Von Mensch zu Mensch: Was eine gelingende Lehre ausmacht
Nur äußerst vage. Als Schüler habe ich ‚Nachhilfe‘ gegeben, in meiner Ausbildung zum Offizier der Luftwaffe gehörten Unterrichte zum Pflichtpensum. Und als Student in Hamburg habe ich, um Geld für mein Studium zu verdienen, einfach in der Schulbehörde vorgesprochen, ob ich nicht für die arbeiten könne. Das war eines von mehreren ‚Husarenstücken‘ meiner Biografie. Die Frage des Schulrats, ob ich denn Unterrichtserfahrung habe, habe ich dann wahrheitsgemäß beantwortet mit ‚Ja, als militärischer Vorgesetzter von unwilligen Wehrpflichtigen, also unter schwierigeren Umständen, als ich sie am Gymnasium zu erwarten hätte, und das hat nachweislich geklappt‘. Zu meiner Verblüffung hatte ich vierzehn Tage drauf einen Lehrauftrag für Englisch und Französisch am Heilwig-Gymnasium, der damaligen ‚Höheren-Töchter-Schule‘ in Hamburg. Den habe ich vier Schulhalbjahre wahrgenommen, bis mein Studium es nicht mehr zuließ. Froh bin ich, nur Englischstunden gehalten zu haben. In Englisch hatte ich neben meinem Abiturwissen wenigstens noch eine Zwischenprüfung der Uni Erlangen. Aber Schüler, Direktor und Eltern waren zufrieden, und ich war sogar der gewünschte Begleitlehrer zur Klassenfahrt einer zehnten (Mädchen-)Klasse, in der ich keine einzige Stunde unterrichtet hatte.
‚Gewinnend auftreten, sich passend verhalten und durchsetzen‘, eine mehrtägige Veranstaltung, die am Nachmittag des vorletzten Seminartags eine Außenübung in städtischer Öffentlichkeit vorsieht, in der alle Teilnehmenden, begleitet und beobachtet von eine/r/m eingeweihten Mit-Teilnehmer, eine verabredete Aktion unternehmen sollen, die für sie/ihn eine soziale Überwindung darstellt, etwa eine Peinlichkeit. Wird im Jargon auch ‚shame-attacking-exercise‘ oder ‚schamreduzierende Übung‘ genannt, und ist, wenn man‘s, wie wir im Seminar, richtig vorbereitet, angeht und auswertet, eine hochgeeignete und perspektivenreiche Erfahrung, sich von allzu einengenden ‚das-tut-man-nicht-Erfahrungen‘ aus verschüchternder Kindheit in eine befreiendere Realitätssicht und - handhabung zu entwickeln. Studenten der Uni Mannheim hatten mich mal – zwei Jahre nach einem solchem Seminar – zu ihrem Treffen für ihre jährlichen wiederholten Übungen eingeladen. Macht einfach Spaß, sozial experimentell immer weiter zu lernen.
Vorab: Da ich mich und meine Funktion nicht als ‚Lehrer‘ erlebe, antworte ich aus der Erinnerung mit Blick auf meine Lehrer, und da habe ich das Alter nicht als Kriterium für ‚packend‘ oder ‚ermüdend‘ erlebt. Ich habe alte Lehrende erlebt, bei denen ich gebannt jedes Wort, jeden Satz aufgesogen habe, und – vielleicht als Kuriosität – in meiner Erinnerung habe ich die besten Unterrichte erlebt nicht im Gymnasium oder auf der Uni, sondern als Soldat. Zwei Unteroffiziere, die Hauptschul- oder bestenfalls Realschulabsolventen waren, haben uns Neulinge überaus gekonnt in die Technik und Handhabung der damals modernsten Zwei-Stufen-Raketen-Technologie der Luftwaffe eingewiesen.
Wenn ich den Antworten auf entsprechende Fragen der Evaluationsverfahren folge, wird mir jeweils beides zugeschrieben. Selbst merke ich über die Länge der Zeit, dass ich heute mehr Klärung als früher bereits unmittelbar in der Hörsaalsituation beisteuern kann statt erst anderntags oder in anschließender Korrespondenz.
