Sisis Unabhängigkeitserklärung: Warum der 27. August ein besonderer Tag der Frau ist
Weil Sisi an diesem Tag ihrem Mann Kaiser Franz Joseph mit einem Ultimatum die Pistole auf die Brust gesetzt hat: Entweder bekomme ich ab sofort in allen mich betreffenden Dingen absolute Freiheit oder ich verlasse dich.
Bei der Verlobung mit Franz Joseph war Sisi noch ein Kind, kaum 15 Jahre alt, und fühlte sich natürlich geschmeichelt, von einem Kaiser zur Ehefrau ausgewählt zu sein. Doch gleich nach der Hochzeit ist die Kind-Kaiserin heillos überfordert Die Hofburg wird für sie zum goldenen Käfig, zum Zuchthaus. Sie steht unter dem Druck des Hofzeremoniells, der Forderungen ihrer Schwiegermutter Erzherzogin Sophie und ist alleingelassen von Franz Joseph, der ein Muttersöhnchen ist. Sie ist totunglücklich. In nur vier Jahren bringt sie drei Kinder zur Welt, zuletzt den Thronfolger Rudolf. Sie fühlt sich als Gebärmaschine. Dann reicht es ihr nach sechs Jahren Unterdrückung und „Kerkerhaft“ und sie wird krank.
Da Franz Josephs mittlerweile auch noch fremd geht und die „freundliche Unterdrückung“ ihrer Schwiegermutter weiter besteht, kommt es im Herbst 1860 zum ersten Paukenschlag der mittlerweile 23-Jährigen. Psychisch und körperlich krank flieht sie auf die Inseln Madeira, Korfu und nach Neapel und schult dabei ihren Widerstandsgeist. Nicht mehr Sophie soll ihren Sohn dominieren, das will nun sie tun. Nach und nach übernimmt sie die Position seiner dominanten Mutter und deren Macht über ihn. Mit dem Gehorsam und ihrer Unterwürfigkeit gegenüber Franz Joseph und dessen Mutter soll nun Schluss sein.
Der zweite Paukenschlag ist ihr Ultimatum vom 27. August 1865. An diesem Tag verfasst die 27-Jährige, ihre „Unabhängigkeitserklärung“:
„Ich wünsche, dass mir vorbehalten bleibe unumschränkte Vollmacht in Allem, was die Kinder betrifft, die Wahl ihrer Umgebung, den Ort ihres Aufenthaltes, die complette Leitung ihrer Erziehung, mit einem Wort, alles bleibt mir ganz allein zu bestimmen, bis zum Moment der Volljährigkeit.
Ferner wünsche ich, dass, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebung, den Ort meines Aufenthaltes, alle Anordnungen im Haus etc. etc. mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibe.“
Damit bringt Elisabeth zum Ausdruck, dass sie von nun an in allen ihren Entscheidungen frei sein will, auch bezüglich religiöser Angelegenheiten. Franz Joseph bleibt die Luft weg. Er widerspricht ihr nicht und aus dem Muttersöhnchen wird ein „Sisi-Männchen“. Elisabeth wird zu seiner neuen Herrin und er zu ihrem Sklaven. In ihren Briefen nennt sie sie ihn ungeniert „Mein Kleiner“, und er unterschreibt seine Briefe devot mit „Dein einsames Männchen“, „Dein Männeken.“ Elisabeth degradiert Franz Joseph nach dem Vorbild von Shakespeares „Sommernachtstraum“ zu ihrem „Esel“ und sieht sich als ihm überlegene Feenkönigin Titania. Sie emanzipiert sich auf diese Weise und ist bis heute ein Vorbild für alle Sisi-Fans, die deshalb den 27. August jedes Jahr ihr zu Ehren feiern.
