Bedeutung und die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen bewusst zu machen und eine breite Öffentlichkeit für einen naturverträglichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu bewegen.
Claudia Silber über ihren Freiwilligeneinsatz: „Es ist ein Unterschied, von den Auswirkungen des Klimawandels zu hören oder ihn in meinem Fall im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Bei meinem Freiwilligeneinsatz mit unserem Kooperationspartner Bergwaldprojekt wollten wir eigentlich Bäume pflanzen, aber es war zu trocken. Der Regen am Vortag war tatsächlich nur ein "Tropfen auf dem heißen Stein". Stattdessen haben wir Eicheln ausgesät und dafür die oberste Mulchschicht weggekratzt, um die Eicheln direkt auf dem Waldboden auszusäen und sie danach vorsichtig und mit guten Wünschen wieder unter dem Mulch zu verbergen. Der Waldboden selbst war zum Teil staubtrocken. In der Region um Würzburg fallen mittlerweile - wie auch in anderen Teilen Deutschlands - 70 % weniger Niederschlag. Welche Bäume heute gepflanzt werden, die in einigen Jahrzehnten den Auswirkungen des Klimawandels trotzen sollen, sind komplizierte Überlegungen. Hinzu kommt, dass wir heute noch nicht sagen können, ob sich das Klima auch genauso verändert. Es kann auch schlimmer werden. Eines aber ist klar: Das Klima sollte sich um nicht mehr als zwei Grad erwärmen. Die UN-Klimakonferenz in Kattowitz und die Staaten ringen in diesen nächsten Tagen darum, das Pariser Klimaabkommen aus dem Jahr 2015 in ein Regelwerk zu gießen. Ob das gelingt ist - um es vorsichtig zu formulieren - fragwürdig, da u.a. mit den Populisten dieser Welt auch die Klimaleugner und -gegner wieder eine Bühne bekommen. Trotzdem kann und sollte Jeder von uns etwas tun: Jeden Tag möglichst klimafreundlich leben!“
Anja Banzhaf regt an, eine „vielfaltsbetonte und eigenmächtige Saatgutstruktur bilden“, heute ausmacht. Vor allem aber, was zu tun ist, wenn die industrielle Landwirtschaft lokale bäuerliche Praktiken verdrängt:
Saatgut von samenfesten und ökologisch gezüchteten Sorten verwenden
im eigenen Garten oder auf dem Balkon Nahrungsmittel anbauen und Saatgut gewinnen
ökologische Züchtung unterstützen
die Überarbeitung der Saatgutgesetzgebung mitverfolgen und beeinflussen
Saatgutboxen aufstellen
Sattgut-Tauschbörsen und –feste organisieren
Saatgut per Post an Freunde verschicken
Sortenpatenschaften übernehmen
Erzeugergemeinschaften gründen
sich vernetzen, gemeinsam Samenbau betreiben und untereinander Saatgut weitergeben, und damit den Umgang mit Saatgut als Gemeingut üben
nicht darauf warten, dass andere (z.B. der Staat, NGOs) das Problem lösen.
Echte Werte haben heute mit der begrenzt vorhandenen Ressource Boden zu tun, der die Grundlage für 90 Prozent der produzierten Nahrung bildet. Niemand sollte sich vom Boden loslösen haben und denken, nicht mehr abhängig zu sein, solange Lebensmittelkonzerne und Supermärkte unseren Konsum befriedigen. Vor diesem Hintergrund erscheinen Bücher, die zum Nach- und Umdenken anregen und zu einem neuen Kauf- und Konsumverhalten einladen, wie ein Hölderlinscher Hoffnungsschimmer: „Wo aber Gefahr ist, wächst / das Rettende auch."
Anja Banzhaf: Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen. Oekom Verlag, München 2016.
Herbert Hintner / Terra Institute: Kochen kann verändern. Besser kochen – nachhaltig einkaufen. Mit Fotos von Frieder Blickle. Folio Verlag Bozen Wien 2017.
André Leu: Die Pestizidlüge. Wie die Industrie die Gesundheit unserer Kinder aufs Spiel setzt. Oekom Verlag 2017.
Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.