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Führungsstilseminar war gestern: Motivbasierte Führung ist mehr als eine Frage des Stils

In der Fachliteratur oder wahlweise für ganz Eilige auch auf Wikipedia werden verschiedenste Führungsstile beschrieben. Bei genauem Hinsehen sind diese aber mal mehr, mal deutlich weniger erstrebenswert zu lernen oder wünschenswert zu erleben. Ein Beitrag, warum ich der Meinung bin, dass wir das Thema Führungsstil getrost abhaken können.

Vorab möchte ich eine Lanze brechen: Es ist sehr hilfreich, die Kategorien von Führungsstilen mit ihren Auswirkungen auf die Unternehmensdynamik gut zu kennen – ohne Frage. Insbesondere für uns Berater·innen in der strukturellen Analyse und Einordnung dessen, was organisch gewachsen ist, lässt sich mit einer fachkundigen Definition der bisher überwiegend top down gelebten, der gewünschten oder auch unterrepräsentierten Führungsstile einiges wertvolles anfangen. Hier allerdings möchte ich mich der Welt der kompetenzsteigernden Fortbildungen widmen – dem, was Führungskräften helfen soll, ausgehend vom Status quo Besseres zu erschaffen.

Persönliches Wohlbefinden steigert die Produktivität

Neben dem oft organisch gewachsenen autoritären oder seiner Unterform, dem patriarchalischen Führungsstil, glänzt doch der im Verhältnis recht junge partizipative oder transformationale Stil erheblich mehr. Vor allem wenn es darum geht, die Mitarbeiter·innen modern und agil durch den Dschungel des Arbeitsalltags zu begleiten. Man möchte schließlich als Führungskraft aktiv zum Wohlbefinden der Mitarbeiter·innen beitragen, um sie gut dabei zu unterstützen, erfolgreich sein zu können. Denn insbesondere persönliches Wohlbefinden steigert, natürlich neben anderen Faktoren, die Produktivität.

Das lässt sich spätestens seit Juhani Ilmarinen und seinem aus seinen Forschungen entstandenen „Haus der Arbeitsfähigkeit“ unverfänglich behaupten. Der finnische Wissenschaftler gilt als einer der Pioniere auf dem Forschungsgebiet der Arbeitsfähigkeit. Er wurde unter anderem mit der These bekannt, dass das individuelle Verstehen und Berücksichtigen von Bedürfnissen einen maßgeblichen Faktor für Wohlbefinden und Produktivität am Arbeitsplatz darstellt.

Jede Menge Ratgeber und Seminare locken uns mit dem Versprechen, man könne sich den für das eigene Personal oder die Aufgabe passenden Führungsstil aneignen. Und das bestenfalls ohne große Mühe, denn viel Zeit bleibt ja im Alltag gar nicht. Sich quasi eine flauschige Hülle überstreifen, um damit in einem Zustand der fortwährenden Glückseligkeit auch die herausforderndsten Projekte fast im Vorbeiflug zu einem noch nie zuvor erlebten Erfolg zu „coachen“. Der leicht spitzzüngige Unterton an dieser Stelle sei mir bitte verziehen. Wenn man jedoch den optimistisch formulierten Text der Seminareinladung mit der Realität der täglichen Herausforderung abgleicht und sich an die letzten als Führungskraft besuchten Seminare zum Thema erinnert, fällt einem doch unweigerlich dieser eine Satz ein: „Die ersten zwei Wochen danach waren eigentlich noch ganz gut …“ Schon mal gehört oder selbst gedacht?

Führungsstilseminare abhaken? Ja, unbedingt!

Meine freudige Erkenntnis dazu: Das Thema Führungsstil kann man getrost abhaken. Wir Berater·innen waren alle mal jung und enthusiastisch. Daher ließ man den Bedarf nach Trainings zu den „en vogue“ Führungsstilen auch nicht links liegen. Wir glaubten bestenfalls an das, was wir lehrten**.** Doch die Neurowissenschaft schläft nicht, und die Sozial- und Motivationspsychologie schmuggelt sich auch gern in die wachsenden Erkenntnisräume zur Funktionalität unseres Gehirns im Kontext Genetik und Sozialisation. Inzwischen gar mit beachtlichen Studien, die ihren Namen wirklich verdienen.

Und spätestens seit Beginn der 2000er wird der Begriff des Limbischen Systems zunehmend in den aktiven Sprachgebrauch all jener Berater·innen gespült, die sich schwerpunktmäßig mit den Ursachen für unser Fühlen, Denken und Handeln beschäftigen, um daraus Fragen zu dem passenden Handwerkszeug für Führungskräfte abzuleiten. Daher wissen wir immer mehr über unsere intrinsischen Motivstrukturen, unsere automatisiert agierenden Antriebschefs, die schon lange vor einer scheinbar bewusst getroffenen Entscheidung festgelegt haben, was wir demnächst fühlen, denken und tun werden.

