Die Rettung der Arbeit: Warum Angst kein guter Ratgeber ist
Warum wir die Chancen der Arbeitswelt von morgen nutzen müssen anstatt digitalen Technologien mit Angst zu begegnen.
Digitale Technologien sind auf dem Vormarsch und das nicht erst seit gestern. Innovative, mit einer KI personalisierte Geschäftsmodelle wie Netflix oder Spotify sind längst in unserer Gesellschaft angekommen. Was aber die Akzepetanz digitaler Transformation und die Anwendung moderner Technologien in der klassischen Arbeitswelt betrifft, stehen zahlreiche deutsche Unternehmen erst am Beginn eines proaktiven Wandels. Für viele Menschen birgt die digitale Transformation allerdings nicht nur einen Wandel der gewohnten Arbeits-Modelle, sondern erfordert auch ein Umdenken im eigenen Umgang mit modernen Technologien. Wir müssen uns von alten Strukturen lösen, um uns langfristig effizient auf Neues einlassen zu können.
Doch das ist leicht gesagt: Häufig ist die Digitalisierung noch mit Ängsten verbunden, sei es die Angst vor einem Jobverlust, Kontrollverlust oder einfach das Gefühl, die Zukunft schwer einschätzen zu können. Zu diesem Thema haben wir mit Prof. Dr. Lisa Herzog, Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics der Universität Groningen und Autorin des Buches „Die Rettung der Arbeit“, gesprochen und festgestellt:Demokratische Gesellschaften müssen die Zukunft der Arbeit solidarisch gestalten.
Um zu Beginn noch einmal auf den Titel Ihres Buches „Die Rettung der Arbeit“ einzugehen: Wovor genau muss die Arbeit denn eigentlich gerettet werden?
Prof. Dr. Lisa Herzog: Es gibt schon länger divergente Tendenzen in der Arbeitswelt: Wir haben gut bezahlte, sichere, interessante Jobs für die einen; schlecht bezahlte und prekäre Jobs für die anderen. Die Digitalisierung könnte diese Trends weiter verstärken. Das sieht man z.B. in den USA: Viele Amerikanerinnen und Amerikaner verdienen ihr Geld heutzutage durch plattformbasierte Aktivitäten, aber sie haben nicht einmal den Status von Angestellten und damit keinerlei Schutzrechte. Für eine demokratische Gesellschaft, in der sich die Menschen auf Augenhöhe begegnen können sollten, stellen derartige Ungleichheiten eine große Gefahr dar.
Die Angst vor künstlicher Intelligenz und digitalen Technologien ist bei vielen Menschen groß. Arbeitnehmer fürchten um ihre Arbeitsplätze. Wie können Arbeitnehmer motiviert werden, der Digitalisierung positiv und weniger ängstlich gegenüberzutreten?
Prof. Dr. Lisa Herzog: Die Ängste sind ja nicht völlig unberechtigt! Deswegen müssen wir solidarisch handeln, anstatt in einen Kampf „Gewinner gegen Verlierer der Digitalisierung“ zu geraten. Und damit meine ich nicht nur warme Worte und Mitgefühl, sondern auch ganz handfeste Maßnahmen. Welche Möglichkeiten der Umschulung gibt es zum Beispiel? Welche Jobgarantien gibt es, wie großzügig gestalten wir die Arbeitslosenversicherung aus? Welche Aufgaben übernehmen dabei die Unternehmen, welche der Staat? Die Digitalisierung zu gestalten, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der es besonders darum gehen muss, den sozialen Zusammenhalt – zu dem die Arbeitswelt im besten Fall viel beitragen kann – zu stärken.
Wie können Führungskräfte mit diesen Ängsten umgehen, um ihre Mitarbeiter dabei zu unterstützen, diese abzubauen und vielmehr Chancen in der Arbeitswelt von morgen zu erkennen?
