„Wir sind Übersetzer zwischen IT und HR“
Die Mission von alphacoders ist es, coole Stellen in attraktiven Unternehmen an die “Digital Heroes” von heute und morgen zu vermitteln – also an Menschen mit IT-Expertise, Programmiererfahrung oder Webdesign Skills. Johannes Liebnau, der Geschäftsführer von alphacoders, erklärt im Interview, worauf es bei der Einstellung von IT-Experten ankommt und welche Besonderheiten sich daraus im Recruiting ergeben. Außerdem verrät er 7 Tipps, wie Unternehmen Fehler im Einstellungsprozess vermeiden können.
Johannes Liebnau: Wir sind spezialisiert auf die Vermittlung von IT-Experten und -Expertinnen im Bereich Festanstellung. Kurz gesagt sehen wir uns als Übersetzer zwischen HR und IT. Es gibt seit Jahren ein Spannungsfeld von massenhaft offenen Positionen auf der einen Seite und dem geringen Angebot an passenden Leuten andererseits. Dreiviertel aller Unternehmen halten es für eine Herausforderung, Tech-Positionen zu besetzen. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass beim Hiringprozess beide Seiten einander nicht verstehen. Und hier kommen wir als Vermittler ins Spiel.
Johannes Liebnau: Viele Entwicklerinnen und Entwickler verstehen ihre Fähigkeiten zu Recht als rares Gut. Diese Community hat noch nie eine richtige Krise erlebt, es gibt seit Jahren einen enormen Fachkräftemangel im IT-Segment. Mit der Folge, dass einige Kandidatinnen und Kandidaten in den Interviews ein Selbstbewusstsein entwickeln, das vielleicht auf Unternehmensseite auf Irritationen stoßen kann. Die Unternehmen sind genervt davon, wie die Leute auftreten und bitten uns, ihnen diese Bürde abzunehmen. Aber auch auf Unternehmensseite sitzen einige Leute teilweise noch auf einem zu hohen Ross, obwohl ihr Unternehmen nicht mehr der Nabel der Welt ist. Wir sind einerseits Kandidatenflüsterer und andererseits Kundenbeschwichtiger. Da ist das Unternehmen, das von einem Kandidaten mit zwei Jahren Berufserfahrung, dem sie ein Jahresgehalt von 70.000 Euro bieten, auch ein gewisses Maß an Respekt erwartet. Andererseits sind da Kandidaten, die mit einer Fülle von Angeboten überhäuft werden. Also helfen wir den Unternehmen dabei, für eine optimale Candidate Experience zu sorgen und überzeugen die Kandidatinnen und Kandidaten davon, sich auf ein Interview wirklich vorzubereiten. Es gibt da eine Anekdote, die das Problem der zwei gegensätzlichen Pole eigentlich ganz gut versinnbildlicht. Wir haben für einen Kunden nach zwei Monaten intensiver Suche den perfekten Kandidaten gefunden, die eierlegende Wollmilchsau sozusagen. Und dann trug der beim Videointerview ein T-Shirt, die Leute vom Unternehmen erwarteten aber ein gebügeltes Oberhemd und fühlten sich nicht ernst genommen. Daraufhin haben sie diesen Experten abgelehnt, der sogar bereit war, für einen Mittelständler hinter den sieben Bergen zu arbeiten. Man braucht eine sehr hohe Frustrationstoleranz, wenn man in unserem Metier arbeitet.
Johannes Liebnau: Die Kriterien, die an erster Stelle stehen, sind Einkommen und Benefits. Punkt zwei ist die Frage, mit welcher Technologie gearbeitet wird. Weiterhin von Interesse sind die Arbeitsweisen, also Agilität, Remote Office etc., und Mitspracherecht bei IT-Entscheidungen. Die Kandidatinnen und Kandidaten erwarten schon im ersten Gespräch relevante Informationen und exakte Erläuterung ihrer Aufgaben im Unternehmen und nicht einen HR-Menschen, der in einem fünfstündigen Tiefeninterview aus ihrer Wortwahl auf die Persönlichkeit schließen will.
