„Ohne guten Boden ist alles sinnlos“
Er war Investmentbanker, jetzt ist er Biobauer. Früher ging es ihm um die Vermehrung des Geldes - heute um gesunde Böden. Nach dem Militärdienst bei den Gebirgsjägern studierte er Business Finance an der University of Durham. Als 22-jähriger Investmentbanker bei Sal. Oppenheim in Frankfurt erlebte er die Finanzkrise hautnah mit und beobachtete, „wie dieses ganze System zusammenbrach“. Aufgewachsen ist er in Westdeutschland. Als Kind verbrachte er seine Ferien auf dem Schlossgut Alt Madlitz, das Mitte des 18. Jahrhunderts von den ostpreußischen Grafen Finck von Finckenstein erworben wurde. Friedrich Ludwig Karl Finck von Finckenstein, ein hoher preußischer Beamter, baute das Herrenhaus zu einem Schloss aus und lud Gelehrte wie die Humboldts sowie Dichter und Musiker der Romantik nach Madlitz ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Adelsfamilie vertrieben und das Gut enteignet. Das Herrenhaus wurde zu einem staatlichen Kindergarten, die Felder und Wiesen bewirtschaftete eine Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG). Nach der Wende kehrte der 1923 hier geborene Karl Wilhelm Graf Finck von Finckenstein zurück, restaurierte die alten Gebäude und modernisierte den Betrieb. Nach seinem Tod vererbte der Graf das Anwesen an seinen Stiefsohn, den Vater von Benedikt Bösel, der es 2016 an ihn übergab. Heute ist das Schlossgut ein ökologischer Modell- und Marktfruchtbetrieb. Deshalb gibt es hier eine durch die ökologische Bewirtschaftung definierte Fruchtfolge. Es werden Klassiker angebaut wie Roggen, Weizen, Tritikale und Gerste sowie Dinkel, Emmer und Hafer. Daneben sind Luzerne und Lupine wichtig, um den Boden mit Nährstoffen zu versorgen. Zum Betrieb gehören auch eine Forstwirtschaft, eine Brotmanufaktur sowie der älteste englische Landschaftspark Brandenburgs mit einem Bed & Breakfast und verschiedensten Veranstaltungsräumen. Benedikt Bösel ist Gewinner des Hauptpreises des CERES AWARD (Landwirt des Jahres 2022). Gleichzeitig hat er den Preis in der Kategorie Manager des Jahres gewonnen. Namenspatin für den CERES AWARD ist Ceres, die römische Göttin des Ackerbaus, der Fruchtbarkeit, des Wachsens und Gedeihens.
Die guten Produkte müssen teurer verkauft werden, denn sie haben einen anderen Wert als billige Massenware. Doch was teurer verkauft werden soll, braucht auch gute Geschichten. Nicht als aufgesetztes und durchschaubares Marketing, sondern wahrhaftig und vorgelebt. Um „nachhaltige“ Geschichten von guter Landwirtschaft zu vermitteln, muss die Kluft zwischen Konsumenten und Landwirten allerdings geschlossen werden. Ihr Wert liegt in der Bedeutung, die sie generieren. Wenn sie gut sind und emotional wirken, möchte man sie teilen und weitererzählen. Sie sind viel tiefer und überzeugender als nur Daten und Fakten. Dabei geht es nicht um das auch in der Beratungsbranche viel beschworene Storytelling, die jede gute Werbung erfüllen muss, sondern darum, Konsumenten mit substanziellen Inhalten zu faszinieren, zu involvieren und zu motivieren.
Im Mai 2018 erkannte er schlagartig die Bedeutung des Bodens und änderte sein Konzept buchstäblich von Grund auf. Sein Credo: "Ohne guten Boden ist alles sinnlos". Es dauert fast zweitausend Jahre, bis zehn Zentimeter fruchtbarer Boden wächst. Böden dienen als gewaltige Kohlenstoffspeicher, denn sie binden mehr Kohlenstoff als die Atmosphäre und die gesamte Erdvegetation zusammen. Das Ökosystem Boden sichert Biodiversität und spielt eine entscheidende Rolle in der Wasserregulierung. Doch allein in Deutschland gehen täglich Bodenflächen in der Größe von über hundert Fußballfeldern verloren. Schwermetallhaltige Dünger, Pestizide, ein exzessiver Stickstoffeintrag, Rückstände von Antibiotika und andere Medikamente belasten unsere Böden. Fruchtbare Böden sind Basis für 95 Prozent der globalen Nahrungsmittelproduktion und damit direkte Lebensgrundlage mehrerer Hundertmillionen Landwirte. Insgesamt wird etwa ein Drittel der weltweiten Landfläche landwirtschaftlich genutzt, um die verschiedenen Nachfragen nach Biomasse zu befriedigen. Auch leisten Böden weltweit einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Hunger, Armut und Klimawandel.
