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Gefahr aus der Mitte: Untertanen im Management

Jedes Buch wird zu jeder Zeit anders gelesen. So ist es auch mit dem Roman „Der Untertan“ von Heinrich Mann, der Ende 1918 erstmals in Deutschland erschien. Den „durchschnittlichen Neudeutschen“ habe er darin schildern wollen, betonte Mann später. Dargestellt wird die Karriere eines Menschen, dessen einzige Kompetenz darin besteht, sich hochzudienen in Hierarchien. Dieser Typus verschwand nicht nach dem untergegangenen Kaiserreich. Er ist auch heute noch in unterschiedlichsten Ausprägungen überall zu finden – vor allem in Politik und Wirtschaft. Die Gefahren lauern hier vor allem bei den Managern in der Mitte, die nach oben buckeln und nach unten treten. Der Karrierist im Roman war der „Heßling“ - im Wirtschaftsleben ist es der „Keltling“ (nachfolgend als Beispiel eines Managers angeführt). Schon in diesen Namen steckt Geschichte, die sich zu allen Zeiten wiederholt.

Sie identifizieren sich mit der Autorität an sich.

  • Der Manager sagte gegenüber seinen Mitarbeitenden, dass er schon immer die Blicke auf sich ziehen würde, wenn er den Raum betritt. Und er fügte hinzu: „Bei Jesus war es auch so.“

Erfolge der anderen geben sie als ihre eigenen aus – für Misserfolge dagegen sind sie allein verantwortlich.

  • Der Manager sprach über seine Mitarbeitenden wie über Figuren auf einem Spielfeld: „Frau A. steht das nächste halbe Jahr unter Beobachtung. Frau B. will ich nicht, muss sie aber erst einmal beschäftigen. Frau C will ich zwingen, sich etwas zu suchen, deshalb wird sie nur Frau D. zuarbeiten.“ Gab er eine Positionsbeschreibung an einen Bereichsleiter weiter, dann kommentierte er das mit den Worten: „Das Papier ist für Ihre Stelle, wenn sie wieder ausgeschrieben wird.“ Mitarbeitende betrachtete er auch wie Hunde, die „an der kurzen Leine“ gehalten werden sollen.

Sie passen sich den Verhältnissen naht- und klaglos durch vorauseilenden Gehorsam an.

Sie haben ein aufgeblasenes Größen-Selbst.

  • Der Marketingleiter lobte meistens Fremde, während die Mitarbeitenden leer ausgingen. Damit hielt er sie absichtlich klein. Stand über einen seiner Mitarbeitenden etwas in der Presse, sucht er ihn auf mit den Worten: „Schön, dass Kontakte zur Zeitung bestehen, aber bitte sorgen Sie doch dafür, dass, wenn wieder über Sie geschrieben wird, mindestens drei Folgeartikel über unser Unternehmen erscheinen. Kommt dagegen dreimal hintereinander etwas über Sie, bekommen Sie ein Problem mit mir.“ Er nutzte Agenturkontakte, um als Gastreferent mit den Geschäftsführern zum Beispiel zu International Business Schools mitgenommen zu werden. Vor Ort suchte er sich sofort die Veranstaltungsleiter, um das nächste Jahr allein als „hochkarätiger Referent“ eingeladen zu werden.

Sie haben keine Kommunikationskompetenz. Ihre Worte sind eine angelernte Melange aus Angelesenem.

  • Der Manager nutzte alle Medien und Möglichkeiten, um „ins Bild“ zu kommen und im Gespräch zu bleiben, obwohl er selbst keine vollständigen Sätze sprechen und einen Gedanken zu Ende denken konnte. Themen in Redaktionskonferenzen für die Mitarbeiterzeitung wurden von ihm nicht „abgehandelt“, sondern „abgefackelt“. Wurde dieses Vorgehen von einem Mitarbeiter kritisiert, antwortete er: „So spricht man hier.“ Der Manager schrieb seinen Mitarbeitenden beispielsweise auch: „Wir beschäftigen uns um (!) das Thema“, die „Adresse geht an (!) Ihnen“, „die Kosten liegen über alles (!)“. Als Berater war er nach dem Ausscheiden als Konzernführungskraft mit den Worten für sich: „Meine Aufgabe ist es, die ‚Sprache’ des Gegenübers zu analysieren und auf dessen ‚Wellenlänge’ zu sein. Selbstverständlich bereite ich meine Kunden gerne auch darauf vor, in dieser ‚Sprache’ fließend zu kommunizieren.“

Sie möchten alles unter Kontrolle haben.

  • Der Manager zensierte jedes Schreiben, das von seinen Mitarbeitenden versandt wurde. Er zeigte ständig ihre Überlegenheit und glänzen gern mit „vertraulichen“ Informationen, um ihren Wissensvorsprung zu signalisieren.

Ihre Körpersprache signalisiert Aggression.

  • In Meetings zuckten ständig die Hände und Beine des Managers. Seinen Mitarbeitenden berichtete er mit Inbrunst, was für ein herrliches Gefühl es ist, seine Frühstückseier zu köpfen. Auch seine Hände schneiden und fuchteln noch in der Luft, auch wenn er die Eier längst verzehrt hat.

Menschen, die Kritik üben (wie im „Untertan“ der alte Buck) und aufrichtig sind, werden als störend empfunden. Häufig werden sie kaltgestellt und entlassen.

