Was macht einen guten Onboarding-Prozess aus?
Interview mit Fabrizio Galli Zugaro
Eine Beförderung oder ein Jobwechsel ist in der Regel mit Freude verbunden und zugleich eine gute Gelegenheit, sich beruflich neu auszurichten und innerlich zu wachsen. Wie kann man sich darauf optimal vorbereiten und welche Herausforderungen sind damit verbunden?
Aus meiner Sicht ist der Start in etwas Neues gut, wenn man von sich ausgeht und ganz ehrlich zu sich selbst ist in der Beantwortung der Frage, was eine Veränderung dieser Art für sich bedeuten kann. Das lässt sich am besten an Fragen wie den folgenden festmachen: Kenne ich die Inhalte, die Aufgaben, die Erwartungen der Stakeholder an mich in meiner neuen Funktion? Sind diese Dinge im Einklang mit meinen Wünschen, Ambitionen und Werten? Was ändert sich in meiner neuen Funktion im Vergleich zu vorher? Will ich das wirklich? Sollte ich spüren, dass ich Kompromisse eingehen werde, die mir etwas die Luft nehmen? Was könnte der Preis dafür sein? Habe ich Angst vor der neuen Funktion? Sehe ich mögliche „Feinde“, die meinen neuen Auftrag vielleicht mit Neid und Misstrauen beobachten?
Eine gute Vorbereitung kann aus verschiedenen Elementen bestehen. Es gibt die fachlich-technische Seite, die ich beherrschen muss, wenn ich „aufgestiegen“ bin. Sehe ich Lücken in meiner Vorbereitung, werde ich versuchen, diesen Gap anzugehen und mit der Zeit zu schließen. Ganz wichtig ist der seelische und mentale Part. Wenn ich glaube, der neue Job wird meine Lebensqualität (ich meine nicht die ökonomische, sondern die innerliche) möglicherweise sabotieren, sollte ich sofort Gegenmaßnahmen vorbereiten. Das kann heißen, dass ich mir definitiv Zeit für mich nehmen werde und klarstelle, wann ich verfügbar bin und wann nicht. Wenn ich anfangs laut posaune: „Mich erreicht Ihr abends um 23 Uhr und am Wochenende“ ist das gar nicht so cool, sondern kann eher selbstverletzend werden. Das delegiert an mich selbst die Entscheidungskompetenz und lässt die direkten Mitarbeiter*innen nicht wachsen, da Sie eh einen Chef haben, der alles selbst sehen und entscheiden will.
Wechsele ich Firma oder innerhalb der Firmengruppe einen Bereich, den ich nicht gut kenne, habe ich heutzutage viele Möglichkeiten, Informationen einzuholen. Das fängt bei der Homepage der Firma an bis hin zu Artikeln in den verschiedenen Social Media-Kanälen, den Bilanzen des Unternehmens und vieles mehr. Mindestens genauso bedeutend wird es sein, mich mit Personen zu unterhalten, die das Unternehmen, den Job und die inneren „Strömungen“ der Firma kennen. Es sollte allerdings mit Filter gearbeitet werden, denn selten sind Insider-Informationen wirklich neutral und subjektiv. Also zuhören und nicht bewerten und sich dann bald ein eigenes Bild machen.
Ein Jobwechsel sollte angegangen werden, wenn man erstmal selbst innerlich davon überzeugt ist und es nicht deshalb tut, weil andere sagen, es sei richtig. Natürlich sind eine Beförderung und ein Jobwechsel meistens ein sehr positiver Schritt, verbunden mit mehr Einkommen und der Erreichung eines Zieles. Ich möchte nur davor warnen, die eigenen, ganz persönlichen, ehrlichen und wertvollen Werte, Träume und Wünsche nicht wegen Status, Image und einer wichtig klingenden Visitenkarte links liegen zu lassen. Das könnte einige Zeit später nämlich ein Boomerang werden.
Weshalb erfordert, Topmanager zu werden, andere Skills als Topmanager zu sein und zu bleiben?
Stellen Sie sich einfach alle besten Eigenschaften vor, die Ihnen im Management einfallen, und schreiben sie diese nieder. Ich merke dabei, dass ich zu idealistisch unterwegs bin. Der hervorragende Mensch, wie ich ihn mir vorstelle, wird es schwer haben, sorglos Karriere zu machen. Nüchtern betrachtet braucht es in den verschiedenen Phasen der Karriere Skills, die je nach Situation stärker zum Einsatz kommen. Um Top Manager zu werden, ist sicherlich ein starkes und sogar dominantes Ich.
Warum sagen Sie „leider“?