Prof. Dr. Lisa Herzog: Führungskräfte müssen klare Ansagen machen und ihre Angestellten miteinbeziehen. Es muss klar kommuniziert werden, dass man alle mitnehmen wird und Digitalisierungsprojekte nicht als Vorwand für den Jobabbau genutzt werden. Unternehmen können neue digitale Möglichkeiten nur dann optimal nutzen, wenn sie auf das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeitenden setzen können. Dafür muss Vetrauen geschaffen werden, und das kann nur entstehen, wenn wirklich alle Akteure in die Entscheidungen eingebunden werden und gemeinsam an einem Strang ziehen. Auch der Dialog mit den Betriebsräten spielt dafür eine zentrale Rolle
Prof. Dr. Lisa Herzog: Wir sind letztlich alle gefragt, aber wer mehr Macht hat, hat natürlich auch mehr Verantwortung. Die Politik kann durchaus wichtige Weichenstellungen vornehmen, weil sie den gesetzlichen Rahmen setzt. Dazu kann z.B. gehören, welche Rechte und Pflichten im Umgang mit den Daten ihrer Belegschaften Firmen haben. Aber die Politik kann und soll natürlich nicht die konkreten Entscheidungen über die Verwendung bestimmter digitaler Tools in den Abteilungen von Firmen treffen, da liegt die Verantwortung bei den Firmen. An der einen oder anderen Stelle kann das übrigens auch heißen: wir machen nicht jeden Trend mit, nur weil „Digitalisierung“ gerade das Schlagwort der Stunde ist – es kommt eben immer darauf an, was für die konkreten Aktivitäten einer Firma wirklich sinnvoll und nützlich ist
Welche zentralen Chancen sehen Sie in der Arbeitswelt von morgen? Vorausgesetzt die Rettung der Arbeit gelingt.
Prof. Dr. Lisa Herzog: Im Idealfall erzielen wir durch digitale Technologien Produktivitätsgewinne, die gleichmäßig an alle Mitglieder der Gesellschaft verteilt werden. Dass könnte z.B. bedeuten, dass mittelfristig die Vier-Tage-Woche die Regel werden könnte. Und durch digitale Methoden sind auch neue Formen der Koordination und Abstimmung möglich, die viel partizipativer und demokratischer sind, als es derzeit oft der Fall ist. Ich hoffe, dass diese Chance auf mehr Mitsprache der Arbeitenden genutzt wird – dann könnte die Digitalisierung nämlich einen Schub in Richtung einer demokratischeren Wirtschaft bringen.
Welcher Herausforderung muss sich jeder einzelne von uns stellen, damit neue Technologien effektiv genutzt und in allen Bereichen der Arbeitswelt ohne Ängste angenommen werden können?
Prof. Dr. Lisa Herzog: Eine große Herausforderung ist sicherlich, digitale Tools zu nutzen, ohne uns von ihnen abhängig zu machen. Das betrifft z.B. die Möglichkeiten des zeitlich flexiblen Arbeitens von verschiedenen Orten aus: wie kann man diese Möglichkeiten nutzen, ohne dass die Arbeit das gesamte Privatleben überlagert, was nicht nur eine Form der Ausbeutung ist, sondern auch zu gesundheitlichen Problemen führen kann? Allerdings sind das keine Themen, die man nur als individuelle Herausforderung verstehen sollte – da geht es auch um gesellschaftliche Normen und Praktiken, die wir gemeinsam lernen und einüben müssen.
Gibt es konkrete Tipps oder Hilfestellungen, die Sie speziell für Skeptiker empfehlen und mitgeben können? Insbesondere im Hinblick auf einen geruhsamen Blick in die Arbeitswelt von morgen.
Prof. Dr. Lisa Herzog: Schauen Sie sich an, wie spielend einfach gerade jüngere Menschen sich mithilfe digitaler Tools in Teams, auch ohne Hierarchien, organisieren können, und machen Sie am besten auch selbst mit! Das zu erleben, stimmt optimistisch, was die Möglichkeiten einer demokratischeren und egalitäreren Arbeitswelt der Zukunft angeht!
Das Interview führte Daniela Schönbrunn-Muths