In seinem Buch „Rebellen der Erde. Wie wir den Boden retten und damit uns selbst!“ berichtet er vom Dürrejahr 2018 und den Anfängen auf seinem Hof in Brandenburg: Im Mai hatte es schon seit acht Wochen nicht mehr geregnet, die Sandböden seines Biobetriebes „Gut & Bösel“ (östlich von Berlin), zu dem 1.100 ha Acker und 2.000 ha Wald gehören und das seit 2004 nach Naturland-Richtlinien bewirtschaftet wird, waren ausgetrocknet. Zu dieser Zeit hatte er auch beschlossen, mit Hightech-Mähdrescher, Drohnen und Sonden zum digitalen Ökobetrieb zu werden. Er glaubte, dass die Digitalisierung die Antworten auf die Fragen der Landwirtschaft sei. Dann erkannte er allerdings, dass wir „in komplexen Ökosystemen denken“ müssen, dass ihn diese ganze Technologie nicht weiterbringt, „wenn der Boden nicht mehr lebt und das Ökosystem nicht mehr intakt ist.“ Nachhaltigkeit und Digitalisierung gehören zusammen – erst dann können technologische Entwicklungen weiterhelfen. Heute vereint er beide Welten: Er unterstützt Forschungsprojekte und innovative Agrar-Startups. Als Vorsitzender der Fachgruppe Agtech im Bundesverband Deutsche Startups berät er Ministerien, Verbände und Konzerne. Zudem beschäftigt er sich mit einen Venture-Capital-Fonds für Agrarthemen.
Auch die vergangenen Sommer waren heiß und trocken, was zu schlechten Ernten und Futtermangel führt. Hinzu kamen kalte Nächte, die das Pflanzenwachstum störten. Trockenheit führt zu schlechten Ernten. Die steigenden Preise für Heu und Stroh können gerade für kleine Betriebe existenzgefährdend sein. „Ein gesunder Boden speichert deutlich mehr Wasser als ein sandiger, trockener.“ Bösel ist davon überzeugt, dass sich die Bodenqualität durch nachhaltige Formen der Bewirtschaftung deutlich verbessern lassen. „Alle unsere betrieblichen Versuche drehen sich immer um die Frage, wie kann man den Boden schützen, wie kann man den Boden aufbauen“. Er investierte sein gesamtes Kapital in seine Vision, alternative Landnutzungsmethoden aus aller Welt nach Alt Madlitz zu bringen. Seinen Ansatz nennt er „multifunktionale regenerative Landwirtschaft“. Es basiert u.a. auf ganzheitlichem Weidemanagement, begleitet vom Leibniz-Institut (Rinder als Teil der Fruchtfolge, die von Untersaaten auf Zwischenfrüchte rotieren) und Agroforststreifen, um zu testen, welche Sorten sich am besten bewähren. Die Daten der zahlreichen Versuche zu Agroforst, Waldumbau und Kompost sammelt und bewertet die eigens gegründete Finck-Stiftung. Der Betrieb kooperiert außerdem mit zahlreichen Universitäten und dem Thünen-Institut. Das Leibniz-Institut misst unter anderem Bodenfeuchte und Wetterdaten. Ziel ist es, die Ergebnisse frei für alle zur Verfügung zu stellen. Bösel kann sich durchaus vorstellen, dass bis zum Jahr 2035 die positiven Auswirkungen von Landnutzungssystemen einen ökonomischen Wert haben, die Agroforststreifen auf seinem Acker die Temperaturen deutlich senken können und das verbesserte Mikroklima zu mehr Regen führt.
Die Agroforstwirtschaft orientiert sich an den Methoden des gebürtigen Schweizer Landwirts Ernst Götsch, dem es in Brasilien gelang, Kakao auf Land anzubauen, das als unfruchtbar galt. Daraus schöpft Bösel Hoffnung, dies auch hier umzusetzen. Agroforstwirtschaft wird mit Weidehaltung verbunden. Deshalb kaufte Bösel 70 Rinder, die künftig auf Wiesen weiden sollen, die mit Baumstreifen durchzogen sind. Langfristig soll diese Bewirtschaftung sogar die Bodenqualität verbessern. Die Koppelzäune werden täglich umgestellt, so dass die Rinder immer frisches Futter finden könnten. Auch vermeidet er „Bodenbeunruhigung“ (er pflügt seine Felder nicht um), denn durch die Sonneneinstrahlung verdampft nicht nur das Wasser, die Hitze zerstöre auch wichtige Bakterien, Pilze und andere Organismen. Die Bodenbearbeitung wird auf „das allernötigste Minimum heruntergeschraubt, um die Mikrobiologie zu fördern und gleichzeitig unsere eigenen körperlichen Ressourcen pfleglicher zu behandeln.“
Saatgut ist nicht nur ein Thema, das allem Landwirte und Gärtner, sondern uns alle betrifft. Es ist das erste Glied in der Nahrungsmittelkette und gehört zu den Grundlagen unserer Ernährung. Leider wurden aus vielen komplexen Anbausystemen Monokulturen gemacht, dabei wären vielfältige Felder und Pflanzen krisensicherer (resilienter). In den vergangenen hundert Jahren war ein dramatischer Sortenverlust zu verzeichnen. In den 1990er Jahren bekam die Saatgut-Frage durch die sich ankündigende Gentechnik eine neue Bedeutung. Saatgutsouveränität ist eine Grundlage von Ernährungssouveränität, was auch bedeutet, dass die Menschen, die mit Saatgut umgehen, selbstbestimmt und nachhaltig entscheiden und handeln können. Aktuell führt u.a. das industrielle Lebensmittelsystem durch Überdüngung, zu hohem Pestizideinsatz und Monokulturen dazu, dass Böden ausgelaugt und geschädigt werden. Die Bodengesundheit wirkt sich direkt auf die Pflanzengesundheit aus. Erhält die Pflanze täglich Fast Food in Form ausgelaugter Böden, dann fehlen ihr mit der Zeit wichtige Bestandteile. Vor allem die natürliche Zufuhr von Mikronährstoffen wird unterdrückt. Fehlen der Pflanze Nährstoffe und Spurenelemente in einem ausgewogenen Verhältnis, dann liefert sie zwar Energie (Ertrag), aber darüber hinaus kann sie fast nichts leisten. Nur nährstoffreiche Böden bringen nährstoffreiche Lebensmittel hervor und stehen uns langfristig für die Lebensmittelproduktion zur Verfügung.
