Sehnsucht nach dem Vollkommenen: Glaube und Aberglaube im Leben der Kaiserin von Österreich
In der umfangreichen Literatur über Kaiserin Elisabeth („Sisi“) wurden mittlerweile fast sämtliche Bereiche ihres Lebens ausgeleuchtet und thematisiert. Allerdings setzte sich bislang noch kein Werk mit ihrer Religiosität und ihrem Gottesglauben auseinander. Der Sisi-Kenner Alfons Schweiggert widmet sich in seinem aktuellen Buch „Elisabeth und ihr Gott“ ihrem Kinderglauben, ihrer öffentlich und privat gelebten Frömmigkeit, ihrer Heiligenverehrung, der Vergötterung von Natur und Tieren, ihrer Reiselust als Flucht vor und zu Gott, ihrer Kritik an der Kirche und ihren Glaubenszweifeln. Alfons Schweiggert veröffentlichte vielbeachtete Bücher über die Wittelsbacher, so über König Ludwig II., über Herzog Max in Bayern und seine Tochter Kaiserin Elisabeth, u. a. »Sisis Wohnwelten« (Allitera 2018) und »Die Märchen der Kaiserin Elisabeth« (St. Michaelsbund 2019). Im Allitera Verlag erschienen von ihm außerdem »Ludwig II. und sein Paradies am Starnberger See« (2017) und »Ludwig II. und die Frauen« (2016). Von 1993 bis 2010 war Schweiggert am Staatsinstitut ISB, München, als Institutsrektor tätig. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, etwa1995 den Bayerischen Poetentaler. Schweiggert ist außerdem Präsidiumsmitglied der Autorenvereinigung
Weiterführende Informationen: https://www.alfons-schweiggert.de
Meine jahrelange Beschäftigung mit Regierungssystemen früherer Jahrhunderte, vor allem des 19. Jahrhunderts, zeigte, dass Staat und Kirche seinerzeit – erheblich mehr als das heute noch immer der Fall ist – miteinander aufs engste verbunden waren und ständig miteinander im Kampf um die Vormachtstellung lagen. Diese Tatsache prägte das politische Handeln und das alltägliche Leben von weltlichen Herrschern, u.a. von Ludwig II., Franz Joseph I. und eben auch von Kaiserin Elisabeth. Wie sich das auf Elisabeth auswirkte, damit hat sich bislang noch keine ausführliche Untersuchung auseinandergesetzt.
Schon als ich mich in mehreren Publikationen mit Ludwig II. befasste, begann ich auch mit den Recherchen zum Thema „Elisabeth und ihr Verhältnis zu Gott, Glaube, Kirche und Religion“. Die Anfänge liegen also etwa 20 Jahre zurück. Die eigentliche Arbeit intensivierte sich dann vor etwa zehn Jahren.
All die bekannten Eigenarten und Widersprüche im Leben dieser Frau reizten mich dazu, immer tiefer zu graben, um eine Erklärung dafür zu finden, was die Grundlagen für ihre Wesenszüge und Eigenarten sind. Dabei stieß ich immer wieder auf ihre Religiosität als wichtigen Baustein in ihrem Leben.
Meine beiden vorausgegangenen Bücher über Kaiserin Elisabeth waren ein erster Schritt, sie zu verstehen. In meinem Buch „Sisis Wohnwelten – Traumschlösser, Seelenorte und Fluchtburgen der Kaiserin Elisabeth von Österreich“ habe ich Elisabeth als „Wohnflüchtling“, als Getriebene vorgestellt, stets auf der Suche nach Sehnsuchtsorten, Fluchtpunkten und „Seelenorten“. Genau genommen hat sie sich nicht in Räumen aufgehalten, sondern in idealisierten Natur- und Traumwelten, die so zum Spiegel ihrer Seele und zum Schlüssel ihrer vielschichtigen Persönlichkeit und ihrer komplizierten Psyche wurden. Mit dem Medium „Wohnwelten“ wollte ich Schicht um Schicht ihre psychische Entwicklung und tiefenpsychologischen Befindlichkeiten freilegen.
