Sein statt Schein: Zur Nachhaltigkeit des Erfolges
Viel Erfolg!
Wichtige Entscheidungen trifft die Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein grundsätzlich aus dem Bauch heraus. Sie weiß "innerhalb von zwei Sekunden“, ob sie auf etwas Lust habe oder nicht, sagte sie kürzlich in einem Interview. Das Thema ist auch ein wichtiger Bestandteil des Buches „Viel Erfolg!“, das sie gemeinsam mit dem TV-Produzenten und Medienmacher Jan Westphal herausgegeben hat. 50 erfolgreichen Menschen, darunter Motsi Mabuse, Jogi Löw, Julien Bam, Frauke Ludowig, Mark Benecke, Titus Dittmann, André Rieu und Oliver Pocher wurden zehn Fragen zu ihrem Werdegang gestellt, unter anderem: Was wollten sie als Kind werden? Wie wichtig war in ihrer Karriere Glück? Sind sie für ihren Erfolg Risiken eingegangen? Was raten sie (jungen) Leuten, die vor der Entscheidung stehen: Was soll ich mal werden?
Der Untertitel des Buches „Wie wir wurden, was wir sind“ mag zunächst irritieren: Müsste es nicht heißen, „wer“ wir sind? Das Was mag zu den vielen Funktionen und Auszeichnungen vor den Namen im Buch passen, aber wirklich entscheidend ist es nicht. Auf Nachfrage antwortete Kathrin Müller-Hohenstein, dass es den Herausgebern „ganz klar um den Beruf“ ging. „Und die Frage danach lautet: Was bist Du oder was sind Sie?“
Die Zahl 50 wurde gewählt, weil dadurch auch relativ viele Berufsfelder abgedeckt werden konnten. Im Buchcover ist eine Goldmedaille angedeutet mit dem Titel „Viel Erfolg!“. Er ist doppeldeutig gemeint: Es geht um die Erfolgsfülle der Prominenten, aber auch den Wunsch an die Leser, nach der Lektüre ihren eigenen Weg zu finden. Leider sind nur 20 der 50 Autoren auf dem Cover abgebildet – die bekanntesten prominenten Gesichter, was aber nicht bedeutet, dass von ihnen die besten Beiträge zu erwarten sind. Spannend sind vor allem jene von den Autorinnen und Autoren, die man hier nicht sieht. Beantwortet wird auch nicht, wie die Interviews geführt wurden: Saßen sich die Gesprächspartner gegenüber, oder wurden sie per Mail befragt?
Standardfragen haben leider oft den Nachteil, dass nicht vertiefend nachgefragt werden kann. Doch wer sich mit den hier Interviewten schon beschäftigt hat, findet vieles, das anschlussfähig ist an das, was bekannt ist oder eben auch nicht. Die Fragen sind im Buch alle gleich, „weil man die Antworten dann besser vergleichen kann. Manche Antworten sind lang, andere sehr kurz. Der Youtuber z.B. findet für jede Frage gerade mal einen Satz. Das wollten wir unbedingt so lassen, weil es ja seine Art der Kommunikation ist“, so Müller-Hohenstein auf Nachfrage. Einige erzählen mehr, andere weniger – es wurden besusst keine Vorgaben gemacht, „weil das über den Interviewten ja doch auch etwas aussagt.“
Ein zentrales Thema, das alle Befragten verbindet, ist Mut - das kleine Verbindungsstück zwischen Wollen und Handeln.
„Wir haben uns daran gewöhnt, dass uns alles immer lauter anspringt“, heißt es im Vorwort. Das führt dazu, dass viele Menschen nicht mehr auf ihre innere Stimme hören. Das Buch ist auch ein Plädoyer, wieder mehr darauf zu hören. Für Vanessa Haasis, „Deutschlands beste Lehrerin“ 2016, ist das wichtigste, dass man Freude hat an dem, was man tut: „Das ist am Anfang vielleicht nur ein Bauchgefühl. Aus einer inneren Überzeugung heraus.“ Auch für Fußball-Bundestrainer Joachim Löw, sind für sein Handeln Bauchgefühl, Intuition und die eigene tiefe Überzeugung entscheidend. Im Interview mit Kathrin Müller-Hohenstein, die ihn immer entspannt und freundlich erlebte, erläutert er seinen Karriereweg vom Spieler zum Trainer: „Aus heutiger Sicht war es eine Berufung, der ich intuitiv folgte.“ Er ist ein Fußball-Ingenieur, der Übungen und Abläufe präzise in einzelne Bestandteile bzw. Einheiten zerlegt, die sich als effektiv erweisen und sich mit den Gesetzmäßigkeiten des Spiels beschäftigt. Das spricht viele Menschen an in Zeiten der Unsicherheit, in der alte Gewissheiten zerbrechen und nach Orientierung und Sicherheit gesucht wird. Langjährige Untersuchungen bestätigen, dass erfolgreiche Trainer eher ruhig, aber bestimmt sind, wenig loben und kritisieren und ihren Fokus hauptsächlich auf reine und anschauliche Information legen. Bei Niederlagen hinterfragen sie ihr Handeln und korrigieren ihre Strategie. Ihre Expertise beruht wie bei Löw auf ihrem enormen Erfahrungsschatz. Erfolg ist bei ihm die Folge von Beharrlichkeit, Zuversicht, Entschlossenheit, Training und Können.
