„New Work braucht auch einen inneren Wandel“
Unsere Arbeitswelt verändern, ja klar. Aber wie? Ein Buchprojekt möchte all jenen Hilfestellung geben, die in ihren Firmen und Teams neue Formen von Führung und Zusammenarbeit etablieren wollen.
Einer der spannendsten Ansätze der New-Work-Idee zur Neugestaltung der Arbeitswelt ist eine Veränderung alter Führungsstrukturen hin zu einer weitgehenden Selbstorganisation innerhalb von Teams und ganzen Abteilungen. Joana Breidenbach und Bettina Rollow haben ein per Crowdfunding unterstütztes, praxisorientiertes Handbuch für diesen Prozess geschrieben: "New Work needs Inner Work“. Denn damit New Work gelingt, so Ihre Überzeugung, „muss die innere Haltung, Klarheit und Kommunikationsfähigkeit der Mitarbeiter und Teams im Zentrum stehen“. Im XING-Interview erklärt Joana Breidenbach wie und wem ihr Buch dabei helfen kann, und warum das Projekt als Crowdfunding angelegt ist.
XING: "New Work needs Inner Work" heißt der Titel Eures Buches - was genau ist damit gemeint?
Joana Breidenbach: Als wir im betterplace lab, einem Think Tank in Berlin, mich als Chefin ersetzt und Selbstorganisation eingeführt haben, mussten wir feststellen, dass man Unternehmen nicht dadurch alleine transformieren kann, indem man neue Strukturen und Prozesse aufsetzt. Wenn wir Hierarchien und feste Rollenbeschreibungen reduzieren, dann haben Mitarbeiter mit einem Mal auch weniger Sicherheit.
Um die neue Freiheit aber wirklich zu nutzen und innovativ und motiviert zu sein, brauchen Menschen ein ausreichendes Maß an Stabilität und Orientierung. Wenn es das im Außen nicht mehr gibt, müssen wir uns im Inneren verankern.
Wir haben in fünf Jahren New Work gelernt, dass äußere Transformation auch einen inneren Wandel braucht, damit sie nachhaltig funktioniert. Wenn wir Strukturen im Äußeren abbauen, müssen wir sie im Inneren aufbauen. Damit meine ich, dass wir uns selbst besser kennenlernen müssen - wissen, was wir fühlen und denken, welche Werte uns wichtig sind und was unsere wirklichen Bedürfnisse sind.
Dazu mussten wir eine ganze Reihe an neuen Beziehungskompetenzen aufbauen - transparent kommunizieren, emphatisch sein, aber auch Kritik offen äußern und Spannungen aushalten können. Alles das sind innere Kompetenzen, die die wenigsten von uns im Elternhaus, Schule oder Beruf lernen. Wir haben sie als Teil unseres Organisationsentwicklungsprozesses entwickelt und nach und nach in unserem Arbeitsalltag verankert.
Ihr habt beim Betterplace Lab ja schon sehr erfolgreich mit hierarchiefreien Organisationsformen gearbeitet. Inwiefern sind diese Erkenntnisse denn auf andere Unternehmen und Institutionen anzuwenden?
Breidenbach: Ich selbst habe nur die Entwicklung bei betterplace hautnah erlebt. Was wir erarbeitet haben ist auch keine hierarchiefreie Form. Wir haben Hierarchien, aber die sind flexibel und kompetenzbasiert, d.h. für bestimmte Aufgaben tun sich Menschen in unterschiedlichen - auch hierarchischen - Konstellationen zusammen. Wenn die Aufgabe erledigt ist, löst sich die Struktur aber auch wieder auf. Das passt hervorragend zu unserer immer komplexer werdenden, sehr beweglichen Welt.
Unsere Organisationsentwicklerin Bettina Rollow hat mit vielen verschiedenen Unternehmen gearbeitet. Sie startet immer ohne ein festes Zielbild, sondern arbeitet von innen nach außen: Am Anfang des Veränderungsprozesses steht eine Standortanalyse und die Teams erforschen, wie sie bislang arbeiten und führen, was ihnen wichtig ist, was sie können und erst dann entwickeln sie gemeinsam eine neue Führungsform, die zu ihren Anforderungen und Interessen passt. Das ist also keine Blaupause, sondern ein maßgeschneiderter Prozess, der für jedes Unternehmen anders aussieht.
