Im April dieses Jahres kündigte die Lufthansa den Beginn eines großen Transformationsprozesses an. Dafür bräuchte man neues Personal, hieß es. 3200 MitarbeiterInnen sollten im Zuge einer Art Frischzellenkur ausgetauscht werden – gegen innovative, eigenverantwortliche New WorkerInnen, die mit Komplexität und Agilität umgehen können. Ein ambitioniertes Vorhaben, denn solche MitarbeiterInnen fliegen nicht gerade herum wie die Brathühner im Schlaraffenland.
Konzerne wollten lange Befehlsempfänger und rufen nun nach Selbstverantwortung
Es ist schon zynisch, wenn sich Konzerne über Jahrzehnte mehr oder minder brave BefehlsempfängerInnen heranzüchten, um sie angesichts drohender Marktverluste als unwillige VeränderungsverweigerInnen zu identifizieren und dann loswerden zu wollen. Da geht offensichtlich das (Selbst-)Verantwortungsgefühl der Unternehmen flöten. Denn woraus besteht das Unternehmen größtenteils? Jawohl, aus MitarbeiterInnen. Und ihnen abzusprechen, Dinge anders machen oder keine Verantwortung übernehmen zu wollen, ist gelinde gesagt hochmütig.
Und wir wissen alle: Hochmut kommt vor dem Fall. Und doch passiert es immer häufiger. Da steht meist ein Topmanager, seltener eine Topmanagerin, mehr oder weniger flankiert von Vorständen, vor der versammelten Belegschaft und verkündet einen „Change“ oder, etwas moderner und realitätsnäher, „einen ständigen Transformationsprozess“. Manchmal mit der latenten Drohung, dass sich schleunigst etwas ändern müsse, weil man sonst vom Erdboden „wegdisruptiert“ werde. Und da ist es dann schon, das geflügelte Wörtchen, das so selbstverständlich aus den Mündern und den Tweets der TopmanagerInnen, HR-Verantwortlichen und Transformations- und ChangeexpertInnen daherflattert, begleitet von seinen Kumpels, dem „Change“ und der „Transformation“: die Selbstverantwortung.
Die Wahrheit ist: Wir mögen es nicht, wenn uns etwas von oben befohlen wird
Leider klingt es für viele MitarbeiterInnen wie blanker Hohn, wenn sich nach diversen gescheiterten Reformversuchen, Ideenwettbewerben und gut gemeinten Business-Breakfasts das Management vorn hinstellt und jedem mehr Verantwortung verpassen möchte. Die Sache ist die: Selbstverantwortung kann nicht verordnet werden. Sie braucht die intrinsische Motivation des Einzelnen. Wer etwas aufoktroyiert bekommt, wird wenig überraschend erst einmal mit innerem Widerstand und Trotz reagieren – und nicht selten das Vorhaben sabotieren. Weil wir es in Wahrheit eben nicht mögen, dass uns jemand anderes von oben herab sagt, was wie zu tun ist. Da hilft auch kein reflexartiger Austausch von Personal.
Meistens geht es doch darum, Verantwortung für einen Bereich zu übernehmen, für den zuvor ein Vorgesetzter bezahlt worden ist. Einen Bereich, in den die MitarbeiterInnen nun hineinüberredet – oder freundlicher: mit Firmenbarbecue und Kickertisch hineinmotiviert – werden sollen. Doch Verantwortung braucht eines: Verantwortungsgefühl. Wir übernehmen Verantwortung dann, wenn wir es wollen. Wenn wir einen Sinn darin sehen, wenn unsere Lust entfacht wird, wenn wir etwas mitgestalten zu wollen – auch die Art und Weise, wie wir arbeiten, wie (viel) wir entscheiden wollen. Wir übernehmen Verantwortung, wenn wir dafür etwas bekommen: Anerkennung, mehr Geld und vor allem das Gefühl, etwas Positives und Sinnvolles bewirken zu können. Ohne Angst vor Sanktionen haben zu müssen, ohne zur Rechenschaft gezogen oder an den Pranger gestellt zu werden, wenn die Entscheidung doch eine falsche war.
MitarbeiterInnnen wollen Verantwortung übernehmen, wenn sie darin einen Sinn sehen
Die Frage ist also: Wofür lohnt es sich, Verantwortung zu übernehmen? Was ergibt Sinn? Manchmal muss hier tatsächlich zuerst an der eigenen Selbstwirksamkeit gearbeitet werden – wenn wir uns etwa nicht zutrauen, mit dem Kunden direkt zu verhandeln oder Entscheidungen zu treffen. Und die zweite, banalere Frage lautet: Was kriege ich dafür? Oft sind es Kleinigkeiten: zufriedenere Kunden, denen man unbürokratisch helfen konnte. Weniger nervige Mails mit „Hast du schon …? Wann kriege ich …?“ von Vorgesetzten. Und dazu die Befriedigung, eigene Ideen erfolgreich umgesetzt zu haben.