Johannes Liebnau: In den ersten Jahren lief der Kontakt zu Kunden fast nur über Weiterempfehlungen. Das ist heute auch noch Bestandteil, aber inzwischen lernen wir viele unserer potenziellen Partner auf Konferenzen und Meetups in den verschiedenen Tech-Bereichen kennen. Auf der Suche nach Kandidatinnen und Kandidaten gehen wir diese Wege auch, finden spannende Leute aber ebenso über berufliche Netzwerke und Kanäle, in Entwickler-Communities und Entwickler-Foren. Derzeit läuft das vermehrt über Videokonferenzen oder Webinare, die wir selbst geben.
Johannes Liebnau: So ein Trend kann sich in einem Zyklus von wenigen Monaten stark verschieben. Vor zweieinhalb Jahren hatten wir einen Run auf Ruby und insbesondere Ruby on Rails. Dann gab es letztes Jahr eine große Nachfrage nach React. Gerade sind z.B. Go und Elixier im Backend oder Vue.JS im Frontend im Kommen. Im Grunde verselbständigt sich der Markt durch die Forderung der Unternehmen. Die rufen an und sagen: „Unsere Entwickler meinen, das ist cool, damit wollen wir arbeiten. Wir suchen jetzt jemanden, der das kann.“ So entsteht eine künstlich gehypte Nachfrage, für die es viel zu wenig Leute gibt und das treibt dann den Preis wieder irrational in die Höhe.
Johannes Liebnau: Das Thema stellt den Innovationsstandort Deutschland vor echte Herausforderungen. Das Entwickeln von Software und Tech darf kein Luxus werden, das muss eigentlich Standard sein. Selbst viele Unternehmen, die ein analoges Geschäftsmodell haben, digitalisieren inzwischen. Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Natürlich kann man auf Freelancer setzen oder auf so genannte Offshore-Lösungen, also Teams, die irgendwo im Ausland sitzen und von hier gesteuert werden. Aus meiner Sicht ist es aber am wichtigsten, sein Unternehmen so weiterzuentwickeln, dass es für IT-Experten attraktiv wird. Dazu zählt eben auch das Angebot, Leute teilweise im Homeoffice arbeiten zu lassen oder vielleicht sogar Fully Remote. Die ersten innovativen Unternehmen haben das längst umgesetzt, auch schon vor Corona. Andere müssen aufpassen, dass sie nicht abgehängt werden.
Johannes Liebnau: Viele sind während der Corona-Krise auf die Bremse getreten, weil sie nicht wussten, was kommt und haben Recruiting-Prozesse pausiert. Das wird aus meiner Sicht zu Nachhol-Effekten führen, die wiederum den Markt und die Nachfrage in den kommenden Monaten zusätzlich überlasten. Andererseits war es spannend zu beobachten, wie enorm flexibel auch traditionelle Unternehmen es geschafft haben, ihren Recruiting-Prozess von heute auf morgen umzustellen und Bewerbungsgespräche im Videocall abzuhalten. Auf Kandidatenseite gab es einen interessanten Wandel. Bis vor drei Monaten hat nie einer von ihnen nachgefragt, wie krisensicher ein Unternehmen ist. Und jetzt kommt plötzlich das Interesse für die Jobsicherheit. Generell in die Zukunft zu blicken ist natürlich schwierig. Möglicherweise werden Unternehmen, die jetzt erst auf Digitalisierung setzen, für Kandidaten total spannend sein, weil man so viele Grüne-Wiese-Projekte hat. Kann aber auch sein, dass sie das abschreckt, wenn jemand gerade erst anfängt, und lieber zu einem etablierten Digital-Player geht.
Johannes Liebnau: Für Entwicklerinnen und Entwickler ist es extrem wichtig, remote arbeiten zu können. Vor der Krise haben das eher wenige Unternehmen angeboten, aber jetzt hat sich ja gezeigt, dass es funktioniert. Das wird auch die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten, stark verändern. Wie werden künftig die Büros aussehen, wie steuern wir unsere Teams? Mit was für einer Methodik werden wir arbeiten und was können die „nicht-Tech-Teams“ eigentlich von der IT lernen? Da sind Maßstäbe gesetzt worden, die den Status Quo abbilden und die gleichzeitig die Erwartungshaltung von Kandidatinnen und Kandidaten beeinflussen. Remote zu arbeiten ist das neue Normal. Wenn man im War of Talents irgendwie bestehen will, dann muss man sich solchen Trends gegenüber anpassen. Das Thema Digitalisierung wird bei allen Unternehmen mit digitalem Geschäftsmodell stark wachsen. Und alle, die ein analoges Geschäftsmodell betreiben, werden auf den digitalen Zug aufspringen. Wer jetzt noch etwas von Neuland erzählt, der hat die letzten fünf bis zehn Jahre verschlafen – und die vergangenen Monate erst recht.
