Warum die deutsche Wirtschaft dringend eine Teilzeitquote braucht
Vor allem Frauen halten Ausschau nach den raren Teilzeitstellen. Daran hat sich im vergangenen Jahrzehnt kaum etwas geändert. Mit einer festgelegten Teilzeitquote könnte die Politik mehr Gleichberechtigung wagen.
Erst kürzlich bekam ich bei einem Business-Event mal wieder die Frage gestellt: „Wie schaffst Du eigentlich so einen anspruchsvollen Job mit zwei Kindern?“ So nett gemeint die Frage war, so sehr hat sie mich auch geärgert: Hätte der Kollege mir sie auch gestellt, wenn ich ein Mann wäre? Natürlich nicht!
Die Antwort auf die Frage will ich nicht vorenthalten: Solange meine Kinder kleiner waren, habe ich 80 Prozent gearbeitet, und mein Mann und ich teilen uns die Betreuung und Erziehung unserer Kinder sehr gleichberechtigt auf.
Generell sehen wir in Deutschland einen Trend, dass Männer immer mehr Verantwortung in der Kindererziehung übernehmen wollen, Elternzeiten von Männern nehmen zu. Im Alltag bildet sich das leider häufig noch nicht ab. Auch im Jahr 2022 sind es in den meisten Fällen immer noch die Frauen, die wegen Kindern und Familie bei der Karriere zurückstecken. Und nicht alle tun es freiwillig. Wer jemals einen Teilzeitjob gesucht hat, der flexible Arbeitszeiten ermöglicht und mehr einbringt, als man im Gegenzug für Kinderbetreuung ausgeben muss, weiß, wovon ich spreche.
Zu wenig Job-Angebote in Teilzeit
Laut Statistischem Bundesamt waren 2020 rund 75 Prozent der Mütter erwerbstätig. Das hört sich im Vergleich zu 90 Prozent erwerbstätigen Vätern erst einmal gar nicht so schlecht an. Das große Aber kommt jetzt: Zwei Drittel der Frauen (65,5 Prozent) arbeiten in Teilzeit. Bei den berufstätigen Vätern sind es ganze 7,1 Prozent. Das wirklich Traurige aber ist, dass sich an diesen Zahlen im vergangenen Jahrzehnt nichts Wesentliches getan hat. 2010 lag die Teilzeitquote von Vätern bei 5,4 Prozent, die von Müttern bei 64,2 Prozent.
Die bisherige Situation geht fast ausschließlich auf Kosten der weiblichen Beschäftigten.
Diese Zahlen festigen meine Überzeugung, dass wir eine festgelegte Teilzeitquote brauchen. Denn die bisherige Situation geht fast ausschließlich auf Kosten der weiblichen Beschäftigten. Weniger Verdienst bedeutet weniger Rente und höhere Wahrscheinlichkeit von Altersarmut. Erschwerend kommt hinzu, dass die Jobs, in denen viele Frauen in Teilzeit arbeiten (können), ohnehin zu denen gehören, die nicht besonders gut bezahlt werden. Dazu zählen medizinische Gesundheitsberufe wie die Pflege, aber auch der Servicebereich oder der Einzelhandel.
Wir haben einen Blick in die Daten des XING Stellenmarktsgeworfen, auf dem jeden Monat rund 1,4 Millionen Ausschreibungen zu finden sind: Noch nicht einmal 15 Prozent der Jobs werden als Teilzeitstellen angeboten. Und die meisten davon fallen in die bereits erwähnten Bereiche: 44 Prozent im Bereich Healthcare, 24 Prozent im Kundendienst und 22 Prozent in Verwaltungsjobs. So gut wie keine Teilzeitstellen werden beispielsweise in der Produktion angeboten. Aber auch hier gilt: Fast doppelt so viele Frauen wie Männer klicken die wenigen verfügbaren Teilzeitjobs an.
