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Lars Vollmer (Foto: André Bakker)

2021: ein Jahr für Könner

Was wir aus dem Jahr 2020 mitnehmen können: (Unternehmens-)Planung war noch nie so wertlos wie heute, meint Lars Vollmer. Worauf es jetzt ankommt, schreibt er in seiner Kolumne für Capital

Der kalte Wind, der jetzt Mitte Dezember den Rhein in Köln entlang pfeift, lässt die Menschen die Mütze tiefer ziehen. Vor allem Menschen wie mich, die haarmäßig nicht so gut ausgestattet sind. Eine Maske trage ich auch ganz brav, selbst wenn einhundert Meter vor und hinter mir kein Mensch unterwegs ist. Sogar die sonst üblichen Fahrradfahrerhorden sind verschwunden.

Die Stimmung hier an der Promenade passt zum Wetter: Es ist grau und frostig. Die sonst allgegenwärtigen Vorweihnachtsglückseligkeit will nicht aufkommen. Ich bin ja nicht so der Adventsromantiker, ich vermisse das nicht. Es fällt mir nur auf.

In Barcelona könnte ich zumindest schöneres Wetter haben, aber die Reiserei macht derzeit wahrlich keine Freude. Also bleibe ich vorerst mal hier. Wann sich das wohl bessert?

Doch – ob Sie es glauben oder nicht –: Ich freue mich auf das kommende Jahr.

Wer kann über das Wasser gehen?

Die einzige Aussage, die Sie und ich über 2021 aktuell mit einiger Sicherheit treffen können: Nichts ist sicher. Das galt schon für das ablaufende Jahr und alle davor, doch für das nächste gilt das noch viel mehr.

Denn 2020 hat die Verunsicherung noch alle gleichmäßig erschüttert. Der exogene Corona-Schock wirkte wie ein riesiger Stein, den Sie in die Mitte eines Sees werfen: Das gesamte Wasser wird in Wallung versetzt. 2021 wird viel aufregender, weil unvorhersehbarer. Kein Mensch kann Ihnen seriös sagen, wo im Verlauf die nächsten Turbulenzen auftreten beziehungsweise die Dinge auch zwischenzeitlich zur Ruhe kommen werden.

Genauso wenig kann Ihnen jemand sagen, wie sich Ihr eigenes Handeln auswirken wird: Erreichen Sie mit dem, was Sie tun, wirklich ein rettendes Ufer? Entpuppt sich eine Ihrer Ideen als Turbo, mit dem Sie sich gleichsam aus dem Wasser erheben? Oder gar über das Wasser gehen können?

Eine bisher jährlich wiederkehrende Übung kann ich mir jedenfalls dieses Jahr sparen: Ich muss wohl niemanden mehr davon überzeugen, dass Unternehmensplanung für das nächste Jahr ein reines Glaskugelspiel ist. Das war schon lange vor Corona so und an sich schon ein riskantes Unterfangen.

Wie kann Lufthansa planen?

Eine Unternehmensplanung war schon immer deshalb fahrlässig, weil sie allen Beteiligten signalisierte: Wir verfügen über verlässliches Zukunftswissen, wir wissen heute schon recht gut, was morgen zu tun ist. Richtig gefährlich wurde es aber dann, wenn Manager versuchten, diese Planung unterjährig einzuhalten. Auf einmal ging der Blick vornehmlich nach innen und auf den Plan statt nach außen und auf den Markt. Der Top-Manager eines Medienunternehmens formulierte es mir gegenüber so: „Der Plan ist der Plan ist der Plan!“

Allerdings kann dieses Jahr eigentlich kaum ein Unternehmenslenker mehr die Ambition haben, eine verlässliche Jahresplanung durchzuführen. Und ich hoffe, dass die Handelsblatt-Schlagzeile „Lufthansa erwartet Buchungsboom im Sommer dank Corona-Impfung“ zwar als Aussage im Interview fiel, aber bei der Fluglinie keiner auf die Idee gekommen ist, so etwas in einer Planung zu fixieren. Denn es kann schon sein, dass dieser Boom kommt. Aber das Gegenteil ist genauso möglich: Lassen Sie nur bei der Impfaktion zwei oder drei schwere Erkrankungen auftreten und schon wird diese ausgesetzt. Und alles wird noch viel schlimmer. Das ist nicht wünschenswert, aber durchaus denkbar.

