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Frithjof Bergmann im Interview: "Es ist jetzt nötig wirklich neu zu denken."

Er gilt als Erfinder des New Work Konzepts. In den USA der 1970er Jahre hat er den Begriff geprägt – die Zukunft der Arbeit ist für den Philosophen Prof. Dr. Frithjof Bergmann immer noch eine Herzensangelegenheit. Im Interview mit Marc-Sven Kopka und Astrid Maier spricht der 90-Jährige über seine ursprünglichen Ideen zur Neuen Arbeit, über die Chancen und Herausforderungen, die wir uns in dieser Krise von China und von den USA abschauen können, und teilt mit uns seine Vision einer neuen Art von Bildung.*

Marc-Sven Kopka: 1984 bereits hast du das Buch geschrieben „Neue Arbeit, neue Kultur“. Du bist der Urvater, man könnte auch sagen der Gottvater der Idee des New Work. Damals hast du das System entwickelt, in mitten einer der schwersten Krisen der Automobilindustrie. Der Kontrast hätte kaum größer sein können, deine Antwort darauf war „Tue was du wirklich, wirklich tun willst.“

Nicht nur darin sondern auch in Sachen Technologie, Globalisierung warst du deiner Zeit Jahrzehnte voraus. Heute sind deine Ideen aktueller denn je. Du inspirierst immer mehr Menschen, warst auch zu Gast auf unserer New Work Experience, du bist ein Philosoph Frithjof Bergmann, Frithjof ich bin total froh, dass wir mit dir sprechen können.

Frithjof Bergmann: Ganz meinerseits, ich bin total froh, dass ich mit euch sprechen kann und dass ihr mit mir Geduld habt.

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Marc-Sven Kopka: Die werden wir definitiv gerne haben. Frithjof bereits in den 70er hast du begonnen dich mit dem Thema zu beschäftigen und wie gesagt in Mitten einer der größten Krisen der Automobilindustrie, hast du über New Work begonnen nachzudenken und dieses Konzept entwickelt. Wie kam das damals und welche Parallelen siehst du zur heuten Krise?

Frithjof Bergmann: Also erstens möchte ich betonen, dass sehr viele von meinen Freunden – guten Freunde – eben zu der Zeit, die du jetzt ansprichst, gesagt haben: „Um Gottes willen du hast doch eine so rasante Karriere in Universitäten und in der Philosophie und in all dem gehabt, vergiss die Arbeit! Arbeit ist kein Thema, Arbeit ist überhaupt nichts, das irgendjemanden interessieren könnte.“ Und man hat versucht mir das alles auszureden, aber ich habe mich dagegen gewährt, also schon zu dieser frühen Zeit und habe behauptet, dass ist alles scheinbar, es wird sehr anders werden und Arbeit wird ein ganz wichtiges Thema werden.

Das ist vielleicht bisschen anders als in Deutschland, aber auf jeden Fall ... hier in Amerika, in Michigan, wurde es langsam deutlich, dass uns sehr große Entlassungen bevorstehen würden. Das wurde nie wirklich offiziell bekannt gemacht, aber es wurde dann deutlich, dass sehr viel Entlassungen anstanden und darauf hatte ich eine ganz einfache Antwort gehabt. (...)

Trotz der großen Entlassungen – und gerade wegen den großen Entlassungen – musste man jetzt ganz betont die Arbeit im Betrieb machen, die man noch machen kann. (...) Das war der erste Einstieg in den Begriff der Neuen Arbeit. Wenn ich das sagen darf, ohne pompös und arrogant zu klingen: Es war schon eine meiner Ideen zu sagen (trotz der großen Entlassungen) wir machen es jetzt so, dass ihr eine Hälfte der Arbeit im Betrieb weiter macht und die andere Hälfte, der entscheidende Schritt, (...) in der anderen Hälfte, könnt oder solltet ihr das machen – wir werden euch unterstützen darin, das zu machen – was ihr wirklich, wirklich wollt. Und das doppelte "wirklich" hat von Anfang an eine ganz zentrale Rolle gespielt. Da entstand in Flint das erste Zentrum für Neue Arbeit. Darf ich noch weiterreden oder soll ich den Mund halten?

