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Agilität und öffentliche Verwaltung – passt das zusammen?

Die digitale Transformation auf der einen Seite, eine steigende Anspruchshaltung von Bürgerinnen und Bürgern auf der anderen: Verwaltungen stehen aktuell unter hohem Handlungsdruck. Viele Behörden reagieren und erproben in Experimentierräumen neue Arbeits- und Organisationsformen – von agilen Methoden bis hin zu neuen Weiterbildungsformaten.

Bei den Schlagwörtern Agiles Arbeiten und Design Thinking denkt man nicht sofort an Städte wie Karlsruhe, Heidelberg und Essen, an das Bundesverwaltungsamt oder den Landkreis Soest. Genau hier aber werden diese Ansätze seit einiger Zeit umgesetzt oder derzeit erprobt. Im INQA-Experimentierraum „AgilKom – Agile Kommune“ testet die FOM-Hochschule Essen, welche agilen Methoden aus dem Privatsektor für die öffentliche Verwaltung geeignet sind. Anhand von Methoden wie Design Thinking, Kanban oder Scrum sollen neue Dienstleistungen, zum Beispiel der digitale Antrag für den Personalausweis, sowie eine neue Führungskultur entwickelt werden. Die in den Pilotbehörden gesammelten Erfahrungen werden auch anderen öffentlichen Institutionen zur Verfügung gestellt.

Das INQA-Projekt „FührDiv – Führung in der digitalisierten öffentlichen Verwaltung“ erprobt in mehreren Pilotorganisationen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene neue Formen von Führung, Zusammenarbeit und Beteiligung. Wichtigste Erkenntnis: Bei vielen Digitalisierungsprojekten wird das Thema Führung und Personalentwicklung zugunsten von IT- und Organisationsthemen vernachlässigt. Dabei bedarf es gerade eines umfassenden Führungs- und Kulturwandels. Kommunikation und Beteiligung sind der Schlüssel für erfolgreiche Digitalisierungsprozesse. Beteiligung meint die frühzeitige Einbindung und Mitwirkung von Personalrat, Führungskräften und Beschäftigten.

Eine Handlungshilfe skizziert, wie die Institutionen vorgegangen sind und was sich daraus lernen lässt. Zudem wurden im Projekt neue Ideen und Tools entwickelt wie Dienstvereinbarungen mit Experimentierklauseln, Innovations-Labs, ein „Agiler Kulturcheck“, ein Leitfaden zur Arbeit in virtuellen Teams oder eine Prozessbegleitung für die Verwaltung zur Weiterentwicklung von Organisations- und Führungskultur.

Auch andere Verwaltungen sind mitten im Experimentieren. So hat die Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit einen „Erlebnisraum Führung“ eingerichtet. Hier haben Führungsteams die Möglichkeit, in einem unkonventionellen Rahmen ihre Kommunikation und Zusammenarbeit zu reflektieren, sich inspirieren und begleiten zu lassen. Dazu gehören ungewöhnliche Aufgaben wie das Bauen einer Reaktionsmaschine mit Metall und Holz. Die Teilnehmenden arbeiten dabei in Kleinteams, die sich koordinieren müssen. Das ermöglicht tiefe Einblicke in das Teamverhalten und liefert Rückschlüsse für den Arbeitsalltag.

Wie der „Erlebnisraum Führung“ funktioniert, darüber spricht Michael Pirkl, Leiter der Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit:

Die Hansestadt Bremen rief den Innovationszirkel „Junge Verwaltung“ ins Leben und ließ dabei junge Verwaltungsbeschäftigte aus verschiedenen Dienststellen ämterübergreifend Zukunftsideen entwickeln, etwa zu flexibleren Arbeitszeiten und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Die Stadtverwaltung Karlsruhe entwarf ein Konzept für eine „Quervernetzte Verwaltung“. Um die Abläufe in den Ämtern effektiver zu gestalten, sollten Entscheidungswege abgekürzt und bei öffentlichen Planungen die Bürgerinnen und Bürger sowie Interessengruppen besser einbezogen werden.

Beim öffentlichen IT-Dienstleister Dataport wird nach dem Prinzip „Lernen durch Erleben“ auf Agilität umgestellt. Führungskräften und Mitarbeitenden werden spielerisch agile Methoden vermittelt. Die Annahme: Das Lernen ist so deutlich effektiver als in einer theorielastigen Schulung, sodass eine echte Verhaltensänderung möglich wird.

Das Bundesverwaltungsamt (BVA) setzt auf eine hierarchiefreie Ideenwerkstatt. Alle Mitarbeitenden konnten ihre Themen einbringen. Anschließend wurden diese priorisiert, von einem Kernteam Maßnahmen entwickelt und in Pilotprojekte gegossen. So entstanden unter anderem zwei Kreativräume, in denen mit innovativen Methoden gearbeitet werden kann. „Auf Augenhöhe miteinander zu arbeiten funktioniert. Jede Idee wird gewürdigt, ernstgenommen und abgewogen“, so Sabine Lang, Leiterin des Leitungsstabs Strategische Steuerung des BVA.

Einen sektorübergreifenden Weg geht das INQA-Förderprojekt „Virtueller Experimentierraum 5.0“. Unternehmen, Institutionen und Behörden suchen dabei gemeinsam nach Lösungen, wie die Zusammenarbeit im Betrieb verbessert werden kann – von der Hotellerie über die Baubranche bis zur Stadtverwaltung. Zum Einsatz kommen Interviews, Workshops mit vernetzten Laptops sowie eine gemeinsame Internetplattform.

Da die Digitalisierung von den Beschäftigten vor allem lebenslanges Lernen und ein agiles Mindset verlangt, setzt der INQA-Lern- und Experimentierraum „ALLE im digitalen Wandel“ auf informelles Lernen, vor allem auf neue Weiterbildungsformate und Tools wie Scrum oder Effectuation. Denn klassische Schulungen oder Lehrgänge sind, so die These dahinter, den Folgen der digitalen Transformation nicht gewachsen. „Wir brauchen eine stärkere Probier- und Testkultur des Lernens“, erklärt Prof. Dr. Werner Stork aus dem Projekt. Auf diese Weise sollen Unternehmen und Verwaltungen besser auf Veränderungen reagieren und die Arbeit von morgen mitgestalten können.

Im Interview erläutert Prof. Dr. Werner Stork, Professor für Organisation und Management der Hochschule Darmstadt und Projektbeteiligter, warum sich Organisationen Veränderungen stellen müssen und informelles Lernen besonders geeignet ist:

Service-Info: Mit dem Webportal experimentierraeume.de bietet das BMAS eine Plattform, auf der Unternehmen und Verwaltungen durch inspirierende Beispiele Impulse erhalten, um neue Wege in Richtung Arbeitswelt der Zukunft zu gehen. In einer regelmäßigen Artikelreihe werden ausgesuchte Beispiele der Experimentierräume hier auf unserer Themenseite „New Work News“ vorgestellt.

NWX – New Work News schreibt über Alles zur Zukunft der Arbeit

Alles zur Zukunft der Arbeit: Auf dieser News-Seite finden alle New Work-Interessierten multimedialen Content rund um das Thema. Neben Experten-Interviews, Debatten, Studien, Tipps und Best Practices, erwarten die Leser auch Video- und Podcastformate. Und natürlich ein Überblick unserer gesamten New Work Events, die mehrmals im Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum stattfinden. Weitere spannende Inhalte zum Thema New Work finden Sie auf: nwx.new-work.se

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