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Zukunft träumen und gestalten

Krisen, Kriege und Katastrophen lassen die Zukunft wie einen hoffnungslosen Ort erscheinen. Viele Menschen fühlen sich entmutigt, ohnmächtig und verzweifelt. Doch ohne einen Gegenpol der Verbesserung werden wir nicht hoffen und nachhaltig handeln können. Aus Krisen kann eine neue Welt entstehen, die unseren Träumen entspringt. „Auch wenn wir nicht genau wissen, wie die Zukunft aussieht, sollten wir sie uns vorstellen. Denn wir können nur erschaffen, was wir als Vision in unseren Herzen tragen“, sagt die Ökophilosophin Joanna Macy. Für die Umsetzung braucht es Begeisterung und Tatkraft für das Neue.

Auch Laien wie Walt Disney machten sich Gedanken über die Stadt der Zukunft. "Morgen kann ein schönes Zeitalter sein", sagte er einst zu seinen Landsleuten. Er wollte eine eigene heile Welt schaffen, in der die Dinge oft besser sind als die Wirklichkeit, in der es keine geschundene Natur, Wirtschaftskrisen, keine Kriege und keine Rassenkonflikte gibt. Disney baute einen der mächtigsten Medien- und Unterhaltungskonzern auf, erschuf eine neue Form der Kinokunst und erfand Disneyland. Er hat die Zukunft oft klarer gesehen als die Gegenwart. In seinen letzten Lebensjahren spürte er verstärkt das Gefühl für etwas Größeres, das nichts mit seiner Verantwortung für die Aktionäre seines Konzerns zu tun hatte, sondern mit etwas Sinnvollem, das die Menschheit weiterbringen sollte: Sein Vermächtnis. Lange war der Themenpark „EPCOT” (Experimental Prototype Community of Tomorrow), der dem technologischen Fortschritt der Menschheit sowie den verschiedenen Kulturen der ganzen Welt gewidmet ist, der untypischste innerhalb des Walt Disney World Resort nahe Orlando (Florida). Nach seinem Tod im Dezember 1966 übernahm sein Bruder Roy alle Geschäfte und vollendete die Ideen für das Florida Projekt.

1971 öffnete Disney World Orlando „Magic Kingdom“, in dem Disneys Vision einer Stadt der Zukunft präsentiert wird. Hier gibt es keine Müll-, Energie-, Verkehrs- und Umweltprobleme und keinen Autoverkehr. Die Menschen werden überirdisch (in klimatisierten Zügen) transportiert. Die Systeme für regenerative Energie sind hier fast unsichtbar. Das Versorgungsnetz funktioniert unterirdisch. Das Recycling System wurde von sogenannten „Imagineers“, die sich mit Technologien beschäftigten, konzipiert. Heute ist EPCOT neben dem Magic Kingdom einer der meistbesuchten Parks der Welt. Im Walt Disney World Resort in Florida erhalten Besucher im „Vision House” einen Einblick in ein „grünes” Zuhause. Der Walt-Disney-Zeichner Carl Barks siedelte in Entenhausen, die viel mit der Stadt der Zukunft zu tun hat, die Abenteuer Donald Ducks, seines Onkels Dagobert und der drei Neffen Tick, Trick und Track an. Das Duckomobil (Prototyp des Ökoautos mit Blütenplakette am Platz der Kühlerfigur und Blütenkranz auf dem sanft geschwungenen Dach) ist beispielsweise eines der meistverkauften Modelle der Duckschen Motoren-Werke. Die Akquisition liegengebliebener Oldtimer durch Barzahlung gehört sogar zu den Aufgaben der Verkehrspolizei. Was in Entenhausen nicht verkauft werden darf, kann vermietet werden. Leihgaben gibt es in Entenhausen nicht nur im Geschäftsverkehr der Museen, sondern auch für den Bürger (Kreislaufwirtschaft).