Den Boden zu schützen hat deshalb höchste Priorität, wenn wir die Ernährung für künftige Generationen sichern wollen, denn nur aus gesunden Böden werden künftig noch Lebensmittel hervorgehen. In den 17 Sustainable Development Goals (SDGs) spielen Böden bzw. Landflächen - zumindest implizit – ebenfalls eine wichtige Rolle. Das betrifft zum Beispiel die Ziele zur Ernährungssicherheit (SDG 2), Energieversorgung (SDG 7), Produktion und Konsum (SDG 12) sowie zur nachhaltigen Nutzung der Ökosysteme (SDG 15). „Das aktuelle System wird früher oder später in eine Sackgasse führen“, sagt auch Benedikt Bösel. Er ist überzeugt davon, dass über das Thema Landnutzung die großen Probleme und Herausforderungen unserer Zeit gelöst werden können. Dazu gehören:
Bildung
Biodiversität
Chancengleichheit
Entwicklung ländlicher Räume
Gesundheit
Klimakrise
soziale Ungleichheit.
Die europäische Agrarpolitik sollte nach Ansicht von Benedikt Bösel nicht auf grobe Subventionen setzen, sondern gezielt Maßnahmen fördern, die der Umwelt und der Gesellschaft nachhaltig zugutekommen. Die Agrarwirtschaft der Zukunft müsse traditionelle Anbaumethoden und innovative Hightech zusammenbringen. Wenn die Menschen gesund ernährt werden sollen, dann ist das nur mit einem agrarökologischen Ansatz und einem solidarisch verantwortungsbewussten Verhalten möglich.
Schonung der Böden und Gewässer
treibt nicht den höchsten, sondern den nachhaltig möglichen Ertrag an
der Treibhausgasausstoß ist viel geringer als in der konventionellen Landwirtschaft, da er weitgehend ohne Agrochemikalien auskommt (die Produktion von Pestiziden und Mineraldünger benötigt auch sehr viel Erdöl)
Erhalt und Regeneration der natürlichen Bodenfruchtbarkeit
Förderung der Biodiversität (stabilisiert das Gleichgewicht, hilft beim Bodenaufbau und der Bodengesundheit, macht das gesamte Ökosystem widerstandsfähiger).
bessere Integration der Bäuerinnen und Bauern vor Ort
regionale Forschungsnetze.
Um ganzheitliche Lösungen für aktuelle und künftige Herausforderungen zu finden, muss dort angesetzt werden, wo das Thema Nachhaltigkeit beginnt: ganz unten.
Benedikt Bösel mit Martin Häusler: Rebellen der Erde. Wie wir den Boden retten und damit uns selbst! Scorpio Verlag. München 2023.
Bodenständig werden: Wie können wir zu einer erdverbundenen Haltung finden?
Rückkehr zur Erde: Wir brauchen ein tieferes Verständnis für Entstehen und Umgang mit der Klimakrise
Wie sich Anpassungsstrategien früherer Generationen für die Bewältigung unserer Krisen nutzen lassen
Saat des guten Lebens: Was ein nachhaltiges und faires Ernährungssystem ausmacht
Klimakrise: Warum wir eine ganzheitliche Ernährungspolitik brauchen
Nachhaltige Ernährung: Warum ökologischer Landbau kein Luxus für die Reichen ist
Warum eine nachhaltige Digitalisierung so selbstverständlich wie Bionahrungsmittel werden muss
CSR und Digitalisierung. Der digitale Wandel als Chance und Herausforderung für Wirtschaft und Gesellschaft. Hg. von Alexandra Hildebrandt und Werner Landhäußer. 2. Auflage. Verlag SpringerGabler, Heidelberg, Berlin 2021.
Klimaneutralität in der Industrie. Aktuelle Entwicklungen – Praxisberichte – Handlungsempfehlungen. Hg. von Ulrike Böhm, Alexandra Hildebrandt, Stefanie Kästle. Springer Gabler Verlag, Heidelberg, Berlin 2023.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.