Grundsätzlich bin ich aber der Überzeugung, dass die digital-globale Welt andere Unternehmens- und Führungsformen braucht als die national-industrielle Ära. Die Innovationszyklen sind kürzer, der Markt verändert sich schneller, Talente suchen neue Freiheiten und Sinnhaftigkeit - alles das erfordert auch neue, beweglichere Organisationen.
Wer kann, sollte, muss Euer Buch lesen?
Breidenbach: Wir verstehen das Buch als ein sehr praxisangewandtes Handbuch. Es ist für jeden interessant, der sich überlegt, welche Formen der Führung und Zusammenarbeit zum eignen Unternehmen passen. Viele Menschen spüren heutzutage ja, dass der Arbeitsplatz und die eigenen Bedürfnisse nicht mehr gut zusammenpassen. Vielen kommt es vor, als müssten sie “schrumpfen” um am Arbeitsplatz zu bestehen.
Es ist für alle die, die von Frederic Laloux’s Buch Re-Inventing Organisations inspiriert sind, aber nicht wissen, wie man zu einer “teal organisation” wird. Und es ist bestimmt auch für viele Coaches hilfreich, weil wir eben Schritt für Schritt den Transformationsprozess beschreiben und viele Übungen mitliefern, die Teams selbst oder unter Anleitung machen können.
Der Buchtext ist ja bereits fertig, Ihr seid also in Vorleistung gegangen - und bittet nun per Crowdfunding um Unterstützung. War das Projekt so eine Herzensangelegenheit oder wart ihr so optimistisch, dass die Finanzierung auf jeden Fall klappt?
Breidenbach: Ich habe schon eine Reihe von Büchern in renommierten Verlagen geschrieben, aber bei diesem Buch haben wir uns nicht mal bemüht einen Verlag zu finden. Crowdfunding passt einfach zu dem Buch, denn es war von Anfang an ein sehr kollaboratives Projekt. Bettina hat ihr Wissen als Coach geteilt, ich meines als Unternehmerin. Es stecken die Erfahrungen vieler Unternehmen und Teams drin. Außerdem wollten wir möglichst viele Freiheiten haben, die man bei einem Verlag nicht hat: es nach unseren ästhetischen Vorstellungen gestalten lassen, den Titel selbst bestimmen etc.
Und ja, wir waren optimistisch, dass die Finanzierung zusammenkommt. Es gibt einfach kein anderes Buch mit einem ähnlichen Fokus auf die innere Dimension der Transformation und auch keine vergleichbare Gebrauchsanweisung. Nach einer Woche hatten wir schon 25 Prozent der Gesamtsumme zusammen und ich bin zuversichtlich, dass wir auch den Rest schaffen.
Du bist ja eine New Workerin der ersten Stunde, wie erlebst Du generell die Entwicklung dieser Idee?
Breidenbach: Mich begeistert das Thema sehr, denn ich sehe die Chance, dass wir am Arbeitsplatz prototypisch die Gesellschaft und Wirtschaft von Morgen entwickeln können: selbstbestimmter, sinnvoller und bezogener. Natürlich kann man New Work als Toolbox verstehen, mit der die Hochleistungsmaschine “Kapitalismus" noch effizienter werden kann.
Man kann aber auch, wie ich, New Work als neue Lebensform verstehen, in der Kreativität, Intuition und menschliches Wachstum im Mittelpunkt stehen. Mein eigenes Leben hat New Work total bereichert.
Interview: Ralf Klassen
Event-Info: Joana Breidenbach und Bettina Rollow sind nicht nur Autorinnen von "New Work needs Inner Work", sondern auch zwei der vielen hochrangigen Speaker der XING New Work Sessions zum Thema "Schöne neue Arbeitswelt", die XING am 25. September 2019 in Kooperation mit Vitra und weiteren regionalen Partnern in Zürich organisiert. Bei dem Event stehen flexible Arbeitszeitmodelle, flache Hierarchien und frische Ideen für eine motivierende Arbeitskultur im Mittelpunkt. Tickets und mehr Informationen finden Sie hier. Mehr Informationen und Tickets finden Sie unter diesem Link.
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