Eher zum Vorteil meiner Themen der unmittelbaren ‚zwischenmenschlichen Bildung‘, wie ich meine Lehraufgaben ‚soziale Kompetenzen‘ in ihrer Gesamtheit auch gern auf Deutsch benenne. Ohne dass ich da auf erforschte Zusammenhänge zurückzugreifen wüsste, habe ich Mutmaßungen über die Zunahme des Interesses: Da ist zum einen eine gewisse Entwöhnung in Bezug auf Unmittelbarkontakte, also solche ohne zwischengeschaltete Elektronik, herbeigeführt durch die exzessive Mail-, Handy- und SMS-Nutzung der jüngeren Vergangenheit.
Zum anderen meine ich beobachtet zu haben, dass sich in den bildungsaffinen Kreisen meiner Seminarteilnehmer über vier Jahrzehnte meines Einblicks die Umgangskultur verfeinert hat, was wiederum bewirkt sein könnte durch intensivere Begegnung und Austausch mit kultureller, auch individueller Andersartigkeit – mehr Einsicht, mehr Umsicht.
In den achtziger Jahren, so mein Eindruck, konnten die Einzelnen beim jeweils anderen sehr viel mehr Gleiches unterstellen als heute; wir sind heute auf mehr Diversität eingerichtet. Gewiss ist dies mitbedingt durch Migration und – im breiteren Winkel – auch die Globalisierung unseres gesellschaftlich-politischen Nachrichten- und Erfahrungshorizonts.
Hier täte sich ein vielversprechendes Feld für soziologische Forschung auf, nämlich, was die Breite der gesamten Gesellschaft betrifft. Ich habe ja vorzugsweise mit einem kleinen Ausschnitt berufliche Vergleichsmöglichkeiten, mit Führungskräften oder solchen auf dem Weg dahin, alles eher bildungswillige Leute. Mein Eindruck von diesem Ausschnitt der Gesellschaft ist: meine zwischenmenschlichen Themen sind für diese Kreise interessanter geworden. In der Gesamtgesellschaft vermute ich eher eine Spreizung bis zur (vielleicht ein wenig resignativen) Abnahme des Interesses bei Bildungsferneren seither.
Gleichgeblieben ist, dass ich mich weder früher noch heute verstelle oder verbiege. Mein Glück ist, dass ich gut mit der naturgegebenen Verschiedenheit von Menschen, ihren Verhaltens- und Kommunikationsstilen zurechtkomme, dass ich diese Unterschiedlichkeit sogar sehr begrüße und im Seminargeschehen auch gern produktiv nutze. Den Unterschied zwischen meinen ersten und den deutlich späteren Seminaren in der Thematik ‚soziale Kompetenzen‘ habe ich kürzlich etwas überspitzt auf die Metaphern gebracht:
– früher: Aufbruch unserer Gruppe zu einer Erkundungsexpedition; Kompass und grobe Skizze sowie Verbandszeug waren bei mir
– heute: Aufbruch der Gruppe in den Saal mit den thematisch gewinnbringendsten Vitrinen mit Verhaltensproben, bei denen wir dann vergleichend, begutachtend und mustererkennend verweilen.
Meiner Erinnerung nach waren meine Besprechungen vor Aufbruch in die jeweilige ‚Expedition‘ länger als heute im ‚Saal mit den Vitrinen‘. Ich vermute, wir sind heute intensiver im Nutzen der geringen Zeit für die allzu facettenreiche Thematik, obwohl ich meist sogar die bedeutsamsten Problembegegnungen in zwei voneinander unabhängigen Rollenspielen abbilden lasse, als zwei zum Vergleich geeignete Ausgangsbeispiele für unsere gemeinsame Optimierungsreflexion.
Sie ist für meine Heimarbeit enorm hilfreich-erleichternd, für die Arbeit im Seminar eine eher zu vernachlässigende Hilfe; denn meine Seminarthemen drehen sich um die unmittelbaren Begegnungen von Mensch zu Mensch. Als ich ‚coronabedingt‘ gefragt wurde, meine Seminare in einer ‚Online-Version‘ anzubieten, habe ich mich versagt (schweren Herzens, weil ich ‚Triebtäter‘ bin in Sachen Seminargestaltung). Mein Kalkül angesichts meiner Thematik und meiner jeweils interaktiven Gestaltung, z.B. mit kleineren Verhaltensbeispielen von problematischen Begegnungen, war, dass der Gewinn von Teilnehmenden aus einer diesbezüglichen Online-Veranstaltung wenn‘s hoch kommt zwanzig Prozent wäre von dem Fitness-Vorteil einer Präsenzveranstaltung. Natürlich gebe ich gerne digitale Dateien weiter, neben den ausgeteilten papierenen ‚Handouts‘, für den aktiven Verfolg der theoriebasierten Seite des praktischen Geschehens.
