Inklusion: Was können wir in der Arbeitswelt besser machen?

In Deutschland ist weniger als ein Drittel der Menschen mit Behinderungen erwerbstätig. Zu wenig, sagen Betroffene. Wie kann Teilhabe am Arbeitsleben besser gelingen?

Menschen mit Down-Syndrom haben besondere Fähigkeiten

Carina Kühne
  • Auch für Menschen mit Behinderung gilt: Arbeit bedeutet Teilhabe
  • Behindertenwerkstätten bewirken das Gegenteil, sie grenzen aus
  • Wir brauchen mehr Arbeitgeber, die hier mit gutem Beispiel voran gehen

8.886 Reaktionen

Ist es besser für Menschen mit Down-Syndrom, zusammen mit nichtbehinderten Menschen zu arbeiten oder in einer Behindertenwerkstatt, also nur mit anderen Menschen mit Down-Syndrom? Wer mich kennt, weiß, dass ich mich uneingeschränkt für Inklusion von Anfang an und in allen Bereichen einsetze. Ich schreibe zum Beispiel zu aktuellen Themen einen Blog und trete als jemand, der selbst mit Trisomie 21 geboren wurde, vor kleinem und großem Publikum in Schulen, Gemeinden, Universitäten, Verbänden und in den Medien auf. Ich halte auch Vorträge zum Thema Down-Syndrom und Inklusion.

Viele Menschen sind der Meinung: Das geht doch gar nicht. „Die“ können ja gar keine Leistung erbringen und sind sowieso in einer Behindertenwerkstatt unter ihresgleichen besser aufgehoben. Deshalb bekommen Menschen mit einer Trisomie 21 kaum eine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt.

Anleitung auf Augenhöhe ist der Schlüssel

Aber stimmt das wirklich? Brauchen wir diese Parallelwelt? Vielleicht sind Menschen mit Down-Syndrom tatsächlich weniger leistungsfähig und brauchen auch eine etwas längere Einarbeitungszeit. Doch dann sind sie meist in der Lage, gute Ergebnisse zu bringen – und zwar nicht nur Hilfsarbeiten, sondern auch solche, die anspruchsvoller sind.

Für eine gute Zusammenarbeit ist es wichtig, dass Arbeitgeber und Kollegen eine positive Einstellung zur Inklusion haben und bereit sind, auf Augenhöhe und nicht von oben herab anzuleiten und Anregungen zu geben. Dazu gehören auch klare Anweisungen und geregelte Abläufe. Wenn Probleme auftauchen, handelt es sich oft um Missverständnisse, die mit etwas gutem Willen fast immer gelöst werden können.

In Werkstätten verdienen wir nur ein Taschengeld

Ich selber habe zwar noch nie in einer Werkstatt gearbeitet, aber schon mehrmals dort gedreht und dabei immer gedacht, dass ich dort niemals arbeiten möchte. Ein Problem für alle Menschen mit einer Behinderung, die in einer Werkstatt arbeiten, ist natürlich auch der Lohn von 185 Euro pro Monat, der eigentlich nur ein Taschengeld ist. Jeder sollte jedoch so viel verdienen, dass er davon leben und sich ab und zu auch mal etwas Schönes wie einen Theater- oder Kinobesuch oder einen Restaurantbesuch leisten kann. Ich empfinde die Werkstatt nicht als Chance, sondern als Aussonderung.

Ich habe einen Traum: Ich wünsche mir, dass unser Recht auf Inklusion auch für den Arbeitsbereich gilt. Dann würde es nicht nur einige wenige positive Beispiele geben, bei denen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zufrieden sind, sondern Vielfalt. Es wäre selbstverständlich, verschieden zu sein.

Ich kann tauchen, Klavier spielen und als Schauspielerin arbeiten

Arbeit ist wichtig für das Selbstwertgefühl und für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Die berufliche Integration bedeutet nicht nur für einen Menschen mit Down-Syndrom eine große Bereicherung, weil er sich als wertvolles Mitglied der Gesellschaft erfährt. Es ist außerdem für alle Beteiligten oft erstaunlich, wie positiv sich Menschen mit Down-Syndrom entwickeln und wie viel man auch voneinander lernen kann. Die meisten Menschen mit einer Trisomie 21 haben besondere Fähigkeiten im sozialen Bereich. Sie sind sehr empfindsam und spüren, wenn es den Mitmenschen nicht gut geht. Das ist sicher auch eine Eigenschaft, die in unserer leistungsbezogenen Gesellschaft manchmal zu kurz kommt.

Damit Inklusion auch am Arbeitsplatz für alle möglich ist, müssen wir die Vorurteile abbauen, mehr auf Gemeinsamkeiten achten und nicht auf das, was wir nicht können, denn wir lernen auch dazu und können mit etwas Unterstützung viel erreichen. Als Aktivistin für Inklusion bin ich sehr dankbar, dass ich eingeladen werde, Vorträge zu halten und an Talkshows teilzunehmen. Ich sehe meine Aufgabe darin, dazu beizutragen, die Berührungsängste abzubauen und zu zeigen, was möglich ist. Ich kann zum Beispiel tauchen und Klavier spielen und als Schauspielerin arbeiten. Wenn ich etwas nicht kann, gebe ich mir immer besonders viel Mühe und denke mir: „Jetzt erst recht!“ Wir entwickeln uns nämlich ständig weiter und lernen ein Leben lang dazu.


Diskutieren Sie mit: Wurden Sie selbst mit Trisomie 21 geboren oder kennen Sie jemanden? Welche Erfahrungen haben Sie beziehungsweise ihr/e Bekannte/er gemacht?

Veröffentlicht:

Carina Kühne
© Peter Schäfer
Carina Kühne

Schauspielerin und Aktivistin für Inklusion

Carina Kühne (Jg. 1985) sollte ursprünglich auf eine Sonderschule, hat es aber mit Hilfe ihrer Familie geschafft, nach der Grundschule in der Hauptschule aufgenommen zu werden und einen Abschluss zu machen. In ihrem Traumberuf Schauspielerin hat sie in dem preisgekrönten Film „Be my Baby“ (2014) die Hauptrolle gespielt. Sie hat außerdem in den TV-Serien „Die Bergretter“ (2017) und „Praxis mit Meerblick“ (2018) mitgewirkt. Sie liebt Tiere und besitzt selbst einen weißen Schäferhund namens „Berry“.

Mehr anzeigen

Werd kostenlos XING Mitglied, um regelmäßig Klartext-Debatten zu aktuellen Themen zu lesen.

Als XING Mitglied gehörst Du zu einer Gemeinschaft von über 21 Mio. Berufstätigen allein im deutschsprachigen Raum. Du bekommst außerdem ein kostenloses Profil, spannende Fach-News und passende Job-Vorschläge.

Mehr erfahren