by Charlotte Geyer

Die kulturelle Transformation von innen heraus stärken - mehr Impact durch 6 Schlüsselfragen

Wir wissen viel.

„Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem“, sagt Claus Otto Scharmer, Bildungsvisionär und Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Er beschreibt damit das Phänomen des „knowing-doing-gaps“: Wir wissen in Bezug auf die Krise ziemlich genau was zu tun ist, kennen Lösungen, Methoden und Technologien. „Aber was uns fehlt, ist der Wille und die Klarheit, auf organisationaler, gesellschaftlicher und globaler Ebene all diese Dinge auch umzusetzen“, so Scharmer.

Mit Blick auf die organisationale Transformation gibt es Parallelen. Wir Führungskräfte und Mitarbeiter/innen lesen, lernen und kennen häufig die gängigen Theorien, Modelle und Transformationsansätze. Hinzu kommt, dass wir wissen, dass die Arbeitswelt in einem extrem großen Umbruch ist – wir ahnen, dass wir „Post-Corona“ nicht in unsere „Pre-Corona“ Welt zurückkehren werden. Die Welt wird eine andere sein. Wir spüren, dass sich gerade Unternehmenskulturen neu ausrichten, hybride Arbeitsmodelle gedacht werden wollen und, dass der Klebstoff zwischen Teammitgliedern neu hergestellt werden muss. Wir wissen viel. Aber es hakt an der Umsetzung, dieser Dinge. Wie können wir damit umgehen? Wie können wir Transformation besser gestalten?

Diese Lücke, dieses „knowing-doing-gap“ schließen wir nicht mit noch mehr Wissen, so Scharmer. „Das Bewusstsein der Teilnehmer ist die Hauptvariable, durch die Veränderung stattfindet.“, sagt er. "Es geht um den Perspektivwechsel und Shift der Siloperspektive zur systemischen Perspektive. Dem Wechsel von einem Ego-System zu einem Eco-System." Vom Ich zum Wir. Er benennt Kooperation dabei als Erfolgsfaktor in einer komplexen Welt. Diese schaffe wirklich Veränderung und fördere die kulturelle Transformation.

Klingt vorbildlich. Aber wie können wir nun diesen Perspektivwechsel in die Organisation tragen?

Vorbilder wissen viel – und sie setzen eben auch um.

Durch Vorbilder und das Bewusstsein, dass jeder von uns dieses Vorbild sein kann. In der Lerntheorie ist das Lernen am Vorbild eine bedeutsame Variante, um das eigene Verhalten weiter zu entwickeln. Der Psychologe Albert Bandura betont in diesem Zusammenhang den starken Einfluss des sozialen Lernens am realen Modell, also am menschlichen Vorbild.

Wir Menschen lernen also stark an Vorbildern. Und sie sind es, die durch ihr alltägliches Verhalten den Perspektivwechsel lebendig und greifbar in die Organisation tragen können. In Organisationen erleben wir als Vorbilder häufig die Menschen, die mit Klarheit und Vision in großen Transformations- und Veränderungsprozess vorangehen. Die uns Orientierung bieten. Aber wie kann das genau aussehen, ein vorbildliches, kulturprägendes Führungsverhalten? Gibt es wissenschaftliche Ansätze?

Kulturelle Transformation durch Positive Leadership – Nähe schaffen trotz Distanz des Home Offices.

Ja - die Positive Psychologie, die durch den US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow entwickelt und anschließend durch den US-amerikanischen Psychologen Martin Seligmann stark geprägt wurde, hat positives (Selbst-) Führungsverhalten erforscht und über seinen Einfluss wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen. Positive Leadership basiert dabei auf dem klassischen Modell der Positiven Psychologie und wurde durch Dr. Markus Ebner und sein Team durch die Führungsdimension „Lead“ erweitert.

Positive Leadership zielt darauf ab, dass wir Führungskräfte und Mitarbeiter/innen durch unseren Führungs- und Arbeitsstil aktiv für ein Arbeitsklima sorgen, das die Potentialentfaltung bei unseren direkten Teammitgliedern fördert. Es geht um eine kooperative Haltung, eine positive (Selbst-) Führung und ein Bewusstsein über die eigene Vorbildfunktion. Weiter erkennt und nützt dieser Führungsstil unseren individuellen Stärken, anstatt überwiegend Schwächen in den Vordergrund zu stellen. Dadurch kommt es zu einer Win-Win-Situation: Das Unternehmen profitiert gleichermaßen wie wir Führungskräfte und Mitarbeiter/innen. Es handelt sich daher um einen Führungsstil, bei dem es darum geht, dass wir den heutigen Anforderungen in Organisationen nicht nur gerecht werden, sondern an ihnen wachsen und uns sowie unsere Teammitglieder konkret im Alltag weiterentwickeln.

Wie können wir nun bessere Bedingungen für das Gelingen der kulturellen Transformation herstellen? 6 Schlüsselfragen.

Wie können wir anfangen, kooperativ und systemisch zu denken und zu handeln? Wie kommen wir vom Ego- ins Eco-System? Die Positive Psychologie bietet sechs konkrete Verhaltensanker, anhand derer wir von innen heraus Stärke entwickeln und unsere Vorbildrolle stärken können. Sie helfen uns, unser Verhalten und die Wirkung auf die Kultur und Transformation weiterzuentwickeln.