In meinem Buch „Märchen der Kaiserin Elisabeth“ wurde dann ihre Affinität zu Märchen und wunderlichen Märchengestalten offenkundig. Auch als Erzählerin einiger Märchen in Poesie und Prosa habe ich sie vorgestellt. Sie wollte lieber Elfenkönigin sein und zog sich stets in ihre Fantasien, in Traum- und Märchenwelten zurück. Mein Buch „Elisabeth und ihr Gott“ ist nun der dritte Band in meiner „Elisabeth-Trilogie“, in dem ich ihrem innersten Wesen auf den Grund zu gehen suche.
Dies geschah bei meinen Arbeiten über König Ludwig II. von dem sie ja verehrt wurde, wenngleich die Beziehung zwischen beiden auch problematisch war. Dennoch entfaltete sich zwischen beiden eine eigenwillige Seelenfreundschaft. Genau genommen war die acht Jahre ältere Elisabeth ja seine Tante, doch Ludwig nannte sie stets Cousine und sie ihn Cousin. Betroffen stellten beide fest, dass sie sich in ihrem Wesen und in vielen Ansichten sehr ähnlich waren. Auch die Zeitgenossen registrierten zahlreiche Gemeinsamkeiten und exzentrische Verhaltensweisen. Beide huldigten einem exzessiven Schönheitskult, liebten die Einsamkeit, waren menschenscheu und hatten einen Hang zur Weltflucht. Beide hatten eine Abneigung gegen das strenge Hofzeremoniell, gegen Audienzen und waren Meister im Ausweichen offizieller Termine. Beide hassten ihre Residenzstadt, Ludwig München, Sisi Wien. Beide empfanden Abscheu gegen Krieg und Gewalt und waren sehr belesen und bildungsbeflissen. Beide fühlten sich am wohlsten in abgeschiedener Natur, die sie mehr als Menschen liebten, waren ausgezeichnete Reiter und liebten scharf Ritte. Beide lebten ohne Rücksicht auf andere ihre Neigungen aus. Beide fühlten sich von Geisteskrankheit bedroht, glaubten aber, „dass die Menschen, die man für wahnsinnig hält, die wahren Klugen sind.“
Als Elisabeth in der Mitte ihres Lebens ihre Schönheit schwinden sah, verweigerte sie sich der Öffentlichkeit, versteckte ihr faltiges Gesicht hinter Schleiern, Schirmen und Fächern. Auch Ludwig zog sich in den letzten Lebensjahren wegen seines extremen Zahnverfalls und seiner zunehmenden Leibesfülle zurück und wollte sich nicht mehr dem Volk zeigen. Gegen Ende ihrer Lebenszeit befiel beide Lebensüberdruss und Todesverlangen und beide erlitten auch ein tragisches Ende.
Keiner der bislang über Elisabeth gedrehten Filme wird ihrem Wesen auch nur annähernd gerecht. Vor allem die Marischka-Trilogie führt bei der Beurteilung ihrer Person völlig in die Irre, prägt aber bis heute leider maßgeblich das „Sissi“- Bild. Dagegen versuchen diverse Biografien und Bücher, u.a. auch meine, anzukämpfen in der Hoffnung, auf diese Weise zum Kern ihres wahren Wesens vorzustoßen.
Ein Elisabeth-Biograph darf weder ein „Sisi-Verehrer“ noch ein „Sisi-Kritiker“ sein. Oberstes Gebot ist, intensives Quellen-Studium und alle vorhandenen Quellen möglichst objektiv auszuwerten und behutsam zu interpretieren.
Pandemiebedingt sind solche Vorhaben eher fraglich. Hingegen ist ein Gedankenaustausch bei Telefon-Interviews und mittels Video-Konferenzen durchaus möglich.
Alexandra Hildebrandt: Ortlosigkeit als wahre Behausung: Sisis Weltflucht
Alfons Schweiggert: Elisabeth und ihr Gott. Glaube und Aberglaube im Leben der Kaiserin von Österreich. Allitera Verlag, München 2021.