„Ein Sabbatical ist purer Luxus“
Im Februar erschien mein XING-Beitrag „Ausstieg auf Zeit: Warum sich immer mehr Menschen für ein Sabbatical entscheiden“. Die Resonanz war überwältigend, und es wurden so viele Fragen in den Kommentaren gestellt (beispielsweise zu den verschiedenen Modellen), dass dieses Interview mit Tanja Walther-Ahrens zugleich eine wichtige Ergänzung zu diesem Text ist.
Ich kann dann immer nur antworten, dass es mir gut geht, und dass ich sehr entspannt durch diese doch sehr verquere Zeit komme, da ich gerade ein Sabbatjahr habe. Darauf wird meist mit großem Erstaunen reagiert - und es folgt die Frage: „Ja, aber hast du Dir Dein Sabbatjahr nicht anders vorgestellt? Hattest du nicht andere Pläne?“
In meinem ersten Sabbatjahr habe ich zusammen mit meiner Familie meinen großen Traum verwirklicht und bin durch die Welt gereist: von Australien über Neuseeland nach Hawaii, Kalifornien und Florida. Viel Zeit zum Entdecken und Staunen, Abenteuer erleben, Freund*innen wiedertreffen.
In meinem zweiten Sabbatjahr hatte ich das große Vergnügen, meine Zeit mit Freundinnen zu teilen, die praktischerweise alle zur ähnlichen Zeit schwanger waren. Viel Zeit, gemütlich neue Cafés zu entdecken, spazieren zu gehen oder wagemutig (zumindest ich, die Schwangeren waren locker dabei) beim Schwangerschaftsschwimmen mitzumachen! Außerdem war ich viel joggen und bin einen Marathon gelaufen.
Während des dritten Sabbatjahres, zu Corona-Zeiten, hätte ich gerne etwas mehr Sport gemacht. Ich hätte auch gerne mit meiner großen Tochter eine gute Freundin in Australien besucht. Stattdessen habe ich wunderschöne Ecken an der Müritz entdeckt, nicht ganz so viel Sport gemacht, bin dafür aber zum ersten Mal in meinem Leben gewandert - und zwar allein mit einem eher sportlicheren Ansatz.
Die viele Zeit, die ich mit meinen Kindern und meiner Partnerin verbringen durfte, auch wenn das so nicht geplant war! Ich habe es genossen, Bücher zu lesen, die Wohnung zu renovieren, Filme zu schauen. Hinzu kommt, dass ich viel Zeit hatte, mich von meinem schwerkranken Vater zu verabschieden. Im Grunde ist der übergeordnete Plan für jedes Sabbatical ganz simpel: Zeit haben! Für viele Menschen hat Arbeit eine große Bedeutung, oft ist sie der Mittelpunkt des Lebens, wir sind geprägt von Ehrgeiz und Ansehen durch unsere Jobs. Unser Selbstwert wird oft durch Arbeit und Leistung definiert Die meisten Menschen arbeiten, um Geld zu verdienen, denn es wird zum Leben benötigt. Viele Menschen arbeiten aber viel mehr und viel länger, als sie eigentlich arbeiten müssten, um genug zum Leben zu verdienen. Viele Menschen schaffen es gar nicht mehr, einmal nichts zu tun, weil sie ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie beispielsweise mit einem Buch den halben Tag in der Sonne sitzen oder mitten in der Woche mitten am Tag einen Mittagsschlaf einlegen.