Den MitarbeiterInnen das selbstverantwortliche Handeln als Goodie aufzutischen reicht nicht. Sie wollen auch etwas für ihre Leistung. Und sie benötigen die entsprechende Legitimation und Fehlersicherheit. Das heißt, auch wenn eine Entscheidung sich als falsch oder wenig zielführend entpuppt hat, muss der betroffene Mitarbeiter beziehungsweise die Mitarbeiterin sich sicher fühlen, nicht für den Fehler sanktioniert zu werden (außer das Handeln war eindeutig vorsätzlich und geschäftsschädigend).
Um Verantwortung übernehmen zu wollen, brauchen wir also zuerst das Gefühl, es zu KÖNNEN, dann, es zu WOLLEN, und schließlich, es zu DÜRFEN.
Wenn jemand keine Verantwortung will, liegt das auch am System
Eine – vor allem unter Führungskräften – populäre Ansicht lautet: „Viele Mitarbeiter sind doch lieber Befehlsempfänger. Die wollen ja gar nicht.“ Ich behaupte: Das ist schlicht Unsinn. Und für manchen ist das eine nicht unliebsame Ausrede. Dass viele MitarbeiterInnen keine Verantwortung übernehmen WOLLEN, stimmt nicht. Und wenn doch, liegt es nicht am Unwillen des Einzelnen, sondern systemisch an der Organisation. Ein System, das kritisches Hinterfragen oder Neinsagen als Arbeitsverweigerung oder Verhaltensauffälligkeit etikettiert, produziert mitunter auch angepasste Jasager ohne Eigeninitiative, die Dienst nach Vorschrift machen. Die Frage ist also nicht: Wie werden wir die unwilligen VeränderungsverweigererInnen wieder los? Sondern: Warum wollen sie nicht? Weil sie eben nie um ihre Meinung gefragt wurden! Weil sie sich überfahren, nicht ernst genommen fühlen. Weil nicht ordentlich und auf Augenhöhe kommuniziert wurde, sondern von oben herab, lückenhaft und mit Management by fear.
Mitunter gibt es auch ein Verständigungsproblem, denn der Rahmen, in dem MitarbeiterInnen eigenverantwortlich handeln, muss klar abgesteckt sein. Ist er das nicht, drohen Chaos und Verwirrung. Und darauf haben die MitarbeiterInnen selten Lust. Die meisten Menschen wollen Klarheit: Sie wollen wissen, in welchem Rahmen sie sich bewegen können und was passiert, wenn etwas schiefläuft. Sie wollen wissen, was von ihnen erwartet wird. Menschen wollen Klarheit, aber die wenigsten wollen Befehle – außer sie haben da bestimmte Neigungen.
Unternehmen, hört euren Leuten zu, gebt ihnen Spielraum – und mehr Gehalt
Klar: Manche MitarbeiterInnen wollen tatsächlich nicht. Weil es schon irgendwie bequem ist, weiterzumachen wie bisher. Weil sie es sich nicht zutrauen. Manche haben auch resigniert, wieder andere sind überarbeitet und wollen einfach nur ihre Ruhe. Hier sind Führungskräfte oder Coaches gefragt. Oft brauchen die Betroffenen schlicht etwas Ermutigung, Zuspruch und ein Erfolgserlebnis. Meist hilft schon, ihnen ernsthaft zuzuhören, um ihre Bedenken aus dem Weg zu räumen.
Wenn ihr als Unternehmen, HR-Verantwortliche und ManagerInnen MitarbeiterInnen mit Selbstverantwortung wollt, dann tut doch etwas Banales: Fragt sie, was sie ihrer Meinung nach verantworten können und verantworten wollen. Gebt ihnen Spielraum. Einen klaren Rahmen. Anerkennung. Beginnt bei den Dingen, die sie für überreglementiert und überhierarchisiert halten. Und honoriert sie dafür, mit mehr Freiraum, Incentives – und auch mit mehr Gehalt. Denn einerseits mehr Verantwortung zu erwarten und andererseits dafür nichts zu geben hat so gar nichts damit zu tun, „den Menschen in den Mittelpunkt zu rücken“. Und das wollen doch angeblich so viele Unternehmen, oder?
Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen Ihnen als Mitarbeiter und Ihrer Führungsriege? Begegnen Sie sich auf Augenhöhe, oder artet die Kommunikation des Öfteren in einseitigen Forderungen seitens der Chefetage aus? Oder sind Sie vielleicht selbst in der Rolle der Führungskraft? Wir sind gespannt auf Ihre Meinungen!
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