Ansatzweise hatten sie Einfluss auf die Entwicklung von Großstädten. Der Stararchitekt Wright verglich das Wachstum einer Stadt sogar mit einem Krebsgeschwür und schlug vor, Metropolen wie New York City einfach zu sprengen, um noch einmal von vorn zu beginnen (mit breiten Grundstücken und kleinen Häusern). Ähnlich argumentierte der Architekt Paolo Soleri: „Wenn wir bei der Auto-basierten Logistik bleiben, wird die urbane Mobilität paralysiert – und das unter hohen ökonomischen und menschlichen Kosten“, sagte er 1969 und präsentierte eine Alternative: In seiner Abhandlung „Arcology: The City In The Image Of Man“ beschrieb er die Fusion von Architektur und Ökologie. Arkologien werden seiner Ansicht nach vor allem gebraucht und gebaut, um den Impact der Menschen auf die Umwelt zu minimieren und sich nachhaltig in die sie umgebende Landschaft einzupassen. Es gibt zwar keine eindeutige Begriffsdefinition, doch allgemein werden darunter in vor allem Bau- und Gesellschaftsprojekte verstanden, die riesenhafte und sich selbstversorgende Gebäude zum Ziel haben, die eine gesamte Stadtbevölkerung aufnehmen. Bekannt wurde das Konzept vor allem durch das 1993 erschiene Computerspiel Sim City 2000: Dort lassen sich Arkologien bauen, wenn die Stadt mit ihrer Bewohnerzahl eine kritische Grenze überschreitet. Zur Auswahl gibt es verschiedene Ausprägungen von Akologien (grüne Utopie, seelenlose Wohnmaschine, biomechanischer Dystopiebau).

Mit den Novanoah-Projekten aus Kreis- und Blütenstrukturen erdachte Paolo Soleri Städte für Küsten und das offene Meer, bei denen die gedachten Blattabschnitte jeweils Wohn- und Arbeitsbereiche, Gewächshäuser und Gewerbezeilen definieren sollten. Geometrisch angeordnete Schneisen sollten Promenaden und Erholungszentren darstellen - in der Mitte ein tiefer Schacht für die verarbeitende Industrie. Im Vergleich dazu sollte das Projekt Stonebow als eine Spangenstruktur angelegt sein, die sich wie ein Betonriegel über eine Schlucht hinwegzieht - im Zentrum ein großes Touristenparadies und rundherum Etagen mit Arbeits- und Wohnbereichen für 200.000 Menschen. Mit dem Arcube wollte Soleri einen übergroßer Hohlwürfel erschaffen, der Lebens- und Arbeitsraum für 400.000 Menschen bereitstellen sollte. Das Arcoindian-I-Projekt sah Türme in natürlichen und künstlichen Höhlen für 10.000 bis 20.000 Menschen vor. Die Lean Linear City sollte wie eine Schlucht geformt ein (eine Seite zum Wohnen, die andere zur Pflanzenzucht und Nahrungsmittelproduktion). Die Energie sollte von Solar- und Windkraftanlagen auf den Dächern kommen. Parks und ein künstlicher Fluss sollten sich quer durch das Zentrum ziehen.

Soleris Experimentalstadt Arcosanti ist eine Miniversion seiner Vision, die er zunächst für 1.500 und später 5.000 Bewohner plante. Sie wird seit 1970 von Anhängern des Architekten in Yavapai County (Arizona) in kleinen Schritten verwirklicht – doch wirklich umgesetzt wurde bislang nur wenig. Arcosanti gilt vielmehr als Ideen- und Pilgerort für Architekten und (Lebens-)Künstler und Ideen. Mitte der 1990er beauftragte Soleri ein Konsortium aus 75 Unternehmen, ein Arkologiegebäude zu erdenken. Er entwarf das Hyperbuilding (Ein-Kilometer-Wolkenkratzer), das rund 100.000 Menschen fassen und bei guter Wartung mindestens 1.000 Jahre lang überdauern und genutzt werden sollte. Wegen einer Rezession wurde das Projekt in Japan allerdings nicht umgesetzt. Das gilt auch für die Ur-Arkologien Soleris (zu groß, zu teuer, architektonisch und statisch noch nicht umsetzbar). Das gilt auch – bis auf wenige Ausnahmen - für viele weitere Bauprojekte, die dem Arkologie-Gedanken nahekommen.

