Cover-Ausschnitt des Buches: Das Bauhaus Weimar (Weimarer Verlagsgesellschaft, 2019). - Weimarer Verlagsgesellschaft

Das Maß aller Dinge: Warum die Ideen und Maximen des Bauhauses noch immer aktuell sind

Wie wollen wir leben und wohnen? Wie kann mit weniger mehr erreicht werden? Was trägt zu einem besseren Leben bei? Was bedeutet Nachhaltigkeit im Alltag? Mit diesen essenziellen Fragen beschäftigten sich bereits die Gründer des Bauhauses. Auch nach über 100 Jahren ist die Auseinandersetzung mit der Avantgardeschule noch immer ungebrochen. Bis heute liefern die Ideen und Maximen von damals vielfältige Impulse für die unterschiedlichsten Arbeits- und Lebensbereiche. Der Anspruch, sie zu reformieren und ganzheitlich zu betrachten, fasziniert genauso wie der Nachhaltigkeitsgedanke, zu dem Einfachheit, Materialsparsamkeit und die Zeitlosigkeit der Objekte gehören.

Das Staatliche Bauhaus von 1919 stand für einen mutigen Neuanfang.

Die Ideen- und Zeitgeschichte des Bauhauses währte zwar nur 14 Jahre, doch ist die wechselvolle Historie der 1919 in Weimar gegründeten und 1933 in Berlin unter dem Druck der Nationalsozialisten aufgelösten Schule prägend wie kaum eine andere. Schon die zentralen Persönlichkeiten des Bauhauses – die Direktoren Walter Gropius, Hannes Meyer und Ludwig Mies van der Rohe – sowie die dort angestellten Lehrer, darunter Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger, László Moholy-Nagy oder Oskar Schlemmer - verdeutlichen die unterschiedlichen Strömungen und Positionen, die hier in dieser kurzen Zeit aufeinandertrafen und das Gesicht der Moderne veränderten. Wir sollten darin lesen, denn die Spuren darin haben mit unserer Gegenwart zu tun: Auch heute befinden wir uns in Zeiten des Umbruchs, in der die junge Generation nach Sinn sucht und Neues hervorbringen („Ins-Werk-zu-setzen“) möchte.

Erstmalig organisierten sich zum ersten Mal im wilhelminischen Deutschland - quer durch alle Schichten und Generationen - viele lebensreformerische und kulturkritische Gegenbewegungen, während der Werkbund und die Jugendstilkünstler „Kunst und Maschine“ versöhnen wollten.

Zum ersten Mal wurde damals die Jugend als eigenständiges Lebensalter ernst genommen und nicht nur als Vorbereitung oder Vorstufe des Erwachsenen betrachtet. In den Folgejahren gab es etliche Querverbindungen zwischen solchen Reformschulen und dem Bauhaus. Im Schulwesen entstand die Reformpädagogik, außerdem kam es zur Gründung zahlreicher Privatschulen. Viele junge Männer kamen damals direkt aus dem Krieg und sahen im Bauhaus, der ersten nach dem Krieg reformierten Kunstschule, die in der neuen Republik den Lehrbetrieb aufnahm, einen sinnvollen Neuanfang.

„Das Ziel der Schulen war nicht zuerst das eigene Künstlertum der Schüler, sondern das Werk des Meisters. Schulen als Werkstätten!“ (Peter Suhrkamp)

Künstler und Handwerker sollten so verbunden werden, dass sie gemeinsam den „neuen Bau der Zukunft“ errichten. Für Gropius wurde dies zur gesellschaftlichen, geistigen und symbolischen Tätigkeit. Mit diesem nachhaltigen Ansatz versöhnte und verband er bisher getrennte Gattungen und Berufungen. Eine bedeutende Quelle für sein Programm zum Bauhaus war der Reformvorschlag des Architekten Otto Bartning, der im Januar 1919 den „Unterrichtsplan für Architektur und bildende Künste auf der Grundlage des Handwerks“ veröffentlichte. Hier wurde das Handwerk zur Grundlage der Ausbildung erklärt.

Aus Bartnings „Rat der Meister“ wurde bei Gropius ein „Meisterrat“. Nicht Professoren, sondern Meister leiteten jetzt die Ausbildung im Bauhaus. Die Schüler hießen Lehrlinge und konnten zu Gesellen und Jungmeistern aufsteigen. Zum Reformgedanken des Bauhauses gehörte, dass sie mit Eintritt in die Schule einen Ausbildungsvertrag mit der Handwerkskammer abschlossen, der ihnen in den Jahren 1919 bis 1928 zusicherte, dass sie nach ihrer Werkstattausbildung und bestandenen Prüfung einen Gesellenbrief oder einen Meisterbrief erhielten.