Lassen Sie mich unterscheiden zwischen meiner persönlichen Zufriedenheit als gestaltender Partner in der Seminargruppe und der Einschätzung, dass die Veranstaltung für die Teilnehmenden gelungen und von ihnen auch so bewertet ist. Aufschluss über die Teilnehmenden-Bewertung der Veranstaltung erfahre ich mittelbar aus den Ergebnissen der üblichen recht unterschiedlich konzipierten Evaluationsverfahren der verschiedenen Veranstalter. Mit seltenen geringen Abweichungen steht da eine Schulnoten-Eins vor dem Komma und dahinter eine Zahl kleiner als fünf.
Meine unmittelbaren Eindrücke vom Gelingen im Sinne der Zufriedenheit der Teilnehmenden sind etwas gespreizter, weil ich angesichts der immer zu knappen Zeit für das im erkennbaren Interesse liegende Themenfeld ‚weiße Flecken‘ sehe. Fast regelmäßig biete ich für offen gebliebene Fragen den telefonischen oder schriftlichen Kontakt an. Mein persönliches Attribut ‚gelungen‘ setze ich unter eine Veranstaltung, in der ich sowohl meine geistige als auch meine zwischenmenschliche ‚Batterie‘ wesentlich aufgeladen habe, letztere häufig mit der Bilanz, neue Freunde in Anzahl der Teilnehmenden gewonnen zu haben. Besonders gelungen sind in meiner persönlichen Wertung die Seminare, in denen ich jeden oder die Mehrheit der Teilnehmenden auf ihre jeweiligen, in der interaktiven Performanz zutage getretenen persönlichen Talente aufmerksam machen konnte, die sie selbst häufig noch nicht als solche erkannt hatten, die mir dank der mehreren Jahrzehnte intensiver Vergleichsmöglichkeiten jedoch ins Auge stechen.
Dank meines notorisch schlechten Gedächtnisses (die Platte wurde und wird zu häufig überschrieben) kann ich nur unfertige persönliche Eindrücke summarischer Art beisteuern. Ich habe den Eindruck, dass Wissen und Erwartungen auf Seite der Teilnehmenden und das, was die immer knappe Seminarzeit in beteiligender Gestaltung anzuliefern möglich macht, nicht schlechter harmonieren als in meiner Gestaltungs-Frühzeit.
Sie sprechen indirekt auch mein Alter an. Mich eingeschlossen lebt doch jede/r, auch Sie, in drei Altern, dem kalendarischen, dem vitalen und dem Erfahrungsalter. Meinem kalendarischen Alter nach musste ich, hauptberuflich Beamter, laut Gesetz in den Ruhestand, meinem Vitalalter nach bin ich – auch medizinisch – etwa fünfzig, und meinem Erfahrungsalter nach habe ich dank unablässig befahrener Parallelspuren neben allen Hauptengagements die hundert deutlich überschritten.
Ich habe in meiner hauptberuflichen Funktion als Leiter des Fachbereichs ‚soziale Kompetenzen‘ einer zentralen Bildungseinrichtung des Bundes ja viele andere Anbieter unter Vertrag genommen. So habe ich, der ich nebenbei ja selbst ‚im Markt‘ war, das ‚Mehr-oder-weniger-tauglich‘ für meinen Verantwortungsbereich ebenso wie für meine Position im Markt betrachtet. Getrennt habe ich mich als Auftraggeber sofort nach erstem Versuch von Trainern, die vor Beginn ein Flipchart mit einem Herz bemalten, einen Bindestrich und den Aufschrieb ‚willkommen‘ folgen ließen. Klar wurde (und bestätigte sich ebenso zwingend), dass solchem denaturierten Willkommenssignal der abgekupferten, also nicht von eigener Haltung getragener Art kaum ein substanzieller, auf eigener Erfahrung basiert überzeugender Impuls folgen würde, sondern – bestenfalls – das, was tatsächlich interessierte (weil lösungssuchende) Teilnehmende auch lesend in entsprechend titulierter F(l)achliteratur hätten finden können.