Johannes Liebnau: Die einzige Änderung in unserem Prozess war, dass wir unsere Briefings beim Kunden eine Zeit lang nicht mehr vor Ort machen konnten. Wir waren schon vor Corona digital gut aufgestellt, wir arbeiten komplett paperless und machen ohnehin einen Großteil unserer Interviews über Videocalls. Selbst wenn wir Entwickler aus der Nachbarschaft ansprechen und sagen, komm doch mal vorbei auf einen Keks und eine Mate, dann legen die gar keinen Wert darauf. Was sich absolut verändert hat sind die Interaktionen zwischen den Teams, weil wir ja hier auch auf Videocalls ausweichen mussten. Aber das klappt sehr gut. Dafür braucht man eine Kultur, in der man sich gegenseitig vertraut und in der alle sehr ambitioniert und eigenverantwortlich arbeiten. Was uns tatsächlich fehlt, das sind Konferenzen und Meetups. Nicht nur, weil wir dort naturgemäß viele Kandidatinnen und Kandidaten treffen, sondern weil wir die Veranstaltungen auch zur intensiven Weiterbildung nutzen. Das muss man eben schleunigst anderweitig u.a. durch Videolearnings nachholen.
Gewandelt hat sich definitiv der Hiringprozess der Unternehmen. Wenn jemand normalerweise drei Auswahlrunden mit einem Kandidaten hat, bevor er ihn einstellt, und davon finden zwei vor Ort statt, dann wurde das jetzt zusammengekürzt. Definitiv eine positive Entwicklung. Je schneller eine Kandidatin oder ein Kandidat Feedback bekommt und in die nächste Auswahlrunde eingeladen wird, desto höher ist die empfundene Wertschätzung. Das wiederum steigert die Wahrscheinlichkeit, dass die Kandidatinnen oder Kandidaten unterschreiben.
Fehlendes Know-how: Unbedingt mit den Kandidaten auf Augenhöhe über Tech-Themen sprechen. No-Go: Jemanden aus dem Unternehmen im Interview auf ihn loszulassen, der den Unterschied zwischen Java und JavaScript nicht kennt.
Falsche Erwartungen: HR tendiert dazu, in Stellenausschreibungen in übertriebenen Superlativen zu formulieren. Der häufigste Grund, warum Leute das Unternehmen wieder verlassen, ist die Diskrepanz zwischen Versprechen und Realität.
Fehlende Kompromissbereitschaft: Man findet nie die wirklich perfekte Kandidatin oder den perfekten Kandidaten. Jeder Hiring-Manager muss sich bewusst machen: Was kostet es, diesen Menschen jetzt abzulehnen und die Stelle drei weitere Monate nicht zu besetzen – ohne zu wissen, ob es dann signifikant besser wird.
Falsche Prioritäten: Ist es wirklich ausschlaggebend für die Stelle, ob jemand im Hemd oder im T-Shirt erscheint und ob er bisher alle zwei Jahre den Arbeitgeber gewechselt hat?
Arbeitnehmer unterschätzen: Um die Fachleute zu halten, sollte man ihnen stärkere Mitbestimmung im Bereich Technologie einräumen und sich auf ihre Expertise verlassen. Viele Entwickler sind in der Community aktiv und erkennen Trends und technische Verbesserungen viel früher als manche Unternehmen.
Fehlende Anerkennung: Unbedingt der IT und den Digitalisierungsabteilungen den Stellenwert einräumen, die sie im Unternehmen verdienen. Denn das sind diejenigen, die die Zukunft vorbereiten.
Fehlendes Vertrauen in den Berufsethos und den Selbstanspruch von Entwicklerinnen und Entwicklern: Der Trend der Softwareentwicklung weg von einer Nerd-Spielerei hin zu einer ernsten "Software Craftsmanship" verändert auch die Mentalität. Entwicklerinnen und Entwickler wissen, was sie wert sind und versuchen selten schön zu färben und beim Gehalt zu "pokern".