Mal angenommen, Sie erscheinen jeden Morgen pünktlich bei der Arbeit, engagieren sich in Projekten weit über Ihr Aufgabengebiet hinaus, bringen wertvolle Ideen ein, sind hoch motiviert, kollegial, hilfsbereit und so gut wie nie krank. Sie hören jedes Jahr, wie zufrieden Ihr Chef mit Ihren Leistungen ist, dürfen sich weiterbilden, und das Gehalt entwickelt sich angemessen. Irgendwann ist klar, dass Sie die Abteilungsleitung übernehmen, wenn Ihr Chef in zwei Jahren in den Ruhestand geht. Das Team weiß Bescheid, freut sich auf den Führungswechsel, und auch Sie bereiten sich darauf vor, bald nicht mehr nur Fachexperte, sondern Führungskraft zu sein.
Und nun stellen Sie sich vor, Ihr Chef ruft Sie eines Tages zu sich und verkündet Ihnen, dass der junge Kollege aus dem benachbarten Team den Posten erben wird. Das sei eine strategische Entscheidung des obersten Managements, erklärt er Ihnen und beauftragt Sie obendrein, den Nachfolger in den nächsten Monaten in seine Aufgaben einzuarbeiten, denn schließlich seien Sie es, der am meisten Ahnung von allem hat.
Diese Geschichte ist Realität, und Sie können vermutlich mitfühlen, wie sich mein Klient (51) gefühlt hat. Er war wütend, tief verletzt und traurig. Über den Flurfunk hatte er noch am gleichen Tag erfahren, dass dieser Kollege und sein zukünftiger Chef mit der Nichte des Aufsichtsratsvorsitzenden verheiratet ist. Beziehung hatte Leistung geschlagen. Dies war für ihn eine schallende Ohrfeige nach so vielen Jahren persönlichen Engagements.
Jede Beförderung unabhängig von Leistung wirkt ungerecht
Was hier als „strategische Managemententscheidung“ betitelt wurde und so oder ähnlich vielen fleißigen Angestellten im Land widerfährt, ist reines Managementversagen und Spiegel einer ungesunden Führungskultur – geprägt von politischen Einzelinteressen und mangelhafter Kommunikation. Wo das Leistungsprinzip so augenscheinlich außer Kraft gesetzt wird, regieren für jeden Beobachter machtgetriebene Willkür und kurzsichtige Dummheit.
Was denken Sie, wie sich mein Klient entschied, nachdem sich seine Wut gelegt hatte? Er kündigte und gleich drei seiner engsten Kollegen mit ihm. Die Entscheidung breitete sich wie ein Lauffeuer im Unternehmen aus, Misstrauen gegenüber dem Management sowie persönliche Zukunftsängste machten sich breit. Wer es noch aushielt, schob brav Dienst nach Vorschrift. Warum sich noch anstrengen, wenn Leistung so offensichtlich nichts zählte?
„Was ist schon gerecht?“, fragt der Manager
Ich arbeite mit Klienten im Karrierecoaching sehr intensiv an der Frage, was ihnen im Beruf wirklich wichtig ist. Gerechtigkeit hat für viele Arbeitnehmer ohne Führungsverantwortung einen sehr hohen Wert: gerechte Aufgabenverteilung und gerechte Sicht auf ihre Erfolge, leistungsgerechtes Gehalt und gerechte Beförderung. Für Führungskräfte hingegen wird der Wert Gerechtigkeit mit jeder Stufe auf der Karriereleiter unbedeutender. „Was ist schon gerecht?“, fragen sie mich. Kollegialität nimmt ab, je dünner die Luft wird, Erfolg durch Einfluss gewinnt an Wert. Eine mit steigender Verantwortung und größerer Tragweite von Entscheidungen veränderte Gewichtung, denn einem guten Manager muss bewusst sein, dass er es nicht jedem Mitarbeiter im Unternehmen und gleichzeitig verschiedenen anderen Interessensgruppen recht machen kann. Gerechtigkeit ist subjektiv und persönliche Ansichtssache.
Blenden Manager oder hochrangige Politiker das Gerechtigkeitsempfinden anderer Menschen also gänzlich aus? Wie ist es sonst zu erklären, dass im Fall Maaßen drei erfahrene Spitzenleute derart überrascht waren, dass ihre erste Entscheidung der sträflichen Wegbeförderung inklusive Gehaltserhöhung von so vielen Menschen als ungerecht empfunden wurde? Wem das Gerechtigkeitsempfinden und die Wertemaßstäbe anderer egal sind, darf sich über Widerstände und Frustration bei Mitarbeitern beziehungsweise über Politikverdrossenheit in der Bevölkerung nicht wundern.
Transparenz und Klarheit statt Basta!-Ansagen
Warum hat niemand meinem Klienten erklärt, dass er der beste Mann für diese Position ist und hierfür seit Langem vorgesehen war, jedoch die Entscheidung aufgrund von X, Y und Z jetzt anders getroffen wurde? Warum hat Bundeskanzlerin Angela Merkel es nicht ein einziges Mal versucht zu erläutern, warum es aus ihrer Sicht richtig ist, Herrn Maaßen im Staatsdienst zu belassen und auf diese neu geschaffene Position zu versetzen? Weil sie als Entscheidungsträgerin selbst keine Klarheit darüber besitzt? Oder weil die Entscheidungskriterien nicht öffentlich werden dürfen? Ob in der Politik oder in Unternehmen, Basta!-Ansagen dürfen keinen Platz mehr in unserer modernen Arbeits- und Lebenswelt haben. Es geht um Klarheit statt Vertuschung sowie um Offenheit statt Angst. Eine neue Haltung, in die viele Führungskräfte erst noch hineinfinden müssen. Nicht jeder wird immer jede Entscheidung verstehen und persönlich gutheißen, doch jeder sollte die Chance hierfür erhalten.
Beförderungen ohne Klarheit schüren Misstrauen. Wer Verdruss – ob bei Bürgern oder Mitarbeitern – vermeiden möchte, der muss den Mut aufbringen, sich auch bei unliebsamen Entscheidungen in die Karten schauen zu lassen. Denn nur wer seine Kriterien und Werte hinter Entscheidungen transparent macht und diese klar kommuniziert, der gewinnt Vertrauen.
Diskutieren Sie mit, liebe Leserinnen und Leser: Wie gerecht entscheiden deutsche Manager, wenn es um Beförderungen geht? Haben Sie auch schon Posten-Deals à la Maaßen erlebt? Gilt das Leistungsprinzip noch oder sollten Fleiß und Betriebszugehörigkeit wieder stärker berücksichtig werden? Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!
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