Marc-Sven Kopka: Du darfst gerne weiterreden, ich würde vielleicht noch eine Überleitungsfrage stellen wollen. Wenn ich darf? Wir erleben ja momentan wieder eine schwere Krise, eine weltweite Wirtschaftskrise. Viele Beobachter sagen, die schwerste Krise seit 1929. Wir erleben in vielen Betrieben, dass auf einmal ganz anders gearbeitet wird. Home-Office, Flexibilität und so weiter möglich ist, gleichzeitig besteht natürlich auch die Gefahr das Unternehmen, gerade angesichts der Tatsache, dass sie sozusagen entscheiden können, wer jetzt die weinigen oder weniger werdenden Jobs bekommen, in alte Muster zurückfallen. Wie beurteilst du die gegenwertige Krise? Ist sie eine Chance für New Work oder siehst du sie eher pessimistisch?

Frithjof Bergmann: Nein, ich sehe es sehr positiv. Also ich bin ja ein pathologischer Optimist und es scheint mir deutlich, dass sehr viele Menschen jetzt, eben wegen der Krise (...) nach etwas Neuem suchen. Und es ist eine große Überraschung für mich, dass die sogenannte „Neue Arbeit“ jetzt recht bekannt geworden ist. (...) Mein Eindruck ist – der kann falsch sein – dass in Deutschland alles viel sanfter abgelaufen ist, als in (...) anderen Ländern. Also auch Spanien, Italien und selbstverständlich Amerika. In Amerika sieht es grausig aus, scheußlich aus, aber das ist eine große, offene Tür für die Neue Arbeit – nie war das Verlangen nach etwas Neuem so deutlich wie jetzt.

Vorher waren die Menschen eigentlich so bisschen in der Stimmung „So, so dringend ist es ja nicht und wir brauchen das vielleicht doch nicht“ und das ist jetzt alles weg. Jetzt ist es deutlich geworden, auch in Michigan, auch in Amerika, dass etwas Neues absolut erwünscht ist. (...) Ich habe nicht erwartet, dass die Neue Arbeit so bekannt werden würde, aber jetzt habe ich den Eindruck, dass die Neue Arbeit in vielen Ländern – auch in Spanien, auch in Portugal aber eben auch in Deutschland und in Österreich – viel bekannter geworden ist, als ich es je erwartet habe.

Ich erlebe mein eigenes Leben zum großen Teil tatsächlich als eine Reihe von Überraschungen und das ist jetzt die letzte große Überraschung. Ich bin jetzt beinahe 90 Jahre alt und das merkt man mir wahrscheinlich an. Aber ich kann noch immer einigermaßen vernünftig denken und mir ist es jetzt sehr klar, sehr, sehr klar – das würde ich wirklich unterstreichen und betonen – dass das Verlangen nach etwas Neuem, noch nicht Dagewesenen eben wegen dieser Krankheit so deutlch ist, dass ich sehr, sehr beschäftigt bin. Und das ist natürlich in meinem Alter eine große Freude, wenn man nicht schon zum alten Eisen gehört, sondern unter Umständen etwas zu sagen hat, was sich eignet. (Und dass die Menschen) jetzt viel, viel mehr die Neue Arbeit haben wollen (...). Ich will nicht das Gespräch führen, ich will nur versuchen euch vernünftige Antworten zu geben, was mir sehr schwerfällt.

Astrid Maier: Wir versuchen natürlich auch vernünftige Fragen zu stellen. Wenn ich dich kurz unterbrechen darf. Du hast dich ja schon sehr früh mit beispielsweise Tech-Unternehmen im Silicon Valley auseinander gesetzt und da glaube ich auch zum ersten Mal Programmierer kennengelernt, die damals schon in den 80er selbstbestimmt gearbeitet haben und ich glaube das hat dich damals, zumindest habe ich das in deinem Buch nachgelesen, sehr inspiriert zu sagen, dass auch eine neue Form der Arbeit möglich ist. Du hast jetzt gesagt, in dieser Krise, überrascht es dich, dass New Work so breit angekommen ist in der Masse. Über welche Art von Unternehmen bist du vielleicht am meisten überrascht, dass die jetzt auch so offen sind über diese neue Art Arbeit zu denken?