Erfolg ist das, was folgt
To succeed heißt im Englischen weiterzugehen, ähnlich wie das deutsche Wort „folgen“. Wenn der Begriff „Erfolg“ von folgen kommt, bedeutet das, dem eigenen Ziel, der eigenen Entwicklung zu folgen, sich schrittweise weiterzuentwickeln. Wichtig ist allerdings, nicht allein das Ziel im Auge zu haben, sondern darüber hinaus auch alles, was dieses Ziel beeinflussen könnte. Für Jürgen Milski, der als Feinblechner in den TV-Container ging und heute einer der erfolgreichsten Party-Schlagersänger ist, bedeutet das auch, „seinem Herzen folgen“, denn: „Es nützt ja nichts, seiner Vernunft zu folgen und einen Beruf zu machen, nur weil es vernünftig ist.“ Auch André Rieu, Walzerkönig und Leiter des größten privaten Orchesters der Welt empfiehlt jungen Menschen, die vor der Entscheidung stehen, was sie einmal werden möchten: „Höre in dich hinein. Spüre, woran dein Herz hängt, und überlege, was du wirklich machen möchtest. Folge deiner Leidenschaft, und lass dich von anderen nicht davon abbringen …“
Im Hebräischen ist „hazlacha“ (überqueren) das Wort für Erfolg. Der zu überquerende Fluss ist ein dynamisches Element, das aber nicht verhindert, von A nach B zu gelangen, dem eigentlichen Ziel (das andere Ufer, Neuland). Erfolg braucht auch den Sprung ins Unbekannte und die Bereitschaft zu lernen, Risiken auf sich zu nehmen und den Schritt auf unbekanntes Terrain zu wagen. Die Gefahr einer Stagnation wird durch Mut überwunden. Erfolgreich zu sein, bedeutet aber nicht nur, ein Ziel erreicht, sondern auch etwas angestoßen und in Bewegung gesetzt zu haben.
Erfolg ist kein Besitzstand, nichts Statisches, sondern etwas, das sich immer im Fluss, in dynamischer Bewegung, befindet.
Kathrin Müller-Hohenstein wusste nach dem Abitur zunächst nicht, wohin sie ihr beruflicher Weg führt. Deshalb ging sie zunächst in die USA, wo sie in Disney World als Bratwurst-Verkäuferin arbeitete. In New York lernte sie den Großstadtdschungel kennen und bereiste mit ihrem Bruder das Land. Die Erfahrungen, die sie hier gemacht hat, bezeichnet sie rückblickend als "Volltreffer", denn sie haben ihr ein enormes Selbstbewusstsein gegeben, obwohl sie sich zuweilen auch durchbeißen musste. Sie lernte, strukturiert und mit Freude zu arbeiten, aber auch die Zeit auf Hawaii zu genießen, bevor sie nach Deutschland zurückkehrte und ein Radio-Volontariat begann. Ein Freund ermutigte sie, beim ZDF anzurufen - wo sie über 200 Mal "das aktuelle sportstudio" moderierte sowie große Sportevents wie die Olympischen Spiele und die Fußballweltmeisterschaft.
Herzschlag der Sieger
Für Müller-Hohenstein ist die olympische Idee das, was wir in ihr sehen und aus ihr machen. „Ich kenne im Sport kaum ein Motto, das ich erfrischender finde als den olympischen Gedanken. Ein internationales Fest des Sports, jeder gibt sein Bestes, Fairplay und Toleranz stehen im Mittelpunkt. Das ist mein Traum vom sportlichen Wettkampf.“ Auch Manager können von der olympischen Idee lernen, Widersprüche nicht nur aufzulösen, sondern zu dulden und in produktive kollektive Emotionalität umzuwandeln. Zu den olympischen Werten, die auch mit der Sehnsucht nach einem anderen Wirtschaftsleben verbunden sind, gehören Höchstleistung, Respekt, Freundschaft und „Nachhaltigkeit“. Auch wenn dieser Begriff nicht im Buch genannt ist, so spielt er doch in vielen Beiträgen eine wichtige Rolle – beispielsweise bei der deutsch-österreichischen Unternehmerin, Fernsehköchin, Autorin und Politikerin Sarah Wiener, die bei der Wahl zum Europaparlament 2019 kandidierte und als Parteilose für die österreichischen Grünen einzog und zur Abgeordneten gewählt wurde.
Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie Commissioner for Holocaust Memory beim Jüdischen Weltkongresses, spricht über ihre Ehrenämter: „Ich trage gerne Verantwortung für die nachfolgenden Generationen und für die Zukunft, auch wenn ich sie selbst wie gesagt selbst nie aktiv gesucht habe.“
Nachhaltigkeit wird hier aber auch anpackend beschrieben: So berichtet Jürgen Milski, wie er als Kind Zeitungspapier gesammelt und dann einem Altpapierhändler verkauft hat: „Da waren wir fünf oder sechs Jahre alt. Danach habe ich als Flaschensammler mein Geld verdient… Als Kinder sind wir über die Baustellen und haben die leeren Bierflaschen gesammelt und dann das Pfand dafür geholt.“ Das war sein erstes „selbst verdientes“ Geld.
Ähnliches erzählt der Mäzen der TSG Hoffenheim und Mitgründer des Walldorfer Softwareunternehmens SAP, Dietmar Hopp, der schon mit zehn Jahren begann, Geld beziehungsweise Essen zu verdienen: „In meiner Jugend habe ich viele Gelegenheitsjobs gemacht: Zum Beispiel war ich Erntehelfer bei Bauern und habe Alteisen gesammelt und an den Händler verkauft. Mit 16 war ich in den Ferien dann Bauhhilfsarbeiter. Mit neunzehn Jahren habe ich den Führerschein Klasse 2 gemacht, um in den Semesterferien Lastwagen zu fahren und das Geld für mein Studium und den Lebensunterhalt zu verdienen.“ Seinen ersten Arbeitsvertrag als Softwareentwickler bei IBM Deutschland unterschrieb er 1966. „Man braucht eine Vision, großes Durchsetzungsvermögen, Fleiß und einen unbändigen Willen, um ein Start-up-Unternehmen zum Erfolg zu führen.“
Auch Bodenständigkeit ist ein wichtiger Begriff für alle, die den Erfolg „anpacken“.
Gemeint ist – nach Martin Heidegger - eine im besten Wortsinn erdverbundene Haltung, die eigene Entwicklungsmöglichkeiten in einem stabilen Umfeld genauso ernst nimmt wie die Freude am Machen und an der Neugier. Dass man sich Glück hart erarbeiten muss, ist den meisten in diesem Buch bewusst – den sehr praktischen und bodenständigen Menschen aber am meisten. So sagte der Vater von Jürgen Milski schon immer „Glück haben nur die Tüchtigen.“ Daran glaubt auch Kathrin Müller Hohenstein. Glück, das zeigen viele Beispiele in diesem Buch, hat aber auch mit der richtigen Gelegenheit zu tun: Hinter dem Motiv des Zugreifens („Erkenne die Lage“) steht das alte Bild von Occasio, der Göttin mit der Haartolle vorn und der Glatze hinten: Wird das Haar nicht im rechten Moment gepackt, fasst man ins Leere, und die Göttin ist vorbei gezogen. Ende des 16. Jahrhunderts war Fortuna in England ein bedeutendes mythologisches Denkbild, das verbunden war mit Eigenschaften wie praktischer Klugheit, Wagemut, Anpassungsfähigkeit und dem Erfassen des rechten Moments. Helga Hengge, erste deutsche Frau auf dem höchsten Berg der Welt, de, Mount Everest, nimmt dieses Bild auf, das zugleich ein Aufruf an alle ist: „Gelegenheiten beim Schopf packen, sich mit Begeisterung engagieren und Schwierigkeiten nicht aus dem Weg gehen.“ Für Rena Achten, eine von nur zwei Kapitäninnen auf der A380-Flotte der Lufthansa, sind Glück und Zufall Einstellungssache: Wenn ich offen bleibe für Neues und Fremdartiges … begegnen einem die erstaunlichsten Wunder, und das Leben offenbart viele glückliche Wendungen.“
Weiterführende Literatur:
Katrin Müller-Hohenstein und Jan Westphal: Viel Erfolg! Wie wir wurden, was wir sind. Benevento Verlag, Salzburg 2020.