„Achtsamkeit ist keine Wellnesstechnik.“
Überlastung, Depression, Burnout: Psychische Erkrankungen sind in unserer schnelllebigen Arbeitswelt leider keine Seltenheit mehr. Umso wichtiger wird es daher auf sich selbst und die eigene mentale Gesundheit zu achten. Diesen Ansatz verfolgt auch Dr. Frank Berzbach in seinen Büchern zu den Themen Achtsamkeit und Kreativität im New Work Kontext und erklärt, warum es auch in der Verantwortung der Führungskräfte liegt bessere Arbeitsbedingungen für glückliche Mitarbeiter zu schaffen.
Am 26.10.2020 wird er bei der NWXnow mit XING Chefredakteurin Astrid Maier über die Zukunft der Arbeit vor, während und nach der Corona-Situation sprechen. Im Interview verrät er vorab, wie schon kleine Achtsamkeitsübungen Deine Gefühlslage verändern können und wie Du sie in Deinen Arbeitsalltag einbaust.
Frank Berzbach: Unter Achtsamkeit versteht man, seinen Geist auf die Gegenwart zu richten, was man wahrnimmt, nicht zu bewerten und während dieses Vorgangs seine Gefühls- und Denkmuster zu beobachten. Das ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe und bedarf der Übung. Es ist keine Wellnesstechnik und hat nichts mit „vorsichtigem Handeln“ zu tun, wie die Alltagssprache suggeriert.
Die seriösen buddhistischen Meditationsschulen, aber auch Yoga lehren, mit dem Atem gut umzugehen und sich beobachten zu können. Der Vorteil solcher Übungen ist, dass man schneller wahrnimmt, wenn man in unheilsame Zustände kommt – und bestenfalls kann man früher gegensteuern.
Frank Berzbach: Das lässt sich nicht in wenigen Worten ausdrücken. Seinen Geist zu beruhigen, sich konzentrieren zu können und sein Mitgefühl zu entwickeln, bringt Vorteile – vor allem für die eigenen Emotionen. Ob eine spezifische Art von Arbeit davon profitiert, kann ich nicht sagen.
Die Auseinandersetzung mit Sinnfragen und Meditationstechniken kann auch dazu führen, dass wir das Leben verändern, und damit natürlich auch das Arbeiten. Mir geht es aber nicht um eine Instrumentalisierung religiöser Lehren für die schöne neue Arbeitswelt.
Frank Berzbach: New Work setzt uns einer Menge Unsicherheit, Lärmbelastung und Flexibilität aus. Ich bin kein Freund von Großraumbüros, flexiblen Schreibtischen und fotogener, aber arbeitspsychologisch unsinniger Büroarchitektur.
Die Achtsamkeitstechniken breiten sich auch deshalb aus, weil die Arbeitswelt schlechte Rahmenbedingungen für Kreativität setzt. Die Befürworter und Entscheider bestimmter Veränderungen arbeiten selbst meist unter günstigeren Arbeitsbedingungen.
Frank Berzbach: Die Führungskräfte selbst sitzen nicht in Großraumbüros, in denen die Mitarbeiter Baustellenkopfhörer tragen, um dem Lärm zu entgehen. Führungskräfte müssen sich in der Regel auch nicht jeden Tag eine neue Ecke suchen, in der sie sich einrichten. Und sie machen Homeoffice, wenn sie selbst das möchten und nicht, weil es, wie in manchen Unternehmen, inzwischen verpflichtend ist.
Frank Berzbach: Einige Ideen von New Work sind in der Praxis zwar ziemlich „instagramable“ und die Unternehmen halten sich für ungeheuer fortschrittlich, sie ignorieren aber ganz banale Bedingungen für kreatives Arbeiten. Die Arbeit hat genug Unsicherheiten, wir müssen nicht auch noch die Organisation der Arbeit verunsichern. Es ist gut, einen Schreibtisch zu haben und wohldosierte Ungestörtheit ist von Vorteil. Für die Konzentration ist es hilfreich, wenn Mitarbeiter ihr Territorium abstecken können, zum Beispiel mit einigen persönlichen Gegenständen.