Frithjof Bergmann: Das ist eine sehr markante Frage, eine sehr wichtige Frage. Wenn ich das sagen darf, ohne arrogant zu klingen, ganz am Ursprung war ich eigentlich so bisschen Zuhause mit Google und Google war damals eine ganz kleine und unwichtige Sache, die ganz am Anfang stand. Aber ich habe damals in Stanford unterrichtet und Google war sozusagen vor der Tür in Stanford, im Silicon Valley. Und ich hoffe ich darf das sagen, ohne arrogant zu klingen, Google hat schon einiges gleich am Anfang von der Neuen Arbeit abgeguckt oder nachgemacht oder bei sich eingeführt.

Am deutlichsten war die Tatsache, dass Google den Leute an den Freitagen die Möglichkeit gegeben hat (...) ihre eigene Arbeit, ihre eigenen Ideen zu erfüllen. Das hat sich, leider Gottes, nicht die ganze Zeit gehalten, aber zum Teil besteht das schon noch. (...) Auf jeden Fall, ich hatte am Anfang ein recht intensives Verhältnis zu Google, weil die haben, auf gut Deutsch, wenige der Ideen, an denen ich schon längst gekaut hatte, bei sich eingeführt. Also ganz besonders und das wurde sehr bekannt, der Freitag. Am Freitag haben die Leute etwas tun können, was sie wirklich, wirklich wollten. Da wurde sogar bei Google wirklich, wirklich, mitgeredet. Das hat also eine wirkliche Rolle gespielt.

Es gibt auch noch Ansätze jetzt bei Google. Ich hab da schon Gespräche, aber ich will nur um Gottes willen nicht irgendwie was in Anspruch nehmen, aber – ja es stimmt, dass bestimmte Ideen, die mit der Neuen Arbeit verstanden und verknüpft sind, bei Google sehr früh angekommen sind. So früh, dass sie jetzt nicht mehr ganz da sind. Darf ich das so sagen?

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Marc-Sven Kopka: Sicher. Der Kernsatz deiner Philosophie ist ja tun was du wirklich, wirklich tun willst und du beschreibst und hast in verschieden Interviews immer gesagt, dass viele Menschen schwer finden herauszufinden, was sie denn überhaupt tun wollen. Jetzt erleben wir eine Situation, von der du selber sagst, viele Menschen suchen nach Orientierung, nach Sinn und stellen sich die Frage, was will ich denn wirklich machen? Diese Krise ist eine Umbruchzeit und in der orientiere ich mich neu. Was würdest du empfehlen, wenn jemand sagt: „Ich weiß gar nicht genau was ich will, wie finde ich heraus was ich wirklich, wirklich will?“

Frithjof Bergmann: Das ist eine Frage, die ich immer wieder versucht habe zu beantworten. Es ist mir absolut klar und das ist auch, wie soll ich sagen, es hat sich wiederholt und noch wiederholt, dass viele Menschen tatsächlich keine Ahnung haben, was sie wirklich, wirklich wollen.

(...) Also erstens betone ich für alle Leute, dass, wenn man nicht weiß, was man wirklich, wirklich will, das ist nicht eine Ausnahme. Das ist das allgemeine menschliche Erlebnis. Die meisten Menschen haben keine Ahnung. (...) Viele Leute haben mir das entgegengebracht, dass in unserer Kultur, so wie sie jetzt ist – und ich glaube das stimmt eigentlich für die meisten Kulturen: Die Frage "Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?" wird kaum gestellt. Im Gegenteil, man wird von allen von Anfang an darauf eingerichtet, dass man nicht fragt, was man wirklich, wirklich will.