Manchmal kann schon der Wunsch nach Stundenreduzierung ohne triftigen Grund wie Kinder, Pflege eines Angehörigen etc. zu Unverständnis im Kreise des Kollegiums führen: Was kann es Wichtigeres geben als zu arbeiten, auf der Karriereleiter nach oben zu klettern? Zumindest erfahren wir von klein auf, dass Arbeit wichtig ist. Aber nicht immer ist sie erfüllend, viel zu oft stressig und setzt Menschen unter Druck oder macht sie krank. Immer mehr stellt sich die Frage: Wo hört Arbeit auf, und wo fängt Freizeit an, wenn Menschen mobil überall erreichbar sind? Das Sabbatjahr bedeutet, die Möglichkeit zu haben zu sein, ohne zwangsläufig etwas zu tun bzw. sieht das tun völlig anders aus als im alltäglichen Arbeitsleben. Es bleibt viel Zeit für Gedanken, Gefühle, Gespräche. Es gibt Raum für Freiheit. Freiheit zum Reisen, Lernen oder einfach nur Träumen.
Viele träumen davon, einmal für eine Zeit auszusteigen, meinen aber, sich dies nicht leisten zu können. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle, solch ein Sabbatical zu verwirklichen. Ich weiß gar nicht mehr, wann und wie ich davon erfahren habe, aber für mich stand im Grunde schon während meiner Ausbildung fest, dass ich ein Sabbatjahr machen möchte. Fast unglaublich, aber der sonst so behäbige öffentliche Dienst mit seinen Beamten und Angestellten hat hier vorgemacht, wie es gehen kann und ist Vorbild für die freie Wirtschaft, wenn es um die Gestaltung von Arbeitszeitmodellen für Sabbaticals geht. Der Vorteil im öffentlichen Dienst ist, dass es in allen Bundesländern Vorgaben gibt. In der freien Wirtschaft sind es meist nur größere Firmen, die Sabbatjahr-Modelle anbieten.
Ich bin im öffentlichen Dienst tätig und arbeite als angestellte Lehrkraft in einer Berliner Schule. Für mich hat sich das 3/4-Modell als günstige erwiesen. D.h. ich erhalte ¾ meines Gehaltes über einen Zeitraum von vier Jahren. Von diesen vier Jahren arbeite ich drei Jahre Vollzeit, und ein Jahr ist das Freistellungsjahr, in dem ich nicht arbeiten muss. In Berlin gilt, dass zuerst mindestens die Hälfte angespart sein muss, bevor eine Freistellung erfolgt, d.h. ich kann entweder im dritten oder im vierten Jahr des Zyklus‘ das Freistellungsjahr beantragen. Dies wird schon im Antrag festgelegt, damit alle Beteiligten sich darauf einstellen können. Dem Antrag muss die Schulleitung sowie die Schulaufsicht zustimmen, bevor eine Genehmigung erteilt wird. Während der Freistellung wird das Gehalt mit allen Abzügen weitergezahlt, genauso als würde gearbeitet, inklusive Fortzahlung der Renten- und Krankenkassenbeiträge. Mein Sabbatsjahr-Zyklus beträgt vier Jahre. Es kann aber schon mit einem Jahr beginnen, was bedeutet, ein Jahr lang erhalte ich ½ meines Gehaltes. Dafür arbeite ich ein halbes Jahr und habe ein halbes Jahr frei. Denkbar wäre auch ein Zyklus von sieben Jahren, was bedeutet, sieben Jahre 6/7 des Gehaltes zu bekommen und dafür sechs Jahre zu arbeiten und ein Jahr frei zu haben.
Es ist nicht in Geld auszudrücken, wie es sich anfühlt, Zeit zu haben - Zeit für was auch immer ich möchte: weniger arbeiten, aufräumen, organisieren, kümmern! Mehr ausschlafen, spazieren gehen, Sport treiben, Bücher lesen, Filme schauen, Sprachen lernen, Reisen, Menschen treffen und vor allen Dingen, nicht erreichbar sein. Womit auch immer ein solches Jahr ausgefüllt wird, relativ schnell ist eine tiefe, innere Ruhe zu spüren. Mein drittes Sabbatical endet mit dem Ende der Sommerferien. Mit dem Wissen für in vier Jahren wieder ein Sabbatjahr zu beantragen, starte ich dann voller Elan in meinen Arbeitsalltag!
Vielen Dank für das Gespräch.