Diese mentalen Tools brauchen wir, um ohne Angst in die Zukunft zu blicken
Ben Hammersley, einer der weltweit führenden Futuristen, ist Gründer und Direktor von Hammersley Futures, einer internationalen Beratungsgesellschaft für strategische Prognosen.
Für die Zukunft brauchen wir viel Humor und wenig Nostalgie
Ben, du bist als Futurist in der Lage, strategische Prognosen für deine Kunden zu stellen. Auf wie viele Jahre ist so eine Voraussage seriös?
Ben Hammersley: Das ist eine wichtige Frage. Bei Demografie und bestimmten Megatrends wie Urbanisierung können wir vielleicht auf 15 oder 20 Jahre vorausschauen. Für soziale Bewegungen und geopolitische Trends denke ich, gilt eine Zeitspanne von 10 Jahren. Aber über Technologie, Verbraucherverhalten, Wahlverhalten und alles, was sich auf Kultur oder Mode bezieht, spreche ich nie mehr als 2 Jahre im Voraus. Was soziale Veränderungen betrifft, die durch Technologie hervorgerufen werden, wäre selbst das gewagt.
Allerdings sind die Prognosen, die ich stelle, keine Aneinanderreihung vorausgesagter Fakten, sondern eher ein Verständnis für die Impulse aufkommender weltweiter Strömungen. Ich würde dabei nie über ein konkretes Objekt sprechen – ein selbstfahrendes Auto beispielsweise. Aber ich spreche sehr wohl über die Dynamik, die in den Technologien steckt, welche die Voraussetzungen erzeugen, dass ein Auto überhaupt autonom fahren kann. Und dann denken wir darüber nach, was diese Ressourcen meinen Kunden für Möglichkeiten eröffnen würden. Ich glaube, das ist viel wirkungsvoller als über Jetpacks zu debattieren.
Du unterstreichst in deinen Vorträgen, dass sich die Entwicklung von Technologie, Gesellschaft und Kultur nicht unabhängig voneinander betrachten lässt. Welche dieser drei Säulen wird am meisten vernachlässigt, wenn Unternehmen oder Organisationen strategische Entscheidungen treffen?
Nach meiner Erfahrung ist es der soziale Aspekt, der vernachlässigt wird. Der Blick darauf, wie die Gesellschaft auf eine neue Technologie reagiert und was durch sie möglich wird. Vor allem, wenn wir mit den Führungskräften eines Unternehmens über Gesellschaften sprechen, die sich kulturell unterscheiden – geografisch, nach Alter, Einkommen oder Glauben. Menschen tun sich schwer damit zu begreifen, dass andere Menschen auch Menschen sind.
Welches sind nach deiner Ansicht die 5 einschneidendsten Änderungen in der Arbeitswelt der nächsten Jahre?
Es ist einfach unmöglich, das auf fünf universelle Themen einzugrenzen. Für jedes Land, jede Branche gelten ja andere Bedingungen. Für einige Standorte liegen die einschneidendsten Änderungen in der Pensionierung der letzten Non-Digital Natives oder im Schwund von Talenten aufgrund engstirniger nationalistischer Politik. Woanders wiederum liegen die größten Herausforderungen im Machine Learning oder in den Gesetzen, die zur Abschwächung des Klimawandels erlassen werden.
Die Frage ist unmöglich universell zu beantworten, und das ist ein ganz wichtiger Aspekt: Wir verbringen zu viel Zeit damit, uns über Dinge wie Künstliche Intelligenz Sorgen zu machen, wenn doch die größte Sorge für dein Unternehmen vielleicht gerade ist, dass du kein gutes Personal bekommst, weil du nicht anbietest, wonach die Veränderung in der Gesellschaft verlangt. Elternzeit zum Beispiel, oder, viel wahrscheinlicher, Freistellungsmodelle für Mitarbeiter, die sich gleichzeitig um Kinder und ihre alten Eltern kümmern müssen.
Ist die Gesellschaft/Politik schon bereit für solche Entwicklungen, die du genannt hast?
Nein.
Gibt es Länder, die in einem oder mehreren Punkten Vorreiter sind?
Natürlich, nahezu jedes Problem wurde woanders schon gelöst. Das Ding ist, dass diese Lösungen in einem völlig anderen Kontext entstanden sind – politisch, sozial, kulturell, finanziell und so weiter. Wir wissen, dass zum Beispiel China im Mobile Commerce hervorragend dasteht, Estland ist großartig im Bereich Digital Government und Amsterdam ist auf dem besten Wege, die Rangliste lebenswerter Städten anzuführen. Aber deren Lösungen würden nicht überall funktionieren, wahrscheinlich nicht mal irgendwo anders. Wir müssen von ihnen lernen und dann die Veränderungen regional anpassen.
Wie kann sich jeder einzelne von uns – ob als Unternehmer oder als Mitarbeiter – auf die bevorstehenden Neuerungen einstellen?
Als erstes muss man akzeptieren, dass Veränderungen unvermeidlich sind. Es hilft absolut nicht, sich gegen diese Tatsache zu sträuben. Mach es dir zur Gewohnheit, kleine Verbesserungen an deinem Arbeitsstil und Arbeitsumfeld vorzunehmen. Am wichtigsten ist es anzuerkennen, dass es immer Veränderungen geben wird. Das sind keine Anpassungen, die wir einmal machen und dann vergessen können. Wir müssen erkennen, dass ständiger Wandel der einzige Weg ist, um beständig zu bleiben.
Welche Skills und mentalen Tools benötigen wir, um gewappnet zu sein und der Zukunft ohne Angst entgegen zu blicken?
Einen ausgeprägten Sinn für Humor und einen völligen Mangel an Nostalgie. Es hilft auch, schnell tippen zu können.
Werden wir letztendlich in 5 oder 10 Jahren mehr Freizeit haben als heute – oder noch weniger?
Ich denke, das suchst du dir dann selbst aus.
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