Die Frage 'Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?' wird kaum gestellt. Im Gegenteil, man wird von allen von Anfang an darauf eingerichtet, dass man nicht fragt, was man wirklich, wirklich will.
Prof. Dr. Frithjof Bergmann

Sondern, dass man das tut was einem vorgeschrieben wird. Auf eine Art oder die andere Art. Das kann vom Lehrer, das kann von dem Pfarrer, dass kann von allen möglichen Seiten herkommen. (...) Schon in den 70er Jahren hat man mir gesagt "Niemand hat mich je im Leben gefragt, was ich wirklich, wirklich will. Sondern genau das Gegenteil. Und ich habe mir immer gesagt „Du musst das tun, was die Lehrer sagen, was die Pfarrer sagen, du musst das tun, was überhaupt gang und gäbe ist und was Mode ist." Die Frage (...) war für Menschen nicht nur neu, sondern auch irgendwie bewegend und erschütternd. (...)

Automobilarbeiter, mit denen ich mich unterhielt und gute Freundschaften (pflegte), haben oft – mit all ihren Tattoos, die sie über den ganzen Rücken und bis hinunter zum Hintern hatten – die haben sich sehr darüber gewundert, dass jemand jetzt die Frage stellt „Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?“ (...) Das war etwas ganz Neues und Ungewöhnliches und genau das Gegenteil von dem, was sie ihr ganzes Leben lang eingetrichtert bekamen, nämlich "Frage nicht nach dir, sondern nach dem, was von dir verlangt und erwartet wird."

Astrid Maier: Frithjof hast du denn das Gefühl, dass sich über die letzten Jahrzehnte da vielleicht auch Wertewandel vollzogen hat? Viele Arbeitgeber gerade, haben das Gefühl, dass insbesondere junge Leute sehr wohl wissen was sie wirklich, wirklich wollen. Sie möchten Beispielsweise im Einstellungsgespräch schon ein Sabbatical aushandeln und sind sehr viel mehr darauf betont auch ein gutes Leben zu führen. Hat sich das für dich in deiner Wahrnehmung auch über die Jahrzenten was zum Positiven vielleicht auch verändert?

Frithjof Bergmann: Absolut! Sogar deutlich und sehr. Ich glaube die ganze Kultur hat sich etwas geändert, in der Richtung, dass junge Menschen – auch in Amerika und in Michigan, wo ich lebe – sich jetzt die Frage stellen „Was ist es, was ich wirklich will?“ und das hat sich eingebürgert. Es ist nicht mehr merkwürdig und neu, sondern im Gegenteil, es ist etwas, das viele Menschen als maßgeschneidert erleben. (...) Ich glaube die Kultur hat sich geändert. (...)

Astrid Maier: Wenn es diesen Wandel gibt, wenn er in der Gesellschaft da ist – und jetzt wird er sehr durch diese Corona-Krise "disrupted" – Was können wir denn tun als Gesellschaft um uns trotzdem diesen Geist zu behalten und nicht zurück in alte Muster zu verfallen, weil jetzt die Arbeitgeber wieder am längeren Hebel sitzen?

Frithjof Bergmann: Was können Sie tun? Wenn ich das sagen darf, wahrscheinlich absurd und arrogant – sie könnten sich bisschen vertraut machen mit der Neuen Arbeit.

Die Neue Arbeit gibt Anweisungen dafür. Also zum Beispiel auch in dem ursprünglichen dicken Buch, das 400 Seiten beinahe lang war, sind lange Kapitel darüber, wie man rausbekommt was man wirklich, wirklich will. Mein Rat an Leute ist – und ich weiß, das ist irgendwie unverschämt – dass es nicht so blöd wäre mal etwas zu lesen, was dieser Frithjof Bergmann geschrieben hat, wie man das wirklich, wirklich Wollen rausbekommt.

Marc-Sven Kopka: Aber wenn er jetzt keine Zeit für 400 Seiten hat, was würdest du jemandem empfehlen, der dieses Interview jetzt sieht?

Frithjof Bergmann: Vor allem viel ausprobieren. Also um Gottes willen, nicht annehmen, dass man schon weiß, was man wirklich, wirklich will. (...) Das ist in unserer Kultur eingebaut, dass die Menschen nicht die Frage stellen, was ich wirklich, wirklich will. Sondern die Menschen werden anpasst an das, was irgendwie von ihnen erwartet wird.

