UN-Biodiversitätskonferenz: Warum die neue Strategie auch für Unternehmen wichtig ist
Die Zeit des bisherigen „strategischen Plans 2011 – 2020“ der Vereinten Nationen zum Erhalt der biologischen Vielfalt ist abgelaufen.
2019 warnte der Weltbiodiversitätsrat IPBES, dass eine Million Arten aussterben könnten, wenn der Mensch seinen Raubbau an der Natur fortsetzt und den Klimawandel nicht rasch begrenzt. Das Ziel der Vereinten Nationen, den Arten- und Lebensraumverlust weltweit zu stoppen, wurde verfehlt, wie der im September 2020 veröffentlichte globale Bericht zum Zustand der Biodiversität belegt. Die Vertragsstaaten der Konvention über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) arbeiten deshalb an einer neuen Strategie mit neuen Zielen für die kommende Dekade, um Arten und Ökosysteme auf globaler Ebene nachhaltig zu schützen.
30 Prozent des Planeten soll unter Schutz stehen (derzeit sind es 17 Prozent der Landfläche und 10 Prozent der Ozeane)
Ein Fünftel der degradierten Flächen sollen renaturiert werden
Der Einsatz von Pestiziden soll um zwei Drittel sinken und kein Plastikmüll mehr in die Meere gelangen
Finanzielle Anreize, welche die Artenvielfalt schädigen, sollen um eine halbe Billion Dollar pro Jahr abgebaut werden
Im Juni legten Weltklimarat und Weltbiodiversitätsrat erstmals gemeinsame Vorschläge vor, um Artensterben und Klimawandel in den Griff zu bekommen – denn beides hängt miteinander zusammen. Darauf verweist auch der Umweltjournalist und Autor Benjamin von Brackel in seinem Buch „Die Natur auf der Flucht“: Auf allen Kontinenten und in allen Ozeanen retteten sich Tiere und Pflanzen in kühlere Gefilde: Landbewohner wandern durchschnittlich 17 Kilometer pro Jahrzehnt in Richtung der Pole, bei Meeresbewohner sind es sogar 72 Kilometer. Diese Neuverteilung des Lebens auf der Erde stellt uns Menschen vor enorme Herausforderungen: Tropenmücken wandern in Europa ein, Fischschwärme tauchen vor neuen Küsten auf und lösen Handelskriege aus - und sogar unsere Wälder verschieben ihren Verbreitungsraum.
„Der Klimawandel sowie die extreme Trockenheit haben in den letzten Jahren dem deutschen Wald stark zugesetzt“, bemerkt auch Matthias Schäpers, Leiter für Nachhaltigkeit und Wohngesundes Bauen der Krieger+Schramm Unternehmensgruppe. Sie hat sich das Ziel gesetzt, eine gesamtheitliche Nachhaltigkeitsstrategie für das Unternehmen und damit auch die angebotenen Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. „Dieser Nachhaltigkeitsstrategie, die in Balance zwischen ökonomischen, ökologischen und sozial gesellschaftlichen Aspekten stehen wird, liegt im Bereich des Themas Ressourceneffizienz das Prinzip Vermeiden, Verringern und Ressourcen anders zu nutzen zugrunde. Erst wenn diese Punkte glaubwürdig erfüllt sind, folgen Ersatzmaßnahmen oder Kompensationen“, sagt der Nachhaltigkeitsexperte. Innerhalb der Gesamtstrategie hat sich das Unternehmen entschieden, für die angekauften und bebauten Grundstücke des Bauträgergeschäftes eine entsprechende Fläche in regionalen Wäldern freiwillig wieder hochwertig aufforsten zu lassen. „Es geht uns dabei explizit nicht um die CO2-Kompensation der Auswirkungen unseres Wirtschaftens. Dies wollen wir zuerst mit Reduktionsmaßnahmen im eigenen Verantwortungsbereich bewerkstelligen“, so Schäpers.
„Dies ist allerdings zuletzt öffentlich gerügt worden, da dies ohne interne Reduktionsmaßnahmen irreführend sei.“ Gelebte Nachhaltigkeit heißt für ihn, direkten Einfluss auf die Auswirkungen des Wirtschaftens zu nehmen. In diesem Fall reagiert das Unternehmen darauf, „dass jedes Bauprojekt von K+S den Grad der Versiegelung in Deutschland erhöht und somit einen negativen Faktor im Bereich Biodiversität darstellt. Die Maßnahme der Baumpflanzungen stellt hier einen qualitativ hochwertigeren Beitrag bzw. Ersatz dar, am Ende schafft K+S damit sogar einen höheren Mehrwert.“ Grundlage ist die Berechnung eines typischen Laubwaldes in Deutschland. Danach stehen auf einen Hektar ausgewachsener Eichen- und Buchenwald in Deutschland ca. 180 Bäume. Gepflanzt werden müssen dafür allerdings 6.000 bis 8.000 Bäume pro Hektar. Das bedeutet, dass K+S pro qm etwas 0,7 Bäume pflanzen müsste. Der Hessenforst pflanzt diese Bäume an vorgesehen Flächen und sorgt auch für mindestens fünf Jahre, dass vertrocknete Baumsetzlinge nachgepflanzt werden. Ein Schutz gegen Verbiss durch den Wildbestand gehört ebenso dazu. „Hier geht es also nicht um eine reine Kompensationsmaßnahme, sondern um ein aktuelles Problem, was unsere Generation zu verantworten hat und wir deshalb unseren Beitrag zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands leisten. Es zahlt somit ein auf das Thema regionale Verantwortung, Auswirkungen des Klimawandels und das Thema Biodiversität. Letzteres steht hier ganz klar im Vordergrund“, so Schäpers.
Benjamin von Brackel zeigt in seinem Buch auf, dass unsere Lebensgrundlage nur dann erhalten werden und ein massiver Artenverlust verhindert werden kann, wenn die globale Völkerwanderung der Arten verstanden wird. Artensterben findet überall dort statt, wo Tiere und Pflanzen nicht mehr vor dem Klimawandel fliehen können (z. B. wenn ihnen der Mensch den Ausweg verbaut hat). Der UN-Entwurf für einen neuen Pakt mit der Natur fordert deshalb ein weltweites Netz an Schutzgebieten, damit die Arten auf den Klimawandel reagieren können. „Die Vorgaben in dem Entwurf wären ein guter Anfang“, sagt von Brackel. „Nur wenn wir der Natur wieder mehr Raum schenken und zugleich den Klimawandel begrenzen, lässt sich die absehbare Tragödie für Mensch und Natur noch verhindern.“ Nachdem die 15. Weltnaturschutzkonferenz aufgrund der Corona-Krise mehrmals verschoben werden musste, startet am 11. Oktober die UN Biodiversitätskonferenz. Sie bildet den Auftakt, um den weltweiten Artenschutz für die kommenden zehn Jahre neu auszurichten. Regierungen aus der ganzen Welt werden online bis zum 15. Oktober einen ehrgeizigen Plan diskutieren, der den Verfall der Artenvielfalt auf der Erde stoppen soll. Die zweite Runde soll im Frühjahr 2022 im chinesischen Kunming stattfinden.
Architects for Future: Interview mit dem Nachhaltigkeitsexperten Matthias Schäpers
Nachhaltigkeitspolitik: Ist der Schutz der Biodiversität unterrepräsentiert?
Benjamin von Brackel: Die Natur auf der Flucht. Heyne Verlag by Penguin Random House, München 2021.
Klimawandel in der Wirtschaft. Warum wir ein Bewusstsein für Dringlichkeit brauchen. SpringerGabler Verlag, Berlin, Heidelberg 2020.