Nein, keineswegs! Elisabeth geht jetzt noch einen Schritt weiter und betreibt nun die „extinction de roi“ – die „Auslöschung des Königs“, wie sie dieses von ihr erfundene Demütigungsspiel nennt. Recht unverhüllt schreibt sie ihrem Mann: „Du gehst mir recht ab, mein lieber Kleiner, die letzten Tage hatte ich Dich wieder so nett gezogen. Nun muß ich wieder von vorne mit der Erziehung anfangen. Du kennst mich ja und meine Gewohnheiten und extinction de roi.“ Ihr Spiel funktioniert. Wenn sie gereizt reagiert, bettelt Franz Joseph: „Mein lieber Engel, […] wenn Du auch recht bös und sekkant [zudringlich] warst, so habe ich Dich doch so unendlich lieb, daß ich ohne dich nicht sein kann.“ Oder: „Laß mich nicht so lange schmachten und komm bald zu mir.“ Doch sie lässt ihren Mann immer mehr allein, reist in der Welt umher, widmet sich der Pflege ihrer Schönheit und der körperlichen Ertüchtigung. Unsummen verschlingen auch der von ihr leidenschaftlich betriebene Reitsport und die exzessive Reisesucht. Oft weiß Franz Joseph gar nicht, wo sich sein Weib gerade herumtreibt. Weder körperliche Liebe noch geistige Zuneigung binden sie noch an Franz Joseph.
Ja, mit der „Auslöschung des Kaisers“ wird sie zu seiner Domina und praktiziert von jetzt ab genüsslich ein Sadomaso-Spiel, bei dem Franz Joseph zu ihrem „Männeken“ schrumpft, ihr als „Eselchen“ aus der Hand frisst, bis er nach ihrem Tod kleinlaut gesteht: „Sie wissen gar nicht, wie ich diese Frau geliebt habe.“ Franz Joseph zeigt in seiner Beziehung zu Elisabeth zweifellos masochistische Züge, eine ihm unbewusste Tendenz zur Selbstbestrafung, wie dies der Psychiater Erwin Ringel einmal formulierte.
Da ihr Franz Joseph schließlich leidtut, sucht sie ihm jetzt eine „Ersatzfrau“, die ihm während ihrer ständigen Abwesenheit zur Verfügung stehen soll. Ab 1883 unterstützt die 46 jährige Kaiserin ganz offen den Kontakt Franz Josephs zu der von ihm verehrten, 23 Jahre jüngeren, hübschen Burgschauspielerin Katharina Schratt und trägt damit zur endgültigen „Verschrattung“ ihrer Ehe bei. Nach kirchlicher Lehre gilt diese Aktion allerdings als Beihilfe zum Seitensprung und ist mit ihrer Legitimation einer außerehelichen Beziehung Ehebruch, also eine Sünde. Für Elisabeth ist die offene Ehe allerdings nur ein neues Lebensmodell. Die Schratt ist übrigens verheiratet, lebt von ihrem Mann getrennt und hat außerdem Affären zu drei weiteren Männern. Franz Joseph ist das fünfte Rad am Wagen der Burgschauspielerin. Sisi amüsiert sich über seine Beziehung zu dem „dicken Engel“, womit sie die Schratt meint.
Als sich Elisabeth immer überflüssiger fühlt, fragt sie sich: „Warum bin ich eigentlich geboren? Mein Leben ist unnütz und ich stehe nur zwischen dem Kaiser und Frau Schratt. Ich spiele doch da eine fast lächerliche Rolle.“ Jetzt sehnt sie sich nur noch nach ewiger Freiheit.
Einen Tag vor ihrem Tod sagt sie: „Ich wünschte, meine Seele könnte durch eine ganz kleine Öffnung in meinem Herzen in den Himmel entgleiten.“ Diese ganz kleine Öffnung in ihrem Herzen bringt ihr am nächsten Tag, dem 10. September 1898, der italienische Anarchist Luigi Lucheni mit einer nadelspitzen Feile bei und wird so zum Erlöser von allen ihren Leiden.
Nach meinen beiden Büchern „Sisis Wohnwelten – Traumschlösser, Seelenorte und Fluchtburgen der Kaiserin“ und „Märchen der Kaiserin Elisabeth“ ist „Elisabeth und ihr Gott“ der dritte Band in meiner „Elisabeth-Trilogie“, in dem ich ihrem innersten Wesen auf den Grund gehe. In ihrem ganzen Leben spielte nämlich die fortwährende Auseinandersetzung mit Gott, Religion und den Vertretern der Kirche eine ganz entscheidende Rolle.
Sehnsucht nach dem Vollkommenen: Glaube und Aberglaube im Leben der Kaiserin von Österreich
Alfons Schweiggert: Elisabeth und ihr Gott. Glaube und Aberglaube im Leben der Kaiserin von Österreich. Allitera Verlag, München 2021.