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©Getty Images

Mut zur Veränderung: Beschäftigte in Deutschland wollen Sicherheit, bleiben jedoch trotz Krise wechselbereit

Trotz angespannter Wirtschaftslage und „German Angst“: Die Deutschen überraschen mit der Bereitschaft, den Job zu wechseln.

Gefühlt ist die Stimmung in Deutschland im Moment alles andere als gut – abgesehen von kleinen Highlights wie vielleicht der Karnevalssaison, die aktuell in meiner Heimat Rheinland in vollem Gange ist.  

Neuwahlen stehen vor der Tür, die Konjunktur hinkt vor sich hin, und sogar der Arbeitsmarkt ist derzeit für Beschäftigte nicht mehr so rosig wie in den vergangenen Jahren. Daran ändern auch der Fachkräftemangel und der zunehmende Ausstieg der Babyboomer nichts, der eine gigantische Lücke hinterlässt.

Das IAB-Arbeitsmarktbarometer, einer der wichtigsten Indikatoren für die Frühdiagnose wirtschaftlicher Entwicklungen, verzeichnete im Januar 2025 den fünften Rückgang in Folge und erreichte den niedrigsten Stand, abgesehen von der Zeit der Coronapandemie. Auch das ifo-Beschäftigungsbarometer deutet auf einen weiterhin steigenden Personalabbau vor allem in Industrie und Handel hin, die bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Stellen liegen weiter auf historisch geringem Niveau. All das sorgt für ein Gefühl der Unsicherheit.  

Wir alle fragen uns: Wo geht die Reise hin? Ist es an der Zeit für die Beschäftigten in Deutschland, sich nun mit allen Mitteln den Job zu sichern, den sie haben?  

Sicher bleiben oder mutig wechseln? 

Über ein Drittel (36 Prozent) von ihnen sieht das laut unserer vor Kurzem veröffentlichten XING Wechselbereitschaftsstudie nicht so. Das Überraschende ist dabei noch nicht einmal die Zahl an sich, sondern die Tatsache, dass sie trotz all der Krisen der vergangenen Jahre auf hohem Niveau stabil geblieben ist. Darüber hinaus geben 30 Prozent an, einmal im Monat über einen Jobwechsel nachzudenken, knapp jeder Fünfte tut das sogar einmal in der Woche.

Deutet das auf eine tiefgreifende Unzufriedenheit der Arbeitnehmenden in Deutschland hin? Offenbar nicht: 85 Prozent sind zufrieden mit ihrem Job. Treibt die Angst vor Arbeitsplatzverlust die Wechselbereitschaft? Ebenfalls Fehlanzeige: 91 Prozent machen sich keine Sorgen, dass sie 2025 ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Das sind zwar drei Prozent weniger als im vergangenen Jahr, aber von Panik ist das sehr weit entfernt. Ist diese Unbesorgtheit ein Zeichen von Naivität („Krise betrifft immer die anderen“), von einem stabilen Selbstbewusstsein oder dem guten Gefühl, dass unser soziales Netz zumindest das Schlimmste abfedert?

Schon im vergangenen Jahr hat die Studie gezeigt, dass Arbeitsmarkt und Wirtschaftslage sich zumindest im Bewusstsein voneinander entkoppeln – und diese Tendenz hält an. Was treibt also die Wechselbereitschaft in schwierigen Zeiten? 

Krise verstärkt Bedürfnis nach Sicherheit  

Paradoxerweise wird der Mut zum Risiko vor allem durch ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis befeuert. Die Mehrheit (69 Prozent) wünscht sich von einem potenziellen neuen Arbeitgeber vor allem einen sicheren Job.
Dicht darauf folgt ein höheres Gehalt (65 Prozent), das im Vergleich zum Vorjahr (61 Prozent) auf dem Treppchen einen Platz aufgerückt ist – kein Wunder angesichts explodierender Lebenshaltungskosten. Der dritte Evergreen allerdings ist ein Soft Skill, nämlich gutes Führungsverhalten (63 Prozent).  

Während es für Unternehmen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oft eine Herausforderung ist, Jobsicherheit zu gewährleisten (siehe den erheblichen Stellenabbau in der so lange als krisensicher geltenden Automobilindustrie), und höhere Gehälter sowieso schon knappe Budgets zusätzlich strapazieren, ist gute Führung etwas, was weniger Geld als vielmehr menschliche Qualitäten und Zeitnehmen für die Mitarbeitenden erfordert.  

Davon profitieren nicht nur der Einzelne und das Team, sondern auch die Unternehmenskultur. Denn Führung heißt auch Raum schaffen für offene Gespräche über Bedürfnisse, Ärger, Frust oder Sorgen. Sich verstanden und emotional aufgehoben zu fühlen, schafft ebenfalls das Gefühl von Sicherheit, nach dem Menschen suchen. 

Perspektiven bieten 

Man darf den Wunsch nach Sicherheit allerdings nicht mit Stillstand verwechseln. Denn bei rund einem Drittel derjenigen, die ihren derzeitigen Arbeitgeber verlassen wollen, spielen keine oder wenig Aufstiegschancen, Unzufriedenheit mit den aktuellen Arbeitsaufgaben und Lust auf Abwechslung eine wichtige Rolle. Mut zum Risiko allerdings lohnt sich: Denn unsere Studie zeigt auch, dass nur 4 Prozent ihren letzten Arbeitgeberwechsel bereut haben, bei fast drei Vierteln wurden die Erwartungen voll (42 Prozent) oder zum Teil (30 Prozent) erfüllt.  

Der Abwanderung entgegensteuern kann man als Unternehmen beispielsweise mit Fortbildungen, neuen Aufgaben oder der Möglichkeit zu Teilzeitmodellen. So entsteht das gute Gefühl, vom Arbeitgeber wertgeschätzt zu werden – und Identifikation mit dem Unternehmen, die innerer Kündigung vorbeugt. Das alles ist auf dem Papier sicherlich einfacher gesagt, als im Arbeitsalltag getan.  

Die Studienergebnisse sind für mich ein guter Reminder, mich trotz großer Herausforderungen, alltäglichem Stress und angespannter Wirtschaftslage verstärkt darum zu kümmern, was unser Unternehmen trägt, ausmacht – und vor allem darum, was meine Mitarbeitenden umtreibt.   

Als Führungskraft ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass ich meine Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen für die Menschen in meinem Unternehmen treffe, um sicher durch kritische Zeiten zu kommen. Die eigene Zuversicht und vor allem der Dialog mit den Kolleginnen und Kollegen helfen mir dabei, in dieser komplexen Gemengelage zu entscheiden, wohin die gemeinsame Reise geht. 

 

 

Thomas Kindler schreibt über Arbeitswelt, Jobs, Recruiting, Digital

Ich gestalte das Jobs Netzwerk der Zukunft.

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