Deshalb war Planung noch nie so wertlos wie heute.

Doch ist sie nicht nur wertlos. Was sie anrichtet, ist noch viel schlimmer …

Was muten Sie Ihrem Unternehmen zu?

Ich habe die letzten Jahre über das Thema Unternehmensplanung viele Gespräche geführt. Dabei wollten mir meine Gesprächspartner oft ernsthaft vermitteln: Solche Planung sei vor allem ein Zeichen von Professionalität, Seriosität und Verantwortungsbewusstsein im Unternehmen. Und ich habe immer schon das Gegenteil behauptet: Unternehmensplanung ist ein Zeichen von Fahrlässigkeit. So wie das Handy am Steuer bei Tempo 180 – es geht häufig gut, aber nicht wegen, sondern trotz des Smartphones in der Hand.

Heute könnte ich diese Aussage noch verstärken. Wenn Sie sich aktuell ernsthaft mit einer Unternehmensplanung für das nächste Jahr beschäftigen, dann ist das das Abträglichste, was Sie Ihrem Unternehmen antun können. Denn Sie gaukeln sich und Ihrer Organisation eine Sicherheit vor, die es nicht gibt. Sie nähren mutwillig die Illusion, dass Sie die Lage im Griff haben. Das halte ich für maßlos unseriös und verantwortungslos.

Warum sehen Sie sich nicht etwas Interessanteres an?

Natürlich können Sie Szenarien für das nächste Jahr spinnen oder auch Hoffnungen entwickeln, doch ich möchte Sie anstiften, Ihr Augenmerk in dieser Situation auf etwas viel Interessanteres zu lenken: auf sich selbst.

Wie gehen Sie organisatorisch (nicht persönlich) mit dieser Unsicherheit, dieser Unfassbarkeit um? Gerade wenn Sie bisher immer sehr ausufernde Planungsrituale praktiziert haben: Was tun Sie jetzt? Lassen Sie die Planung einfach bleiben? Ersetzen Sie sie durch ein anderes Mittel? Oder erfasst Sie ein gewisser Trotz und Sie sagen: „Jetzt erst recht! Ich habe immer geplant, also plane ich wieder und mach’ es noch besser.“?

Falls Sie Letzteres tun, würde mich eines interessieren: Auf welcher Basis werden Sie planen? Sie könnten sich natürlich zum Beispiel auf ein best-case- und ein worst-case-Szenario stützen. Doch woher wissen Sie, was der worst case ist? Oder der best case? Die Glaskugel lässt grüßen.

Weihnachten oder besser gesagt das Jahresende ist stets eine Zäsur – eine sozial-künstlich geschaffene zwar, aber das spielt keine Rolle. Es ist eine Zeit, die prädestiniert ist für Reflexion. Auch wenn die operative Hektik dieses Jahr wahrscheinlich noch größer ist als in anderen Jahren: Lassen Sie sich diese Gelegenheit nicht entgehen.

Ich habe schon ein wenig damit angefangen, auf dieses Jahr zurückzuschauen. Unter anderem auf diese Kolumne.

Ein Jahr für Könner

Meine Kolumne in der Capital erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit – und dafür bin ich meinen Lesern sehr dankbar. Es scheint, als könnte ich Ihnen ab und zu Impulse zum Nachdenken geben. Das freut mich.

Einen Gedanken möchte ich Ihnen für den Jahreswechsel noch mitgeben: Ich glaube, dass Sie sich mit mir auf das nächste Jahr freuen können. Nicht trotz der Turbulenzen, die 2021 bringen wird, sondern gerade deretwegen. Denn in solchen Zeiten kommt es endlich wieder auf die Könner im Unternehmen an. Es steht nicht mehr der Plan und seine Umsetzung im Vordergrund. Jetzt zählen Individualität, Spontaneität, Schaffenskraft und Ideenreichtum.

Es erwartet uns ein spannendes, ein aufregendes, ein höchst lebendiges Jahr. Ich halte das für eine sehr positive Aussicht. Und ich hoffe, Sie auch.

Auf 2021, das Jahr der Könner!

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