  • Gegenüber einem Mitarbeiter äußerte der Manager: „Ich möchte mich von Ihnen trennen. Der Betriebsrat weiß Bescheid. Melden Sie sich bis nächsten Freitag beim Personalbüro. Wir müssen noch eine Sprachregelung finden, wie wir das nach außen kommunizieren. Und wenn Sie sich morgen schlecht fühlen, bleiben Sie einfach zu Hause.“ Die Entlassung kommentierte er mit den Worten: „Einer muss der Dumme sein. So ist das im Leben.“ - Wenn den Manager jemand nicht verstanden hat, weil er nur in halben Sätzen spricht, legte er laut den Telefonhörer auf: „Ich wünsche einen schönen Tag!“ Wer ihn kritisierte, dem entgegnete er: „Das ist eine Unterstellung. Ich hab Probleme mit Unterstellungen.“

Als Leitende schaffen sie ständig Leiden.

  • Wollte sich der Manager von Mitarbeitenden trennen, wendete er seine „Salamitaktik“ an: In Meetings schnitt er ihnen das Wort ab und begründete dies mit der Notwendigkeit, einspringen zu müssen. Umstrukturierungen im Konzern nutzte er, um ungeliebte Bereichsleiter zu beschneiden und an Ressorts anzubinden, die von leistungsschwächeren Mitarbeitenden geleitet wurden. Oder er schrieb die verantworteten Projekte Menschen zu, die bislang für den ungeliebten Mitarbeiter gearbeitet haben (z. B. Praktikanten), so dass die „Fallhöhe“ besonders demütigend ist. Das betraf auch Lob: „Und einen ganz besonderen Dank an die Praktikantin, die am meisten gearbeitet hat.“

Sie sind Lobbyisten in eigener Sache. Sie drücken sich, wo andere ihren Kopf hinhalten.

  • Negative Nachrichten ließ der Manager grundsätzlich über Dritte kommunizieren.

Sie verändern Machtverhältnisse in kürzester Zeit zu ihren Gunsten.

Sie sind Manipulatoren.

  • Der Manager war ein Schnell-Dutzer, der hierarchisch Höhergestellte sofort zum Freund erkläre. „Lobhudelei“ gehörte zu jenen „Managementtools“, die er manipulativ einsetze: „Super, klasse, perfekt“ war sein einziges Vokabular, um Mitarbeitende zu loben: „Klasse gemacht!“, „Klasse Ausarbeitung!“, „Ganz große klasse.“

Nicht Kompetenz sorgt dafür, dass sie Karriere macht, sondern das richtige Rollenspiel im entscheidenden Netzwerk.

  • Burschenschaften, wie auch im „Untertan“ beschrieben, waren vor allem ein System, in dem Opportunismus gelehrt wurde (sich in Hierarchien nach oben dienen). Auch der Manager engagierte sich schon als Student bei den Burschenschaften und ließ den Kontakt niemals abreißen. Spätere Mitgliedschaften bei den Lions oder Rotariern gehörten für ihn zum Pflichtprogramm.

Sie bevorzugen Management by Helikopter: „Wo der Lärm das Nachdenken verhindert, kommt ja kein Mensch auf die Idee, hinter die Maske der Emporgekommenen zu schauen. Mal nachzuschauen, wie viel davon Verunsicherung und wie viel davon auswendig gelernter Rollentext ist …“

Für die stets Wendigen gilt das Motto: „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“

  • Der Manager sprach viel und versprach noch mehr, aber er brach häufig das Gesagte und hat von alledem nichts gewusst, wenn sich die Umstände änderten. Er verteilte an seine Mitarbeitenden regelmäßig Zeitungsartikel – wurde er später auf bestimmte Inhalte angesprochen, konnte er sich an nichts erinnern. Papier sei doch Schnee von gestern.

Ihr Rollen-Verhalten kaschiert, dass hinter ihren lautstarken Reden nichts ist als die Furcht, durchschaut und beim Schwindeln ertappt zu werden.

  • Der Manager reduzierte Führung auf Tricks und war Vorsteher eines Lügenkabinetts, in dem Sätze wie "Ich stehe voll und ganz hinter Ihnen!" und "Ich bin ganz bei Ihnen!" zum Standard gehörten.

Sie nähern sich ihren Vorbildern soweit an, dass sie ihnen im Erscheinungsbild und der Art zu sprechen immer ähnlicher werden.

  • Der Marketingleiter passte immer die Farbe seiner Krawatte der des Vorstandsvorsitzenden an. Kam ein Nachfolger ohne Krawatte, hat er seine schon abgenommen. Nachhaltige Projekte des Vorgängervorstands wurden sofort gecancelt, nachdem der neue Firmenchef eingetroffen war. Beim Essen in Gesellschaft wanderten seine Augen ständig durch den Raum, denn es hätte ja sein können, dass ein Vorstand dabei ist, für den er sofort das Essen stehen lässt.

Sie sind immer auf Wirkung bedacht, nicht auf Überzeugung.

Dr. Alexandra Hildebrandt schreibt über Wirtschaft & Management, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internet & Technologie

Als Publizistin, Herausgeberin, Bloggerin und Nachhaltigkeitsexpertin widme ich mich den Kernthemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Beim Verlag SpringerGabler habe ich die CSR-Bände zu Digitalisierung, Energiewirtschaft und Sportmanagement herausgegeben sowie "Klimawandel in der Wirtschaft".

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