Beste Strategie: Ein klarer Plan – und die Bereitschaft, ihn unbeirrt zu verfolgen | © PixeloneStocker/Getty Images
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Von Gier, Angst und teuren Bauchentscheidungen: Die 10 größten Anlegerfehler – und wie man sie vermeidet | Teil 2

Die zweite Ausgabe über typische Verhaltensfehler, die ich immer wieder in Gesprächen mit Anlegern erlebe – mit psychologischer Erklärung, empirischen Daten und konkreten Gegenmaßnahmen.

In der vergangenen Woche habe ich über Selbstüberschätzung, Herdentrieb, Verlustaversion, Bestätigungsfehler und den Home-Bias geschrieben. (Falls Sie Teil 1 verpasst haben, finden Sie ihn hier.)

6. Ankereffekt – Festhalten an der falschen Zahl

„Ich warte, bis ich wieder bei null bin.“ Ein Satz, den man oft hört – und der Anleger teuer zu stehen kommt. Denn: Die Börse kennt keine Einstandspreise.

Der Ankereffekt beschreibt die psychologische Tendenz, sich an einer willkürlichen Zahl zu orientieren – meist dem ursprünglichen Kaufpreis. Anleger halten verlustreiche Titel zu lange, weil sie den „Break-even“ erreichen wollen. Oder sie verkaufen zu früh, weil ein kleiner Gewinn im Vergleich zur Einstandssumme verlockend erscheint – selbst wenn das Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft ist.

Was Studien zeigen

Die Nobelpreisträger Tversky und Kahneman zeigten in Experimenten, wie stark selbst irrelevante Zahlen unsere Entscheidungen beeinflussen. Auch am Aktienmarkt ist das messbar: Viele Anleger bewerten ihre Positionen relativ zum Kaufkurs – statt danach, ob das Investment heute noch überzeugt. So werden Chancen verschenkt – und Risiken ignoriert.

Wie man den Fehler vermeidet

Die einfache Frage: Würde ich diese Aktie heute – mit dem aktuellen Wissen – wieder kaufen? Wenn die Antwort Nein ist, sollte man sie auch nicht weiter halten. Der ursprüngliche Kaufpreis ist eine historische Information, kein Anker für die Zukunft. Hilfreich sind auch klare Verkaufsregeln, zum Beispiel durch Stop-Loss- oder Take-Profit-Marken – orientiert an Fakten, nicht an Emotionen.

Der Einstandspreis ist kein Ziel – er ist ein Zufallspunkt in der Vergangenheit. Wer sich davon löst, investiert freier, klüger und zukunftsorientierter.

7. Mentale Buchführung – wenn der Euro plötzlich zwei Gesichter hat

Ein Euro ist ein Euro – sollte man meinen. Doch in der Praxis behandeln wir Geld oft unterschiedlich, je nachdem wo es herkommt oder wofür es gedacht ist.

Der Fehler heißt mentale Buchführung („Mental Accounting“): Menschen führen im Kopf getrennte Konten. Das Urlaubsgeld fühlt sich anders an als das Gehalt. Der Bonus darf schnell ausgegeben – das Ersparte auf dem Tagesgeldkonto aber nicht angerührt werden. So werden auch Investments isoliert betrachtet. Dividenden „fühlen sich gut an“, Verluste in einem anderen Depot werden ignoriert.

Was Studien zeigen

Verhaltensökonomen wie Richard Thaler zeigten, dass Menschen irrational wirtschaften, sobald sie Geld gedanklich etikettieren. Ein klassisches Beispiel: Parallel ein überteuertes Auto finanzieren und gleichzeitig Geld auf einem mager verzinsten Sparkonto parken. Oder eine hochriskante Aktie im „Spieldepot“ halten – während das Hauptdepot konservativ geführt wird.

Wie man den Fehler vermeidet

Eine konsolidierte Sicht auf das eigene Vermögen. Wer alle Vermögenswerte – und Verbindlichkeiten – regelmäßig gebündelt analysiert, erkennt Zusammenhänge und Risiken besser. Die Frage „Würde ich diese Ausgabe auch tätigen, wenn das Geld aus einem anderen Topf käme?“ entlarvt viele Denkfehler. Automatisierung (etwa Sparpläne, Kreditraten, Rebalancing) hilft ebenfalls, psychologische Verzerrungen zu vermeiden.