Weil es schade ist, dass man Karriere macht, wenn man andere damit aus dem Weg räumen muss. Es müsste doch auch gehen, wenn jeder durch seine ganz persönlichen Eigenschaften einfach als die/der Beste für bestimmte Führungsjobs gesehen wird. Aber Neid und Missgunst sind leider ziemlich menschliche Gefühle, die schwer zu behandeln sind. Dann kommt noch die Eigenschaft, (sich) gut präsentieren zu können. Es gibt viele Genies, die nicht gerne auftreten oder reden. Oft, um nicht Binsenweisheiten in den Raum zu werfen. Aber andere tun es, und einige Ober-Chefs finden das toll. Deshalb braucht es gute Präsentations-Skills und viel Visibilität.
Was braucht nun ein Top-Manager?
Mit dieser Frage haben sich sehr viele Bücher beschäftigt. Für mich ist es zusammengefasst ein Zusammenspiel zweier Hauptfähigkeiten: Er/sie muss ein guter Teamplayer und ein guter Coach sein. Teamplayer befähigen eine Gruppe, die Kräfte zu bündeln und Ziele zu erreichen, die Einzelne schwieriger erreichen würden. Und Teamplayer hören zu und schwingen keine Pseudo-Guru-Reden. Ein Coach ist in der Lage, die Menschen dabei zu unterstützen, ihr Bestes zu erkennen und entsprechend einzusetzen. Um Top-Manager zu bleiben, muss man es erstmal wollen. Das mag banal klingen, aber ich habe viele Manager erlebt, die irgendwann nach Erreichen einer Spitzenfunktion, ausgelaugt, müde, ja gar krank wurden. Ich würde ihnen deshalb raten: Dann lasst es lieber und findet wieder zu Eurem Inneren zurück. Will man Top-Manager bleiben, ist die Kunst des Beziehungsmanagements - im Sinne des Aufbauens und Haltens langfristiger Beziehungen - von fundamentaler Bedeutung. Ein solcher Top-Manager muss auch Stakeholder managen: Nicht nur die vorsitzenden Gremien gehören zufriedengestellt, sondern auch andere Teilnehmer am Geschäftlichen Tun des Unternehmens: Kunden, Aktionäre, Mitarbeiter*innen, Lieferanten etc. Das ist harte und erfüllende Arbeit, die der Klugheit und oft auch Diplomatie bedarf. Insgesamt wird der Top-Manager, der am Top bleiben will, seine Umwelt mit einbinden und begeistern (müssen).
Welche Fehler sollten am Beginn eines neuen Jobs unbedingt vermieden werden?
Sich zu isolieren mit der Ausrede, erstmal „die Unterlagen“ zu untersuchen. Nur mit dem Vorgesetzten (jeder hat einen Vorgesetzten, und wenn es ein Gremium ist, welches wiederum einen Vorsitzenden oder Sprecher hat) zu sprechen, ohne die direkten Reports (Mitarbeiter*innen) einzubinden. Vor allem, unauthentisch sein ist schlecht und zahlt sich nicht aus. Ist jemand von Natur aus nicht freundlich und lächelt nicht, sollte er/sie das falsche „Nettsein“ lieber sein lassen. Es kommt eh irgendwann heraus, und dann traut ihm/ihr niemand mehr.
Dennoch plädieren Sie immer wieder für das Lächeln …
Ja, aber in authentischer Manier. Es kostet nichts und macht nicht nur dem Empfänger des Lächelns eine Freude, sondern befreit Glückshormone bei jedem Menschen. Doch zurück zu den zu vermeidenden Fehlern: Statt am Anfang viel zu reden, empfehle ich das alte Pareto-Prinzip einzuhalten, die 80:20 Regel: 80% zuhören und 20% reden. Denk immer daran, dass Du als Neuer in einem Job von vielen Seiten sehr scharf beobachtet wirst. Wenn die Firma nicht ganz neu gegründet ist und schon eine Geschichte durchlebt hat, stören die supercoolen Schlaumeier, die alles besser wissen und sagen: „Bei meiner vorherigen Firma funktionierte das aber besser“ oder “anders“. Nicht alles aus der Vergangenheit muss schlecht sein, also immer Respekt gegenüber den Personen, die dort arbeiten und auch dem Vorgänger/der Vorgängerin gegenüber zeigen.
Was sind – stichwortartig - die No go‘s und die Must do’s?
No go’s: Arroganz, Nase nach oben, Monologe führen, unauthentisch sein.
Must do’s: Zuhören, Einbinden, von allen lernen. Gute Manieren, immer.