Gründe: Langfristig und auf sich gestellte Arkologien sind nicht überlebensfähig - dafür wären sie für die angestrebten Bewohnerzahlen zu klein und energetisch zu instabil. Zuwenig Flächen wären für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Energie abgestellt. Um einen Menschen zu versorgen, bräuchte es selbst bei der Anwendung moderner Hydroponik und Bioreaktoren durchgängig zwischen 200 und 300 Quadratmetern. Zur Betreibung wären Kernreaktoren (statt regenerative Energien) nötig, die rund um die Uhr den nötigen Strom liefern. Was wir heute sehen können, sind lediglich Ansätze von Arkologien (z. B. Öko-Städte).

Es braucht Wissen und Vernetzungen aus Natur- und Sozialwissenschaften, technologischen Innovationen und Renaturierung. Im Rahmen des Interdisziplinären Forschungsprojekts ÖKOTOPIA wurde ein innovatives Modell zur Bewertung von Stadtentwicklungsvorhaben unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit entwickelt: Von 2009 bis 2014 widmeten sich Teams der Studiengänge Soziale Arbeit & Sozialmanagement, Architektur & Bauwesen sowie Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement der Frage, wie ein langfristig attraktiver städtischer Lebensraum aussehen kann. Am Anfang stand die Analyse von sieben Gebieten in Graz mit unterschiedlichen Bebauungsformen und Siedlungsstrukturen. Diese wurden auf folgende quantitative und qualitative Indikatoren hin untersucht und analysiert:

  • Räumliche und bauliche Ressourcen

  • Energieversorgung und Energieverbrauch

  • Verkehrserschließung und Verkehrsmittelnutzung

  • Soziale Ressourcen und soziales Verhalten in Hinblick auf nachbarschaftliche Beziehung, Sicherheitsempfinden, Ortsidentität, bürgerschaftliches Engagement, Proaktivität im Alter.

Aus dem Datenmaterial der ersten Projektphase leitete das Team der FH JOANNEUM das ÖKOTOPIA-Modell abgeleitet. Der multifaktorielle Kriterienkatalog vernetzt städtebauliche, technische, ökologische und soziale Aspekte ressourcenschonender Stadtentwicklung und liefert ein Gesamtbild der Nachhaltigkeit eines Stadtteils oder einer Kommune. Zudem erlaubt er Einzelbewertungen auf den verschiedenen technisch-ökologisch-sozialen Ebenen eines Projekts. Städteplanern und politisch Verantwortlichen erleichtert dies, Stadtentwicklungsprojekte unter dem Aspekt der Ressourcenschonung zu beurteilen. Denn es geht heute darum, Lösungen für Mega-Krisen wie Klimawandel, Ressourcenverknappung, demografischer Wandel, instabile Finanzsysteme, die Folgen der Globalisierung, zunehmende Gewaltbereitschaft, Digitalisierung sowie das schwierige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit zu finden. Das sind nicht nur Herausforderungen für Politik und Gesellschaft, sondern auch für jeden Einzelnen.

Eine solche „Voraussicht“ bedarf der Vorsorge, die auf ein dem Ziel angemessenes Handeln hinausläuft. Sonst bleibt es bei schönen Visionen oder abstrakten Zukunftsszenarien, die kraftlos bleiben. Eine inspirierende Zeitreise in die nahe Zukunft zeigt das Buch „Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen“ von Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub und Sebastian Vollmar. In Bildern und Texten werden darin Visionen davon entwickelt, wie eine erstrebenswerte Zukunft in etwa 20 Jahren aussehen könnte, wenn Wirtschaft und Gesellschaft nachhaltig umgebaut werden. Sie sollten auch als Werkzeug für Veränderung und Innovation begriffen werden, denn Vorstellungskraft ist gerade in Krisenzeiten eine wichtige Zukunftskompetenz. Die Visionen orientieren sich an den Zielvorgaben, die die Klima- und Umweltforschung zur Bewältigung der Öko-Krise für einen tiefgreifenden Umbau unserer Gesellschaft entwickelt hat. Dazu gehören unter anderem:

  • UN-Klimarat

  • Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

  • Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen

  • Stockholm Resilience Center

  • Club of Rome

  • Wuppertal Institut.