Geld hat keine Herkunft. Ein Euro ist ein Euro – und verdient dieselbe rational-nüchterne Betrachtung. Wer seine mentale Buchführung auflöst, trifft bessere finanzielle Entscheidungen.

8. Gegenwartspräferenz – warum das Jetzt den Zinseszins schlägt

Langfristig denken, kurzfristig handeln – das ist der Widerspruch, an dem viele Sparpläne scheitern. Denn das Gehirn liebt Belohnung im Hier und Jetzt. Psychologen nennen das Gegenwartspräferenz oder auch „Present-Bias“.

Wir wissen, dass Sparen sinnvoll ist. Doch ein neuer Fernseher heute scheint oft verlockender als ein gesichertes Auskommen in 30 Jahren. Und genau diese Verzerrung sabotiert viele finanzielle Vorsätze: Das Sparen wird verschoben, der Konsum vorgezogen.

Was Studien zeigen

Ein Klassiker: Menschen entscheiden sich lieber für 15  Dollar sofort statt für 20 in vier Wochen – obwohl es rational unklug ist. Auch beim Investieren führt dieser Denkfehler zu impulsiven Verkäufen in schlechten Börsenzeiten oder zu aufgeschobenen Vorsorgeplänen. Das Ergebnis: weniger Vermögen, mehr Stress.

Wie man den Fehler vermeidet

Automatisierung schlägt Willenskraft. Wer Sparpläne als Dauerauftrag direkt nach Gehaltseingang einrichtet („Pay Yourself First“), nimmt sich selbst die Entscheidung ab – und schützt sich vor der Impulsfalle. Zusätzlich helfen Etappenziele mit kleinen Belohnungen, die Motivation hochzuhalten. Auch Visualisierungen des „zukünftigen Ichs“ – beispielsweise über Renten- oder Zinseszinsrechner – stärken die Bindung an langfristige Ziele.

Der größte Hebel beim Vermögensaufbau ist nicht der Zinssatz, sondern die Zeit. Wer früh beginnt und Automatismen nutzt, gewinnt. Denn Zinseszins braucht keine Disziplin – nur Geduld.

9. Emotionale Entscheidungen – wenn Angst verkauft und Gier kauft

Als der DAX im März 2020 wegen der Coronapandemie in nur wenigen Tagen um 40 Prozent einbrach, erreichten mich viele verzweifelte Anrufe. Angst machte sich breit – und sie war nachvollziehbar. Aber Angst ist kein guter Ratgeber. Zwei Monate später hatte sich der Markt halbwegs erholt.

Angst und Gier – das sind die zwei stärksten Kräfte an der Börse. Sie führen dazu, dass Anleger systematisch falsch entscheiden: Sie steigen zu spät ein, wenn alles schon teuer ist. Und sie verkaufen zu früh – meist genau dann, wenn es eigentlich lohnt, investiert zu bleiben.

Was Studien zeigen

Laut dem Dalbar-Report 2024 lag die durchschnittliche Jahresrendite privater US-Anleger in den vergangenen Jahrzehnten regelmäßig 3–5 Prozent unter der des Gesamtmarkts. Der Grund: schlechte Entscheidungen – meist emotional getrieben. 2024 zum Beispiel erzielte der S&P 500 +25 Prozent. Der durchschnittliche Anleger aber kam nur auf 16,5.

In der Euphorie wird jede Warnung ausgeblendet, in der Krise jede Chance übersehen. Emotionen verengen den Blick. Wer bei -10 Prozent verkauft, hat vielleicht „Schaden begrenzt“ – aber oft auch Rendite verschenkt.

Wie man den Fehler vermeidet

Ein klarer Plan hilft – gepaart mit der Bereitschaft, ihn durchzuhalten. Wer eine feste Anlagestrategie hat (mit Rebalancing, Risikobudgets und Haltefristen), reagiert weniger auf das Auf und Ab der Märkte. Auch hilfreich: Nachrichtenpausen. Wer ständig ins Depot schaut, wird nervös. Wer Abstand hält, bleibt ruhiger – und damit oft erfolgreicher.