Frank Berzbach: Jeder Mensch hat das Potential schöpferisch tätig zu werden. Das kann zur Lebensform werden, man muss das nicht optimieren oder „bestmöglich“ ausschöpfen. Ich glaube unter bestimmten Rahmenbedingungen fängt der Mensch an, Leben und Arbeiten nicht mehr strikt zu trennen.
Es ist schön, etwas auf die Beine zu stellen. Damit ist allerdings keine „Technik“ verbunden. Es ist eher eine Haltung, eine Maxime. Ich selbst denke selten direkt über Kreativität nach – sondern widme mich dem, was ich tun will.
Frank Berzbach: Frühstücken, sich morgens etwas mehr Zeit nehmen, erst in Ruhe planen und dann lossprinten. Regelmäßige Pausen, Offline-Zeiten, bedachte Ernährung, gut dosierte Bewegung. Es sind sehr einfache und vor allem wirksame Tipps. Sie sind allerdings nicht sehr „hip“, sie sind alle traditionell.
Frank Berzbach: Wir brauchen Routinen, keiner kann ständig alles neu entscheiden. Es gibt funktionale Routinen, zum Beispiel eine regelmäßige Mittagspause, die wichtig und heilsam sind; und es gibt erstarrte Routinen und Zwänge, zum Beispiel das Absitzen von Zeit bis zum offiziellen Feierabend, wenn nichts mehr auf dem Tisch ist.
Frank Berzbach: Es gibt hinderliche und förderliche Routinen. Kreative mögen breite Handlungsspielräume, also Freiheit. Aber auch diese braucht einen Rahmen – zum Beispiel einen gewissen Arbeitsrhythmus, genug Schlaf, eine relative finanzielle Sicherheit (also nicht befristete Verträge) und wenn nötig ungestörte Ruhe sowie genügend Zeit. Wir greifen täglich zurück auf Vertrautes: ritualisierte Vorgehensweisen, die erprobt sind. Gute Erfahrungen lassen sich nutzen, der Mensch ist lernfähig. Heute gibt es einen gewissen Druck, permanent so zu tun, als müsse man alles neu und zum ersten Mal so machen. Ich halte das aber für unmöglich. Den so schillernden neuen Ideen in Bezug auf die Organisation der Arbeit steht oft ein ziemlich gewöhnliches Produkt gegenüber.
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Über die NWXnow
Wer mehr von Dr. Frank Berzbach erfahren möchte, sollte am 26.10.2020 bei der NWXnow vorbeischauen.
Mit unserer neuen digitalen Formatreihe NWXnow, die in diesem Jahr an die Stelle unserer physischen Events NEW WORK EXPERIENCE & NEW WORK SESSIONS getreten ist, haben wir auch ein neues Format für unser bisheriges Partner-Event NEW WORK SESSIONS ORGATEC gestaltet, das in diesem Jahr nicht wie geplant im Rahmen der Fachmesse ORGATEC stattfinden konnte. Gemeinsam mit XING, dem IBA (Industrieverband Büro und Arbeitswelt) und der Koelnmesse haben wir ein zweiwöchiges NWXnow ORGATEC SPECIAL aufgesetzt. Es widmet sich der alles verändernden Situation, die unsere Arbeit, unsere Räume und Begegnungen neu definiert.
Unter dem Themendach „Das neue Miteinander: Menschen. Räume. Interaktion.“ sprechen im Zuge dieses Specials hochkarätige und inspirierende Gäste mit dem Moderator und Kabarettisten Florian Schroeder über eine Arbeitswelt, die neue Formen, Regeln und Rituale entwickelt. Das Digital-Special wird auf den Seiten der NWXnow und dem IBA Forum zu sehen sein – und ist selbst eine dieser neuen Interaktionsformen, die entstehen.
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