Die 6 Dimensionen von Positive Leadership
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie, Dr. Markus Ebner
Die 6 Dimensionen von Positive Leadership Quelle: Deutsche Gesellschaft für Positive Psychologie, Dr. Markus Ebner

1) P – Positive Emotionen: Positive Emotionen ermöglichen

„Trage ich dazu bei, dass meine direkten Teammitglieder Spaß bei der Arbeit haben?“

2) E – Engagement: Individuelles Engagement fördern.

„Kann ich mich aktiv in eine konkrete Aufgabenstellung einbringen und ermögliche ich es anderen Menschen, dass sie sich einbringen können?“

3) R – Relationship: Tragfähige Beziehungen schaffen.

„Kann ich freundschaftliche Beziehungen im Team zulassen oder fördern und dafür sorgen, dass sich Teammitglieder füreinander freuen?“

4) M - Meaning: Sinn in der Arbeit vermitteln.

„Wie kann ich als Führungskraft dafür sorgen, dass meine Mitarbeitenden verstehen, warum ich etwas tue?“

5) A - Aims: Erreichtes sichtbar machen.

„Wie kann ich gemeinsam Erreichtes sichtbarer machen, meine Teammitglieder nicht nur als Zubringer verstehen und Ihnen eine positive Rückmeldung geben?“

6) Lead: Stärken orientiert führen.

„Erkenne ich Potentiale und Stärken in mir und anderen Menschen und führe ich danach?“

Positive Leadership und der kulturelle Impact.

Verschiedene Studien und Publikationen der Universität Wien belegen mittlerweile die positive Wirkung dieses Führungsstils in Bezug auf die kulturelle Transformation. Dies stellt Dr. Markus Ebner in seinem Buch „Positive Leadership, PERMA-Lead: die fünf Schlüssel zur High Performance“ ebenfalls dar.

Die Studien zeigen, dass Positive Leadership ein Führungsansatz ist, der sich nachweislich positiv auf uns Führungskräfte und Mitarbeiter/innen sowie auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Durch Positive Leadership kommt es zu weniger Krankentagen und auch das Burnout-Risiko sinkt. Der Impact von positiver Führung auf Mitarbeiter/innen kann sogar dafür sorgen, dass der Umsatz pro Kunde erhöht wird. Und positives Führungsverhalten sorgt dafür, dass Mitarbeiter/innen mehr Vertrauen haben werden, dass das Unternehmen die Krise gut meistern wird.

Und gerade jetzt in der langanhaltenden Krisensituation sind positive und stärkende Führungs- und Unternehmenskulturen relevanter denn je. Die positiven Studienergebnisse verdeutlichen, dass das Bewusstsein für soziale Interaktion großen Einfluss auf die kulturelle Transformation haben kann.

„Ich bin Kultur“

Die 6 Fragen sind weniger verkopfte, eher handlungsorientierte Fragen. Sie können helfen, das „knowing-doing-gap“ zu schließen. Sie haben alle gemein, dass sie unsere Empathie-Fähigkeit fördern und uns helfen, kulturprägendes, kooperatives Verhalten umzusetzen. Das Zuhören und Hineinfühlen in das eigene Gegenüber kann systematisch gestärkt werden, das Hören was der andere gerade braucht, ebenfalls. Die eigene geistige Aufmerksamkeit und Achtsamkeit gegenüber anderen Menschen werden somit gefördert.

Wie zu Beginn erwähnt, geht es nach Otto Scharmer darum, Bewusstsein zu schaffen. Für die eigene Sprache, Körperhaltung oder das alltägliche Verhalten in Videokonferenzen. Denn es hängt auch im Kleinen so vieles miteinander zusammen und unser Verhalten beeinflusst sich wechselseitig. Wenn wir systemischer denken, verstehen wir, dass wenn ich meine Inbox zwar abarbeite und meine Mails schreibe, es genau die Mails sind, welche die Inbox eines anderen Menschen wieder füllen.

Wenn wir uns dem Begriff des „Vorbildes“ und vorbildlichem Verhalten noch weiter nähern, ist es ebenfalls wichtig zu verstehen, dass wir Menschen mehr als nur ausführende Organe sind. Durch eigene Denkprozesse bringen wir uns in komplexe Aufgaben ein, durch unser individuelles Verhalten, unsere Sprache und Kommunikation schaffen wir Kultur. Jeden Tag und in jeder Interaktion. Wir sind Kultur.

Mit welcher Dimension kannst Du heute starten und einen kulturellen Unterschied in Deinem Team machen?

Charlotte Geyer schreibt über Wirtschaft & Management, Bildungswesen

Charlotte Geyer ist Beraterin und Executive Coach. Als Co-Inhaberin von BRIDGEHOUSE entwickelt sie Führungskräfte und Organisationen für die zukünftige Arbeitswelt. Zuvor war sie in der Management Beratung tätig und hat dort Transformationsprojekte sowie die Ausbildung für Business Coaches geleitet.

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