Sie arbeiteten jahrelang innerhalb eines großen Bankkonzerns und durften alle paar Jahre eine neue Funktion übernehmen, waren Co-Leiter einer deutschen Bank in Italien und arbeiteten im Vorstand einer italienischen Bank in Südtirol. Wie haben Sie sich in ihre neuen Funktionen eingearbeitet?
Als erstes habe ich die Struktur, die mich empfangen wird, studiert. Wer ist für was zuständig? Wie sind die Hierarchien? Was sind die Ziele der Firma? Ich habe Zahlen, Daten, Fakten durchgelesen. Dann - da ich immer vertriebliche Missionen vor mir hatte - habe ich mir die Kunden angeschaut, die es direkt oder indirekt zu betreuen galt: Kundentypologien, Herkunft, auch hier wieder Eckdaten (bei Firmen Umsatzgröße zum Beispiel, bei Privaten waren es eher Vermögensverhältnisse oder Produktbedarf und ähnliches). Der andere Teil war das Kennenlernen der Personen, die im neuen Umfeld arbeiteten, quer durch die Abteilungen und Hierarchien durch. Ganz wichtig war immer auch, im Fall, dass die berufliche Veränderung auch eine geographische Neuigkeit mit sich brachte, das Informieren über das neue Lebensumfeld. Das hat auch am meisten Spaß gemacht. Was kann ich in meiner Freizeit tun? Wo wohnt es sich am besten und vieles mehr waren die typischen Fragen vor einem Antritt an einem neuen Ort.
Was wird Ihrer Meinung nach oft vernachlässigt?
Das Studieren, Erkennen und Achten kultureller Unterschiede. Ca. 70 % der Fusionen zwischen Firmen und Gruppen verschiedener Länder laufen schief, weil der kulturelle Aspekt einfach nicht oder nur am Rande gepflegt wird. Typisch ist es, wenn die Gruppe A die Gruppe B kauft und komplett ihre Prozeduren, Entscheidungsmechanismen, Vertriebsmethoden und Beschwerdebearbeitungsart überstülpt. Gruppe B akzeptiert oft diese Dinge nicht oder tut es nur aus Zwang. Dann wundert sich die Führungsriege der Gruppe A, dass die Gruppe B nicht „sputet“, wie sie sollte. Es reicht nicht, jemanden ins Ausland zu schicken, weil er/sie die Sprache kennt. Ich habe einige Male mitbekommen, dass zum Beispiel bei großen Firmengruppen (z.B. aus Deutschland) Manager, die z.B. südamerikanischer oder spanischer Herkunft waren, nach Italien geschickt wurden. Der Spruch, den ich im Korridor gehört habe, war: Spanien, Italien, Mexiko, ist eh alles lateinischer Hintergrund. Da würde Fons Trompenaars die Hände über den Kopf schlagen - das Buch „Riding the Waves of Culture“ von Fons Trompenaars und Charles Hampden Turner, eine Must-Lektüre für interkulturelle Kompetenz.
Weshalb ist gute Vorbereitung alles?
Sie ermöglicht einen besseren Einstieg, das Bergen der Energien und des Wissens des neuen Teams, mehr Motivation für einen selbst und für das Umfeld, für das man verantwortlich ist. Ein guter Einstieg ist die Basis für eine gute Performance. Ein schlechter Einstieg kann bedeuten, dass man die eigene Leistung nicht mehr oder erst sehr viel später zur Geltung bringen kann. Eine gute Vorbereitung beruhigt erstmal die Aufregung, die bei einer neuen Herausforderung präsent ist. Aber noch wichtiger als eine gute sachliche Vorbereitung ist der Wille, mit offenem Herzen, offenen Ohren, Respekt und Authentizität in den neuen Job zu gehen, ohne Vorurteile und limitierende Meinungen, die einem eventuell schon zu Anfang die Scheuklappen auf die Augen legen könnten.
Was bedeutet Onboarding in diesem Kontext?
Onboarding als Spezialgebiet im Coaching ist die Unterstützung eines Kandidaten, eines neuen Funktionsinhabers bei der Identifizierung der für den Erfolg notwendigen Interessensgruppen und Individuen, dem Zuhören auf deren Einstellungen, Erwartungen und Bedenken, dem Entwerfen einer Strategie für die neue Funktion, einer wahrheitsgetreuen Positionierung der eigenen Person, um ein bestmögliches Gelingen zu ermöglichen. Eine positive Einstellung zu den neuen Arbeitskolleg*innen schon bevor es losgeht, ist eine bedeutende Voraussetzung.
Welche Fragen sollte man sich stellen, wenn man sich auf eine neue Funktion oder einen neuen Job vorbereitet?