Forscher wie der amerikanische Neurowissenschaftler Paul J. Zak und viele weitere liefern seither immer wieder neue, spannende Erkenntnisse, die für die Steigerung von Wohlbefinden, Motivation und letztlich Produktivität am Arbeitsplatz relevant sind. Zak lieferte uns beispielsweise durch eine interessante Studie einen Zusammenhang zwischen aktiver individueller Vertrauens- und Motivationsbildung durch Führungskräfte und der gesteigerten Ausschüttung des als „Bindungshormon“ bekannten Hormons Oxytocin bei den von ihnen geführten Mitarbeiter·innen. Man muss sein Personal also nicht zwangsläufig den ganzen Tag herzlich umarmen, damit sie einen als empathisch und vertrauenswürdig wahrnehmen. Man kann sie auch motivbasiert führen. Diese Erkenntnis mag für den einen erleichternd und für den anderen womöglich enttäuschend sein.

Die Lösung: Persönlichkeitsdiagnostik und Selbststeuerung

Um eine maßgebliche Erkenntnis kommen wir nicht herum: Führungskräfte tragen mit ihrer funktionalen Zuständigkeit für Menschen eine ganz besonders große Verantwortung. Da stehen wir dann mit unserem Seminar für „Partizipative Führung 4.0“, während wir mit hochrotem Kopf auf unserem allzu kurzen Geduldsfaden herumkauen und den werten, stets gemütlich dreinblickenden Mitarbeiter am liebsten in Ally McBeal-Manier mit Schwung aus dem Fenster unseres Büros mit atemberaubender Aussicht im 7. Stock halten wollen.

„Was heißt hier partizipativ?“, schreit es dann in unserem Kopf. Also: alles sein lassen und seine Leute mit napoleonischer Schärfe nach dem eigenen Bedarf übers Schachbrett schieben? Nein, natürlich nicht. Persönlichkeitsdiagnostik und Selbststeuerung erlernen ist die clevere Alternative:

  • Erster Punkt: Kenne deine Motivstrukturen sehr gut und verinnerliche deren Auswirkung auf deine Aufgaben und auf dein Beziehungsverhalten. Mache dir bewusst, was du wann in Bezug auf deine eigenen Motivstrukturen im Blick haben solltest – vor allem dann, wenn sie im Kontrast zu deinen Aufgaben und/oder den Motiven der Mitarbeiter·innen stehen.

  • Und zweitens, wenn Punkt eins passiert ist? Der eine liebt es, jeden Morgen exakte Vorgaben für den gesamten Tag von dir zu erhalten, um sich in stoischer Ruhe Punkt für Punkt voran zu arbeiten – und das berauschende Gefühl des Abhakens zu genießen. Die andere ignoriert zwar deine Vorgaben grundsätzlich, dafür kommt sie aber freudestrahlend alle paar Stunden mit einer absolut innovativen und oft sogar gut nutzbaren Idee um die Ecke – das Entdecken und Erfinden kann so glücklich machen. Schau dir deine Mitarbeiter·innen ganz genau an. Deren individuelle Motivstrukturen könnten von deinen im Zweifel ganz und gar abweichen. Lerne, ihre Motive konsequent zu bedienen – so unterschiedlich und vielfältig sie sein mögen. Ohne dich selbst dabei zu verbiegen.

  • Weil, dritter Punkt: verbiegen funktioniert ohnehin nicht! Das wissen wir spätestens seit der Situation mit dem Mitarbeiter im 7. Stock zwei Wochen nach dem Seminar „Partizipative Führung 4.0“.

Führungsstilseminare arbeiten oft mit beschriebenen Methoden passend zu einer bestimmten von anderen abgrenzbaren Führungsdefinition – mit den entsprechenden Konsequenzen für die Mitarbeiter·innen. Ohne echte individuelle Differenzierung. Eine Haltung für alle sozusagen. Sie helfen nicht, sofern die Führungskraft oder die Mitarbeiter·innen oder allesamt partout nicht zu dieser Haltung und der dazugehörigen Methodik passen. Und bei mehr als zwei Personen im Team steigt die Wahrscheinlichkeit dafür ins Unermessliche.

Das Einzige, was du ganz sicher weißt: Jeder Mensch hat vielfältige individuelle Motive und Bedürfnisse, die gesehen und bedient werden wollen. Das gilt für dich und auch für deine Belegschaft. Du lernst bestenfalls mehr darüber, was genau die Menschen in ihrer Individualität ausmacht, woran man diese Ausprägungen erkennen kann und wie man dieses Wissen im Führungsalltag bestmöglich motivational nutzt, um tolle Arbeitsergebnisse zu erzeugen. Gemeinsam und jede/r für sich.

Was denkst du über Führungsstilseminare? Abhaken: ja oder nein? Ich freue mich auf deine Meinung und den Austausch mit dir!

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Anna Faghir Afghani schreibt über Job & Karriere, Motivbasierte Führung, High Potentials, Psychologisches Profiling

👋 Moin! Ich bin Anna, systemischer Consultant, Coach und Trainerin für Führungskräfte und High Potentials mit über 20 Jahren Erfahrung im Führungsmanagement und in der strategischen Potenzialentwicklung von Talenten in Sport, Kultur und Wirtschaft. ✍️

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