Teilzeit als Tandem oder Doppelspitze
Nicht nur unter diesem Gesichtspunkt der Gleichberechtigung ist die jetzige Situation kritisch. Auf dem Arbeitsmarkt fehlen an allen Ecken und Enden Beschäftigte. Keine Teilzeitjobs anzubieten, ist ein Luxus, den sich eigentlich niemand mehr leisten kann – selbst wenn sie mit einem höheren organisatorischen Aufwand einhergehen sollten. Gerade im Bereich der Wissensarbeit gibt es eigentlich keine guten Gründe mehr, keine Teilzeitjobs anzubieten.
Keine Teilzeitjobs anzubieten, ist ein Luxus, den sich eigentlich niemand mehr leisten kann.
Auch in (Top-)Führungspositionen ist Teilzeit schon lange kein No-Go mehr. Ich selber habe mehrere Geschäftsführungsrollen mit 80 Prozent erfolgreich gemeistert, und an vielen Stellen gibt es gute Vorbilder – zum Beispiel Katy Roewer, Bereichsvorstand Service & HR bei OTTO. Entscheidend für den Erfolg sind gute Organisation, klare Priorisierung und exzellente Mitarbeiter auf der nächsten Ebene, die dadurch die Chance bekommen, hier und da mehr Verantwortung zu übernehmen.
Darüber hinaus gibt es die bereits gut etablierte Möglichkeit, dass sich zwei Personen über Job-Tandem-Modelle auch verantwortungsvolle Tätigkeiten teilen. Die Firma Tandemploy hat vorgemacht, wie es geht: Ihre KI-gestützte Software unterstützt das gemeinschaftliche Arbeiten und Vernetzen innerhalb von Firmen. Und die sogenannte Doppelspitze gibt es nicht nur in der Politik, sondern beispielsweise auch bei Edding. Hier teilen sich Fränzi Kühne und Boontham Temaismithi den Job als Chief Digital Officer. Das zeigt ganz klar: Es geht. Man muss es nur wollen.
Teilzeitquote für mehr Vereinbarkeit
Warum also tut sich trotzdem nichts in Sachen Teilzeit – obwohl wir alle davon profitieren würden? So viel sei gesagt: Ich bin kein Fan von Überregulierung. Vieles auf dem Arbeitsmarkt regelt sich von selbst. Unternehmen, die keine attraktiven Angebote machen, werden in Zukunft immer mehr Schwierigkeiten haben, qualifizierte Fachkräfte zu finden.
Aber in manchen Bereichen nutzt der Appell an Fairness leider nicht viel. Dann muss der Gesetzgeber eingreifen und Fortschritt von oben verordnen. Deshalb gibt es beispielsweise das Führungspositionengesetz, das verpflichtende Frauenquoten im Management festlegt. Hier haben sich Unternehmen so lange geziert, dass sie schließlich zum Handeln gezwungen wurden.
Tradierte Rollenmuster lassen Frauen nicht aus der permanenten Hauptverantwortung für die Familie.
Dass das Gesetz notwendig wurde, liegt nicht daran, dass es nicht genügend qualifizierte Frauen für Führungspositionen gäbe – ganz im Gegenteil. Es liegt an tradierten Rollenmustern, die Männer in Vollzeitrollen als Hauptverdiener zwängen und Frauen nicht aus der permanenten Hauptverantwortung für die Familie lassen.
Meiner Meinung nach haben wir den Punkt erreicht, an dem leider wieder der Gesetzgeber gefragt ist. Eine Teilzeitquote für Unternehmen ab einer bestimmten Größe würde nicht nur helfen, den Frauenanteil in der Arbeitswelt weiter zu erhöhen, sondern auch dazu beitragen, dass mehr Männer in Teilzeit gehen könnten, um so Job und Familie besser zu vereinbaren. Da die tradierten Rollenmodelle so tief in unserer Arbeitskultur verankert sind, müssten wir wohl leider noch ein paar Jahrzehnte warten, bis sich hier etwas von allein bewegt.