Meistens absolvierten die Studierenden erst ihre Gesellenprüfung und erhielten danach ihre Bauhaus-Diplome. Ein Meisterrat entschied über alle Angelegenheiten, und dazu gehörte das Recht, neue Meister zu berufen. Wenn die jungen Menschen gleichzeitig Meister der Form und Meister des Handwerks sind, dann werde, so Gropius, „die hochmütige Mauer zwischen Künstler und Handwerker fallen“. Die Betonung des Handwerks ist vor allem eine Reaktion auf die Folgen des Ersten Weltkrieges, „durch den die Industrie fast vollständig zusammengebrochen war und die Vorzüge der Technik umgekehrt und zur Vernichtung der Menschheit benutzt wurden“ (Christian Eckert und Ulrich Völkel).

Für Gropius stellte das Handwerk nach mittelalterlichem Ideal einen Ausweg dar - der Künstler sollte wieder dahin gebracht werden, seine Ideen auch mit der eigenen Hand umzusetzen.

Für ihn gehörten praktischer Gebrauch, Haltbarkeit, geringe Kosten und Schönheit zu den wichtigsten Funktionen in Architektur und Design. Nur auf diese Weise konnte ein Beitrag zur „Kathedrale der Zukunft“ geleistet werden. Der Blick aufs Große und Utopische richtete sich aber auch auf das Kleine und Alltägliche. So wurden ebenfalls Aufträge für Möbel, Metallgeräte, Teppiche oder Raumausmalungen angenommen. Aus dem scheinbar Widersprüchlichen entstand ein kreatives Gleichgewicht, „dessen Balance in den folgenden Jahren immer wieder neu überprüft, erprobt, in Frage gestellt und verändert werden sollte.“

Das Wichtigste war jedoch die Heranziehung starker und lebendiger Persönlichkeiten, die Kunst zu einem selbstverständlichen Teil des Alltags machen sollten. Auch das Leben kam nicht zu kurz: So wurde die von Johannes Itten vertretene Devise „Spiel wird Fest – Fest wird Arbeit – Arbeit wird Spiel“ durch die verschiedenen Feiern zum Ausdruck gebracht. Auch liebten die Bauhäusler die Natur. Samstags traf man sich zum gemeinsamen Ausflug unter der Überschrift „Musik geht mit!“

Sie waren gleichzeitig Visionäre und Gestalter, die ihre Gedanken hier sofort in die Tat umsetzen konnten.

Die entstandenen Werke aus den verschiedenen Gattungen – von Architektur, Malerei, Fotografie und Collagen über Textil, Keramik, Möbeln und Leuchten bis hin zu Dokumenten und Büchern – sind bis heute eine Inspirationsquelle, die nie zu versiegen scheint. Im Jahr 1921 forderte Walter Gropius seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu auf, von allen entstandenen Produkten ein Abbildungsarchiv anzulegen. In den Folgejahren entstanden Fotoalben, die die Erzeugnisse aus den Werkstätten der Schule von 1919 bis 1925 systematisch dokumentieren. Die Bauhaus-Alben wurden seit 2006 in vier Sammelbänden als Faksimiles veröffentlicht. Vermittelt werden die Idee des Bauens, die Gemeinschaftsleistung der Werkstätten und die Suche nach neuen Gestaltungsmitteln am Weimarer Bauhaus.

Das zeigt auch die aktualisierte Bauhaus-Ausgabe des TASCHEN Verlags sowie der von Christian Eckert und Ulrich Völkel im Verlagshaus Römerweg erschienene Band „Das Bauhaus Weimar“, das sich unter anderem mit folgenden Fragen beschäftigt: Hat das Bauhaus heute noch eine Botschaft? Wofür steht es, und warum sollten wir uns damit beschäftigen? In beiden Publikationen wird die Geschichte und Wirkung dieser legendären Kulturinstitution lebendig, deren Gestaltungsbegriff das 20. Jahrhundert maßgeblich geprägt hat.

Bauhaus wird hier nicht nur als bahnbrechende Bewegung des Modernismus gezeigt, sondern auch als Musterbeispiel einer Kunsterziehung, in der schöpferischer Ausdruck und zukunftsweisende Einfälle zu Produkten führten, die zugleich schön, funktional und nachhaltig waren. Beispielsweise legte die Tischlerei im Oktober 1928 einen Prospekt vor, in dem sechs Stühle vorgestellt wurden, die auch für die weitere Produktion typisch bleiben sollten. Das preiswerte Sperrholz (später auch in Kombination mit Metall) wurde einer der wichtigsten Werkstoffe. Auch seine Elastizität wurde genutzt. Zur Verbilligung trug eine neue Beinkonstruktion für Tische und Stühle bei: Das Bein bestand aus zwei rechtwinklig miteinander verbundenen Latten, die anfangs gesteckt und später verschraubt wurden. Dadurch wurde nicht nur Material gespart, das Möbel wurde auch leichter und häufig zerleg- oder zusammensetzbar.

Das ästhetische Prinzip wirkte sich auch auf die Schrift aus.

