So sorgt die neue Arbeitswelt für mehr Chancengleichheit
Die Digitalisierung erfasst alle Bereiche unseres Arbeitens. Das eröffnet neue Möglichkeiten für mehr Chancengleichheit. Diese Projekte zeigen, wie man sie nutzen kann.
Warum nicht die Zeiten eines Umbruchs nutzen, etwas Neues und Besseres zu schaffen? Denn nach wie vor gibt es Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern, Führungspositionen werden seltener mit Frauen besetzt und der Spagat zwischen Beruf und familiären Sorgepflichten ist für viele Betroffene immer noch eine riesige Herausforderung. Dabei könnte die digitale Transformation zum Wendepunkt für mehr Chancengleichheit werden – wenn wir sie richtig nutzen. Die Lern- und Experimentierräume des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), die Betriebe darin unterstützen, neue Arbeitsweisen zu erproben, haben in dieser Frage eine Reihe innovativer Ansätze begleitet.
„Wir erleben in den Unternehmen, dass grundlegende Neuerfindungsprozesse stattfinden und kein Stein auf dem anderen bleibt. Es geht um neue Geschäftsmodelle, Innovationsstrategien, neue Formen der Organisation von Arbeit und der Arbeitskultur“, beschreibt Dr. Kira Marrs die aktuelle Situation. Marrs ist Leiterin von #WomenDigit, einem Forschungsprojekt und Experimentierraum unter dem Dach der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) zur Förderung der Chancengleichheit im digitalen Wandel. Die Frage, die das Projekt beantworten will: Wie können wir eine neue Arbeitswelt skizzieren, in der wir die Perspektiven von Frauen von Beginn an mitdenken und sie zu Gestalterinnen der digitalen Arbeitswelt machen? Denn klar ist: Ohne festen Willen und klares Ziel wird es nicht gehen.
Der Weg in eine digitale, gendergerechte Arbeitswelt ist kein Selbstläufer. Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt die Weichen stellen für unsere digitale Zukunft.Dr. Kira Marrs, Projektleiterin #WomenDigit
Die Ergebnisse, die #WomenDigit bereits hervorgebracht hat, stimmen zuversichtlich. Eine Reihe von Vorreiterunternehmen konnte für das Forschungsprojekt gewonnen werden, in dem neue Arbeitsansätze in ergebnisoffenen Praxislaboratorien erprobt werden. Dazu gehören u. a. Bosch, Audi, der IT-Dienstleister Gothaer Systems oder das Fintech RatePay. Im Fokus stehen drei Themenfelder: Führungskultur, agiles Arbeiten und die Gestaltung von Arbeitszeit und Arbeitsort. Bei Audi etwa wurde mit diesem Ansatz die Schichtarbeit in der Fertigung flexibilisiert. Das heißt: weg vom starren Drei-Schicht-Betrieb, der vor allem für Alleinerziehende oder Mitarbeiter*innen in Teilzeit schwierig ist, hin zu einem offeneren Schichtsystem, von dem auch Frauen profitieren. Die Umsetzung erfolgte in agilen Sprints: Ideen in selbstorganisierten Teams entwickeln, in der Praxis ausprobieren, mit Management und Betriebsrat zurückkoppeln, was nicht funktioniert verändern und weiterentwickeln.
Welche Themen in den Unternehmen angegangen werden, entscheiden die Betriebe im sozialpartnerschaftlichen Dialog. Das macht die Praxisnähe von #WomenDigit aus. Im Video gibt Projektleiterin Dr. Kira Marrs einen Einblick:
Um flexiblere Arbeitszeiten und damit mehr Chancengerechtigkeit geht es auch in einem anderen Projekt: dem Experimentierraum „Flexibilität und Vielfalt fördern“ bei Volkswagen, begleitet von der Europäischen Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e.V. (EAF Berlin) und gefördert durch das BMAS und den Europäischen Sozialfonds. „Das Thema Arbeitszeitflexibilisierung ist ganz klar ein Gleichstellungsthema. Leider gibt es nach wie vor eine geschlechtsspezifische Verteilung von Arbeitszeit“, begründet Tina Weber von der EAF Berlin das Projekt. Das Ziel lautet daher, Rollenmuster zu durchbrechen und Schichtarbeit so zu gestalten, dass sie die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben fördert, die Interessen von Teilzeitbeschäftigten einbezieht und so die Aufstiegschancen von Frauen in der Produktion verbessert.
Es ist sehr viel mehr möglich, als man denkt. Es gilt, diese Spielräume zu erkennen.Tina Weber, Projektleiterin EAF Berlin
Eine ganz konkrete Lösung des Experimentierraums: ein Ampelsystem zur Schichtplanung. Dabei wird mithilfe von strukturierten Leitfragen ermittelt, wann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar nicht und wann mit gewissem Vorlauf arbeiten können. Davon profitieren insbesondere diejenigen Beschäftigten, die aufgrund von Kinderbetreuung oder Pflege nur Teilzeit arbeiten, da sie bei vorausschauender Planung auch ganze Schichten übernehmen können. Und selbst mobile Arbeit ist in begrenztem Maße in der Fertigung möglich – wenn etwa Aufgaben wie Online-Schulungen oder Seminarvorbereitungen von zu Hause aus erledigt werden können. Auch das bringt mehr Flexibilität und Autonomie.
Einen anderen Weg bei der Arbeitszeit geht die AOK Baden-Württemberg. Sie entschied sich, Führungspositionen auch mit Teilzeitbeschäftigten zu besetzen und so bessere Karrieremöglichkeiten vor allem für Frauen zu eröffnen, die immerhin über drei Viertel der Beschäftigten stellen. Dazu gehörte auch eine Wende in der innerbetrieblichen Kommunikation. Ob in der Mitarbeiterzeitung, den Personalentwicklungsgesprächen oder durch klare Bekenntnisse des Vorstands auf Veranstaltungen: Die Beschäftigten werden aktiv ermutigt, ihre berufliche Entwicklung auch während einer Teilzeitbeschäftigung voranzubringen. Flexible Arbeitszeitmodelle, Jobsharing, mobiles Arbeiten und Beratungsangebote für Führungskräfte flankieren das Ganze. Die Zahlen geben dem Unternehmen Recht: Die Zahl weiblicher Führungskräfte wächst kontinuierlich.
Wie sie Führung in Teilzeit erlebt, erklärt Marion Rostam, Geschäftsbereichsleiterin Versorgungsmanagement bei der AOK Baden-Württemberg, im Video:
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Service-Info: Mit dem Webportal experimentierräume.de bietet das BMAS eine Plattform, auf der Unternehmen und Verwaltungen durch inspirierende Beispiele Impulse erhalten, um neue Wege in Richtung Arbeitswelt der Zukunft zu gehen. In einer regelmäßigen Artikelreihe werden ausgesuchte Beispiele der Experimentierräume hier vorgestellt.