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Should I stay or should I go? ©getty/westend61

Ansage von oben: Länger schuften bei gleicher Bezahlung? Diese Klausel in Deinem Vertrag besagt, ob das zulässig ist.

Ob Dein Arbeitgeber Dich auffordern kann, bei gleicher Bezahlung länger zu arbeiten, hängt von der Ausgestaltung Deines Vertrages ab. Bis zu 25 Prozent Mehrarbeit ist dabei möglich.

Frage der Woche:

Ich wurde von meinem Chef aufgefordert, ab sofort fünf Arbeitswochenstunden zusätzlich zu arbeiten. Ist das rechtens und wie reagiere ich am besten?
Sonja, XING Leserin

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Julia Bruns ist Unternehmensberaterin und Expertin für Mitarbeiterbindung - ©KABR
Julia Bruns ist Unternehmensberaterin und Expertin für Mitarbeiterbindung - ©KABR

Liebe Sonja,

Niemand macht gerne Überstunden. Ich verstehe daher gut, dass die Aufforderung zur Mehrarbeit ohne zusätzliche Vergütung zunächst einmal auf wenig Gegenliebe trifft. Damit bist Du nicht allein und solltest den Vorgang gründlich prüfen.

Darf der Arbeitgeber aus rechtlicher Sicht die Arbeitswochenstundenanzahl einfach so anpassen?

Die Arbeitswochenstundenzahl wird in Deutschland vom Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sowie der europäischen Richtlinie 2003/88/EG. geregelt. Grundsätzlich wird diese im Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden vereinbart. Zwar verfügen Arbeitgebende über ein Direktionsrecht, aber zur einseitigen Anpassung sind sie nicht berechtigt. Je nach Vertrag bleibt dem Arbeitgeber jedoch Spielraum. Beispielsweise ist die flexible Erhöhung der Arbeitszeit von bis zu 25 % bei einer vorhandenen Formularklausel im Arbeitsvertrag möglich* - sogar, wenn es sich um eine dauerhafte Lösung handeln soll. Aber nur dann, wenn eine entsprechende gültige Klausel im Vertrag zu finden ist.

Etwa: „Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach den betrieblichen Anordnungen. Sie werden vom Arbeitgeber im Rahmen des Direktionsrechts festgesetzt.“

Oder auch: „Bis zu XY Überstunden monatlich sind pauschal mit der Bruttovergütung gemäß §XY dieses Vertrages abgegolten.“

Nicht zu verwechseln mit: „Mit der Arbeitsvergütung sind etwaige Überstunden abgegolten.“ Diese Klausel wäre ungültig, weil sie zu ungenau ist.

Auch wenn eine gültige Klausel vorliegt, haben Arbeitgebende natürlich die Interessen der Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen, außerdem dürfen die Höchstgrenzen des Arbeitszeitgesetzes nicht überschritten werden. Was aber ist “angemessen"? Das muss von Fall zu Fall unterschiedlich entschieden werden. Wenn eine alleinerziehende Mutter plötzlich Mehrarbeit leisten soll, obwohl sie eigentlich zu Hause die Kinder beaufsichtigen müsste, würde der Arbeitgebende damit nicht durchkommen.

Zudem riskieren Unternehmen, die zu solchen Maßnahmen greifen, massive Nachteile in Form von Fluktuation, inner- und außerbetrieblichen Diskussionen oder gesundheitlichen Folgen für Mitarbeiter·innen und Führungskräfte.

Der erste Schritt, wenn Mehrarbeit angekündigt wird

Gründe, dass Arbeitgeber·innen die Arbeitsstundenwoche erhöhen möchten, gibt es viele. Je nach Branche kann es in Krisenzeiten notwendig sein, Mehrarbeit einzufordern. Für die Arbeitnehmer•innen wird es bitter, wenn diese Leistung auch noch unentgeltlich erfordert wird.

Ich empfehle in diesem Fall, sich alle betrieblichen Gegebenheiten vor Augen zu führen. Ist die Mehrarbeit nur für einige Wochen oder unbefristet? Wie ist das Arbeitsklima sonst? Wie ist die Wertschätzung für die Arbeitskräfte in der Vergangenheit gewesen, wird ein respektvoller Umgang gelebt?

Kannst Du diese Fragen überwiegend positiv beantworten und bist Du grundsätzlich zufrieden im Unternehmen, empfehle ich als erstes ein Gespräch mit der direkten Führungskraft. Gibt es etwa Möglichkeiten, anstelle einer Vergütung andere Incentives erhalten zu können?

Ist die Stimmung im Unternehmen aber eher schlecht, die Unternehmenskultur veraltet, und sollten Aufforderungen wie die obige öfter vorkommen, ist die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz langfristig empfehlenswert. Ansonsten leidet am Ende Deine Gesundheit.

Ob es Dir besonders schwer fällt, den Job zu kündigen, ist eine Frage Deiner Persönlichkeit. In allen Fällen gilt: Gibt es einen Betriebsrat, mit dem dieses Thema besprochen werden kann? Dann solltest Du das tun.

Du kannst auch einen Anwalt für Arbeitsrecht eingeschalten, aber das könnte als Eskalation verstanden werden und einen unangenehmen Streit auslösen. Dein Ziel sollte zuerst immer die direkte Kommunikation mit der Führungskraft sein.

Die Zukunft der Arbeitsstundenwoche

Zum Schluss habe ich noch einen Tipp für Dich: Nutze die aktuelle Diskussion in der Öffentlichkeit über die 4-Tage-Woche für Deine Argumentation. Im vergangenen Jahr wurde etwa eine Studie aus Island veröffentlicht, die zeigt, dass durch eine 4-Tage Woche die Produktivität steigt, während die Krankheitstage sinken. Umso überraschter war ich, als kürzlich BDI-Chef Siegfried Russwurm forderte, die Arbeitsstundenwoche in Deutschland auf 42 hochzufahren. Ich persönlich halte das für keine gute Idee und würde jeder Firma davon abraten, weil ich es als Rückschritt auf dem Weg in eine moderne Arbeitswelt sehe.

Liebe Grüße

Julia Bruns

Hast Du schon so eine Anfrage von Deinem Arbeitgeber erhalten? Teile deine Erfahrungen in den Kommentaren

Wer schreibt hier?

Julia Bruns ist Unternehmensberaterin und berät Firmen hinsichtlich nachhaltiger Mitarbeiterführung. Ihre Konzepte befassen sich insbesondere mit Mitarbeiterloyalität. Vom Bewerbungsprozess bis zur Verabschiedung eines oder einer Angestellten, bewertet Bruns alle Prozesse zur Mitarbeitergenerierung und -haltung.

Weiterführende Links zum Thema:

📖 Arbeitsrecht: Diese Überstundenregeln solltest Du kennen

📖 Überstunden reduzieren – So klappt's ohne Karriereknick

📖 25, 36 oder 42 Stunden – was bringt Unternehmen jetzt weiter?

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