Es wurden Großbuchstaben eingespart und durchgängig nur noch kleine Buchstaben verwendet. Diese Anregung geht auf „Werbwart“ Hans Weidenmüller (1811-1936) zurück. Er schrieb nicht nur alles klein, sondern führte auch neue, werbewirksame Begriffe und Wörter in die Werbung ein. Kleinschreiben galt als progressiv, also haben sich viele diese neue Orthografie zu eigen gemacht. „wir schreiben alles klein, denn wir sparen damit zeit. Außerdem: warum 2 alfabete, wenn eins dasselbe erreicht? Warum groß schreiben, wenn man nicht groß sprechen kann?“, war die Philosophie des Bauhauses.

Die aktuellen Bücher zum Bauhaus Weimar lassen sich nicht „besprechen“ – vielmehr sollten sie genutzt werden, die Gegenwart auf der Folie der Vergangenheit zu lesen und Zukunft neu zu gestalten. Dazu muss das Alte mit dem Neuen verbunden und junge Menschen, die zu guten Lebenshandwerkern werden wollen, ernst genommen werden. Es sollte nicht heißen „Ihr schafft das!“, sondern: „Ihr macht das!“

Heute steht der Begriff „Bauhaus“ für Kreativität, Experimentierfreudigkeit, Offenheit sowie Nähe zur industriellen Praxis und Internationalität.

Beispielsweise beschäftigten sich Studierende am 21. Oktober 2019 im Rahmen ihres Projektstudiums im Wintersemester 2019 mit dem Thema „Nachhaltigkeitsstrategien im Produktdesign“ unter Leitung von Prof. Andreas Mühlenberend, Professor für Industrie-Design an der Bauhaus-Universität Weimar. Zu Forschungszwecken bestellten sich die Studierenden die „memo Box”, ein Mehrweg-Versandsystem, mit dem die memo AG im Branchenvergleich ökologische Maßstäbe setzt: Kunden erhalten damit die Möglichkeit, sich ihre Waren ohne Aufpreis in den stabilen, grünen Boxen zusenden zu lassen. Das Sammelsystem ermöglicht es ihnen, verbrauchte Produkte, wiederverwertbare Tonermodule oder Inkjet-Druckköpfe, alte CDs und DVDs oder Schreibgeräte zurückzusenden und so dem Wertstoffkreislauf wieder zuzuführen. Um die Umweltauswirkungen des Mehrweg-Versandsystems weiter zu minimieren, wird sie seit Herbst 2016 aus dem Recycling-Kunststoff „Procyclen”, der aus Kunststoffabfällen besteht, produziert.

1995 beschloss das Konzil der ein Jahr zuvor gegründeten Hochschule für Architektur und Bauwesen (HAB) die Umbenennung der Einrichtung in Bauhaus-Universität Weimar. Damit gehört die Hochschule zu den wenigen in Deutschland, die nicht den Namen einer Persönlichkeit, sondern einer historisch bedeutsamen Institution tragen. Im Zuge der europaweiten Studienreform („Bologna-Prozess“) hat die heutige Bauhaus-Universität Weimar ihre Studiengänge auf Bachelor- und Masterabschlüsse umgestellt – mit dem Ziel, eine europaweit gültige und international kompatible zweistufige Struktur von Studienabschlüssen (Bachelor und Master) einzuführen und damit einen Europäischen Hochschulraum zu schaffen.

In fast allen Studiengängen wird heute nach dem „Weimarer Modell“ in Projekten (Lerneinheiten) studiert. Für die Dauer eines Semesters arbeiten die Studierenden intensiv an einem Thema oder einer Problemstellung. Zu Beginn jedes Semesters findet eine Projektbörse statt, in der sich die Studierenden erst kurz vor Beginn der Vorlesungszeit entscheiden, welche Lehrveranstaltung sie besuchen möchten.

Weiterführende Informationen:

Frauen, Macht, Karriere: Was wir von den Bauhausmädels lernen können

#BauhausUniVisor: Gemeinschaftsressourcen für COVID-19

Industriedesign und Nachhaltigkeit an der Bauhaus-Universität Weimar: Interview mit Prof. Andreas Mühlenberend

Das Bauhaus Weimar. Von Anni Albers bis Wilhelm Wagenfeld. Hg. Christian Eckert und Ulrich Völkel. Weimarer Verlagsgesellschaft in der Verlagshaus Römerweg GmbH, Wiesbaden 2019.

Magdalena Droste: Bauhaus. Aktualisierte Ausgabe, TASCHEN Verlag, Köln 2018.

Alexandra Hildebrandt: Meisterjahre. Die Welt verstehen und selbst gestalten. In: Visionäre von heute – Gestalter von morgen. Inspirationen und Impulse für Unternehmer. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Neumüller. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2018, S. 15-30.

Alexandra Hildebrandt und Claudia Silber: Gut zu wissen... wie es grüner geht: Die wichtigsten Tipps für ein bewusstes Leben. Amazon Media EU S.à r.l. Kindle Edition 2017.

Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. Hg. von Alexandra Hildebrandt. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2020.

Peter Suhrkamp: Über das Verhalten in der Gefahr. Essays. Suhrkamp Verlag, Berlin 2020.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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