Wer andere tatsächlich willkommen heißt, lässt sie das menschlich erleben, nicht mit geklauter Bildmetapher und Buchstaben entziffern! Meine Frühdiagnose des zu erwartenden Missgeschicks hatte hundert Prozent Treffer – und keine Wiederholung. In den von mir mitgestalteten Seminaren (für praktizierende und perspektivische Führungskräfte) gibt es ein paar Besonderheiten.
Ich folge in der Gestaltung gern der Frage: Was würde ich gut finden, wenn ich jetzt Teilnehmende/r dieser Veranstaltung wäre? Zwei Büchertische sind quasi obligatorisch: einer mit (unterschiedlicher) Literatur zum Thema, der andere mit Ansichtsexemplaren zu anderen Themen von Interesse. Wenn‘s nicht gerade im Hotel stattfindet, bringe ich für‘s Seminar eine Kaffeemaschine und -tassen mit zur begleitenden Versorgung über die Seminarstunden mit dem Stimulans.
Auch bin ich jeweils ausgestattet mit viel diversen Süßigkeiten, auch Obst, um einerseits willkommene Beteiligung belohnen, Überwindung herausfordern oder unerwartet zeitsparend frühe Beiträge honorieren zu können, und im Allgemeinen meinem Empfinden des Willkommens unseres Austausches auch materiell und situativ Gestalt zu geben.
Lehrer will ich nicht sein, sondern integrales Mitglied der werdenden (Lern-)Gruppe, und das in der Hoffnung und Erwartung, im Sujet etwas einbringen zu können, das als verheißungsvolle Anregung zur Anwendung in erwartbaren kritischen Begegnungssituationen ange- und übernommen werden kann – und dieses aus der Mitte der Gruppe zur Entwicklung anzustiften. Mein Angebot sollte für etwaigen Transfer – persönlich überprüft – tauglicher sein, als was in der F(l)achliteratur nachlesbar ist. Die Zeit (meine und die der Teilnehmenden) ist unwiederbringliches Gut.
Unverändert ist und bleibt mein Ziel, werdende Freunde in ihrem Fitnessbegehren für zwischenmenschliche Lagen zu unterstützen, und das gelingt am besten, wenn sie sich in erster Linie zu einer friedfertig konstruktiven Haltung verführen lassen, aus der dann fast zwangsläufig (in zweiter Linie) die entsprechende Methodik organisch erwächst. Andersrum, mit erlernter Methodik, aber ohne die zugewandte Haltung, kann‘s menschlich nur schiefgehen: da würde man als gewiefter Taktiker und als vertrauensunwürdig erlebt und Argwohn auslösen, Gift für Beziehungen.
‚Aufbruch‘ steht dann für das Öffnen der Türe zu dieser anderen, grundehrlich zugewandten Haltung. Diese Tür war bis dahin für die meisten ‚Gewohnheitstiere‘ unter uns verschlossen, so dass sie allenthalben neue Methodik erhofft haben; aber das ist einfach zu wenig und zeigt, wie gerade erwähnt, möglicherweise auch in die menschlich genau falsche Richtung.
Rolf Mohr arbeitet als Dozent an Hochschulen und als Trainer für Konzerne, Verbände und Verwaltungen. Psychologie und Sprachwissenschaften als akademischer Hintergrund haben seine Sinne geschärft für Problem-, Dissens- und Konfliktgeschehen und deren mögliche Wendungen ins Gute. Berufliche Einsätze in der seltenen Bandbreite vom 'Kasernenhof' über Verwaltung und Wissenschaft bis in die Diplomatie haben sein kommunikatives Repertoire erweitert und ihn angeleitet, selbst in diffizilen zwischenmenschlichen Lagen konstruktiv-kooperative Lösungen zu finden.
Vom Konflikt zur Kooperation: Interview mit dem Führungskräftetrainer Rolf Mohr
Rolf Mohr: Die Kunst des Miteinanders – Verführung zu friedfertig konstruktiver Zwischenmenschlichkeit. Mit Illustrationen von Lutz Backes. Springer-Verlag, Wiesbaden, 2021.
Rolf Mohr: Mohr and More. Ausgewählte Hinterschaffenslasten. Heureka! Verlag der Ostwestfalen-Akademie. Borgentreich 2019.