Emotionen sind menschlich. Aber beim Investieren brauchen wir mehr Ratio als Reflex. Und manchmal ist Nichtstun die beste Entscheidung – gerade in stürmischen Zeiten.

10. Mangelnde Diversifikation – alle Eier in einem Korb

Manche Depots erinnern an Ein-Themen-Portfolios: zwei Techaktien, ein Fonds mit Heimatmarktfokus, etwas Krypto – und das war’s. Was fehlt? Diversifikation.

Der Klassiker unter den Anlegerfehlern: Wer zu stark auf wenige Werte, Branchen oder Regionen setzt, geht unnötig hohe Risiken ein. Fällt eine dieser Säulen weg, wankt das ganze Vermögen. Besonders gefährlich wird es, wenn man glaubt, durch „Insiderwissen“ besser aufgestellt zu sein – etwa mit viel Kapital im eigenen Arbeitgeber oder der Lieblingsbranche.

Was Studien zeigen

In den späten 1990er-Jahren stieg in Deutschland die Zahl der Aktionäre sprunghaft – nicht zuletzt wegen des Börsengangs der Deutschen Telekom. Millionen Deutsche kauften die Aktie, oft als erste und einzige in ihrem Depot. Die Hoffnung: hohe Gewinne. Die Realität: Die Aktie stürzte nach dem Hype massiv ab – von über 100 Euro (splitbereinigt) auf teils unter 10. Viele verloren Geld, zogen sich enttäuscht vom Aktienmarkt zurück – und hatten nie gestreut. Dabei empfehlen Studien, mindestens 15–30 Einzeltitel zu streuen – idealerweise über verschiedene Branchen, Regionen und Anlageklassen hinweg.

Wer zu stark auf wenige Favoriten setzt, leidet besonders, wenn diese schwächeln – selbst wenn der Gesamtmarkt steigt. Und: Konzentration auf Einzelwerte bringt kaum systematischen Mehrertrag, aber deutlich mehr Schwankung.

Wie man den Fehler vermeidet

Diversifikation nicht als Buzzword, sondern als Grundprinzip verstehen. Wer keine Zeit für breites Stockpicking hat, kann mit Indexfonds (ETFs) einfach und kostengünstig streuen – weltweit, branchenübergreifend und über verschiedene Assetklassen. Auch regelmäßiges Rebalancing hilft, Klumpenrisiken zu reduzieren. Und wer Einzelaktien kauft, sollte eine Begrenzung pro Titel und pro Branche festlegen (zum Beispiel maximal 5–10 Prozent).

Diversifikation ist kein Renditekiller – sondern ein Schwankungsdämpfer. Und sie erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man zu jeder Zeit wenigstens ein paar Gewinner im Depot hat.

Zwischen den Zeilen

Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit einem Kunden im Frühjahr 2020. Die Märkte stürzten ab, die Nachrichten überschlugen sich. Seine Worte: „Ich muss alles verkaufen. Die Welt wird untergehen.“ Ich verstand seine Angst – aber ich musste dagegenhalten. Zwei Monate später war das meiste schon wieder aufgeholt.

Und genau das ist die eigentliche Aufgabe von Beratung: nicht jede Emotion zu spiegeln, sondern zu filtern. Was ist wichtig? Was ist Lärm? Denn nie war es leichter, sich selbst zu bestätigen. Für jede Meinung gibt es ein Video, ein Forum, ein „Finfluencer-Zitat“.

Doch nicht jede These verdient eine Tat. Nicht jede Bewegung ein Handeln.

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Sönke Niefünd schreibt über Kapitalmarkt, Börse, Kapitalanlage, Banken & Beratung

Insider für Kapitalmarkt, Börse und Vermögensanlage. Mit Leidenschaft für Kapitalmärkte und über 20 Jahren Erfahrung im Bankensektor und der Beratung anspruchsvoller vermögender Kunden teile ich hier fundierte Einblicke, praxisnahe Markteinschätzungen und Trends aus der Finanzwelt.

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