Wer ist für meinen Erfolg entscheidend? Warum mache ich, warum machen meine Teammitglieder diese Arbeit? Was motiviert? Was hat bisher schon gut funktioniert und sollte beibehalten werden? Wo ist hingegen (akuter) Handlungsbedarf? Was ist das zentrale Kundenversprechen unserer Organisation? Welche stillen, unbekannten Spielregeln existieren in der neuen Organisation? Welche Werte zeichnen die Kultur, die Mentalität meines neuen Umfeldes aus (siehe dazu o.a. Beschreibung zur interkulturellen Kompetenz)? Wo liegen meine Stärken und wie kann ich sie einbringen? Wie erkenne ich die Stärken meines Teams und der anderen Stakeholder?
Was gehört zu den Inhalten und Ergebnisse eines guten Onboarding-Prozesses?
Ein Dialog zu diesen Fragestellungen, die Identifikation aller relevanten Interessensgruppen, das Entwerfen einer Erstanalyse, der erste Entwurf einer Strategie und die Organisation strukturierten Zuhörens sind die Dinge, bei denen ich Menschen gerne begleite. Je nachdem, wie die persönliche Vorgehensweise des/der „Onzuboardenden“ ist, kann ein individueller Aktionsplan vorbereitet werden, der klar, einfach und nachvollziehbar sein muss und parallel dazu die Flexibilität besitzen muss, bei Imponderabilien einzulenken und angepasst zu handeln. Passiert während des Onboarding-Prozesses etwas, was nicht vorhersehbar war, wird sofort der Plan angepasst und feingesteuert. Gut sind immer sogenannte Checkpoints: vereinbarte Termine mit strukturierter Agenda, die, wenn man es 14-tägig tun will, die zwei Wochen davor analysieren und die Learnings daraus für die künftigen zwei Wochen bearbeitet. Dem folgt ein neuer, ganz aktueller und angepasster Aktionsplan. Wenn dann der eher kurzfristige Onboarding-Prozess als abgeschlossen deklariert wird, ist es immer eine gute Stütze für den nun nicht mehr ganz neuen Stelleninhaber, einige Zeit später (1 bis 3 Monate, ggf. auch nach 6 Monaten) ein Treffen zu machen. Dann wird eher aus der Distanz und in einem fast schon routinierten Zusammenhang geprüft, ob das Onboarding erfolgreich war oder ob es noch Stellschrauben gibt, die zu drehen sind.
Wie kann ein Coach in diesem Prozess unterstützen, und was zeichnet einen professionellen Coach aus?
Der Coach ist in einem guten, abgestimmten und professionellen Coaching-Pfad der/diejenige, der/die den Coachee dabei unterstützt, die eigenen Lösungen zu finden. Es ist, so denke ich, für jeden verständlich, dass eine Sache dann besser und stressfreier verläuft, wenn sie im kompletten Einklang mit dem eigenen Willen ist. Andersherum gesagt, tut jemand etwas gegen seinen inneren Glauben, ja sogar fast gegen seinen Willen, geht das irgendwann schief. Fehlt die intrinsische Motivation, etwas verändern zu wollen, wird diese Veränderung oberflächlich oder gar nicht vollzogen.
Können Sie an dieser Stelle kurz den Unterschied zwischen Coach und Berater skizzieren?
Coach bedeutet so etwas wie Trainer, heißt aber auch „Kutsche“ (aus dem Englischen). Sie begleitet jemanden von A nach B. Dieser jemand entscheidet, dass er nach B will, nicht der Kutscher. So ist es im Coaching. Der Coach trainiert und unterstützt den Coachee bei seiner Lösungsfindung, während der Berater eher empfiehlt, was zu tun ist. Beide Ansätze können funktionieren. Daher ist es wichtig, bevor eine Coaching-Route gestartet wird, dass der Coachee die Methodik akzeptiert und versteht. Der Coach wird viel Fragen stellen, öfters auch schweigen, viel zuhören und nicht urteilen. Wenn der Coachee auf diese Art mitmachen möchte, klappt das hervorragend. Möchte der Kunde jedoch eine vorgefertigte Lösung, vielleicht auf Basis anderer Erfahrungen der Berater, ist nicht ein Coach, sondern eben ein Berater die richtige Gegenseite für ihn/sie. Das Coaching, wenn von Profis gemacht, zeigt tiefgehende und nachhaltige Erfolge, da der/die Coachee mit voller Energie die selbstentwickelten Lösungen weiterbringt. Unbedingt Mal ausprobieren!
Vielen Dank für das Gespräch.
Weiterführende Informationen:
Fabrizio Galli Zugaro: Onboarding
Alexandra Hildebrandt: Zeit für Höflichkeit und gute Manieren Interview mit Fabrizio Galli Zugaro