Stella Schaller arbeitet als systemische Transformationsbegleiterin in Berlin. Lino Zeddies ist Berater für Transformation, Selbstorganisation und Utopieentwicklung bei Reinventing Society, Ute Scheub war Mitbegründerin der taz, Sebastian Vollmar ist seit 2010 Artdirector und Founder von Vollmar & Vision und Artdirector und Fellow bei Reinventing Society, einem gemeinnützigen und unabhängiger Think Tank, der Ende 2020 gegründet wurde. Zur Mission gehört es, Menschen in eine regenerative Gesellschaft zu begleiten und zu befähigen, systemische Zukunftspotenziale zu verwirklichen. Dazu werden positive Zukunftsvisionen einer schöneren Welt erforscht und erarbeitet und diese durch vielfältige Formate erfahrbar gemacht. Ihre Organisation verstehen sie als ein Reallabor, in dem neues Erfahrungswissen entsteht. Im Buch enthalten sind simulierte Panoramen, wie 16 Städte in Deutschland, der Schweiz und Österreich in Zukunft aussehen können: grüne Begegnungsstätten, in denen Energiegewinnung, Verkehr und Ernährung eine Kreislaufwirtschaft bilden. Viele der vorgestellten Innovationen und Lösungen existieren bereits als „Realutopien“ (Permakultur, Schwammstädte, Pyrolyse, Verantwortungseigentum etc.), die das Potenzial haben, groß zu werden und utopisch wirkende Vorstellungen über unseren Planeten in die Tat umzusetzen.

Die Zukunftsbilder wurden gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen, Stadtverwaltungen und Architekturgrafikern entwickelt. Bislang gab es „nahezu keine fotorealistischen Abbildungen einer möglichen positiven Zukunft“, so die Autoren, die mit diesem Projekt diese Lücke schließen und düsteren Zukunftsvisionen Neues entgegensetzen wollten. So folgten Jules Vernes Prophezeiungen Aldous Huxleys, George Orwells und H.G. Wells‘ sowie Kinofilme über aggressive Monster, die durch Atomtests oder misslungene Gentechnikexperimente zum Leben erweckt wurden mit dem Ziel, die Zukunft der Menschheit zu zerstören. Das Autorenteam versteht seine Vision nicht als „perfekte Blaupause“, „sondern als offener Vorschlag, der zum Austausch über Zukunft einladen möchte.“ Zudem erzählt eine Reportage, wie die globalen Klimaziele im Jahr 2045 erreicht worden sind und wie ein gutes Leben in der Zukunft aussehen kann. Dieses Jahr markiert nicht nur das Ziel der EU, klimaneutral zu werden, sondern auch einen historischen Meilenstein: Das Ende des Zweiten Weltkriegs liegt nun einhundert Jahre zurück. Es geht auf dieser Reise also auch darum, ob es gelungen ist, „seither auch Frieden mit der Natur zu schließen.“ Im Buch begegnet in diesem Zusammenhang immer wieder das Wort „Regeneration“ oder „regenerativ“ (weniger als das Wort „nachhaltig“).

  • nachhaltiges Planen und Bauen

  • Begrünung

  • „essbare Landschaften“ und Gemeinschaftsgärten

  • Kreislaufwirtschaft

  • nachhaltige Mobilität

  • Re-Regionalisierung

  • Ressourcenschonung

  • Förderung des gesunden Stadtklimas und Erhalt der biologischen Vielfalt

  • neues Wohlstandsverständnis.

Der regenerative Ansatz wird damit begründet, dass die Schäden an der Natur inzwischen so groß sind, dass „Nachhaltigkeit“ für den Erhalt unserer Ökosysteme nicht mehr ausreicht. „Nachhaltig“ zu wirtschaften bedeutet, dass etwas erhalten werden soll, wie es ist. Was jetzt dringlich ist, sind Aufbau, Wiederbelebung und Heilung. Das kann nur gelingen, indem die Prinzipien der Natur auf gesellschaftliche Systeme übertragen und Kreisdenken gefördert wird. „Regenerativ“ bedeutet, sich wieder als lebendiger Teil der Erde zu begreifen und in ein Weltbild der Verbundenheit einzutreten.

  • Stella Schaller, Lino Zeddies, Ute Scheub, Sebastian Vollmar, Reinventing Society (Hrsg.): Zukunftsbilder 2045. Eine Reise in die Welt von morgen. oekom Verlag 2023.

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Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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