Im Augenblick bin ich besonders interessiert an China und lese allmöglichen Bücher über China. Und in China ist es natürlich noch deutlicher, (...) dass man sich an der Gruppe orientiert, an der Familie orientiert. Das, was wir mit Individualismus stehen, ist in China noch sehr unterbetont obwohl man jetzt von der zweiten Revolution nach Mao spricht. Ich habe eine Menge Studenten, die Chinesen sind und für die ist es schwierig sich die Frage zu stellen „Was ist es, was du wirklich, wirklich willst“. Also es ist im Grunde etwas, womit man umgehen muss. Man muss viele Fragen immer wieder wiederholen und immer wieder sehen: "Ist es das, was ich wirklich, wirklich will oder ist das nochmal eine Ausrede, eine Entschuldigung, ein Zudecken von dem was ich wirklich, wirklich will?"

Marc-Sven Kopka: Also ich verstehe du sagst viel Ausprobieren, auf sich hören, hinhören und spüren wann ich gefunden habe was ich wirklich, wirklich tun will.

Frithjof Bergmann: Ja. Es gehört schon eine gewisse Unverfrorenheit dazu, eine gewisse Unverschämtheit ist vielleicht das bessere Wort. Dass man sich daran gewöhnt, dass man sich selber sehr zuhört.

Ich war lange Zeit oft in Indien und habe gedacht in Indien wird die Neue Arbeit überhaupt nicht ankommen. Aber ich habe mich sehr geirrt. Viele Leute in Indien, zum Teil unter dem Einfluss von Gandhi, haben sehr betont, dass sie versuchen, (...) in sich selbst hinein zu hören. Das ist eine Art, die Frage zu beantworten, wie bekomme ich raus was ich wirklich, wirklich will. Das heißt versuche sehr in dich hinein zu hören, versuche so in dich hineinzuhören, dass endlich eine Stimme von dir nach vorne tritt und dir eine Stimme von Innen, tief drinnen von deinem Herzen sagt was du eigentlich willst und habe den Mut das zu erkennen.

Was mich besonders betrifft, ist dass die meisten Leute diese Phrase „tue was du wirklich willst“ gehört haben, aber sie im Grunde genommen viel zu leicht nehmen. Es ist einfach eine Ausrede, es wird nicht ernstgenommen ,wirklich in sich hinein zu hören und sich zu fragen, was ist es was ich, nicht jemand anderes, nicht der Lehrer, nicht der Pfarrer, nicht die Gesellschaft, nicht die Mode will. All das versuche ich – „weg, weg, weg damit“ – ich versuche es herauszubekommen, was ich persönlich tatsächlich wirklich will.

Das ist für die meisten Menschen ein bisschen unbegreiflich, wie schwer das ist. Aber wenn ich das so sagen darf, das ist eine der Aufgaben der Neuen Arbeit: Den Versuch zu machen Menschen zu helfen, nicht dem auszuweichen, sondern dem tatsächlich ins Gesicht zu schauen und das dann auch durchzuziehen. Tatsächlich etwas zu tun, was man wirklich, wirklich will.

Es gehört schon eine gewisse Unverfrorenheit dazu, eine gewisse Unverschämtheit ist vielleicht das bessere Wort. Dass man sich daran gewöhnt, dass man sich selber sehr zuhört.
Prof. Dr. Frithjof Bergmann

Astrid Maier: Das wäre tatsächlich meine nächste Frage gewesen, das ist ja das eine Mut in sich hinein zu hören und sich dann das Selbstbildnis im Spiegel anzusehen, aber was vielleicht noch viel mutiger ist, den Schritt daraus die Konsequenz zu ziehen und zu sagen „Ich mache jetzt was ganz anderes“.

Was kannst du denn Menschen raten? Die vielleicht in einer Zwickmühle stecken, tatsächlich auch die ganzen Familie ernähren müssen oder sonstige Zwänge erleben, was ist da dann der letzte Schritt, den ich da machen kann, um mich tatsächlich aus diesem Teufelskreis, vielleicht sogar, zu befreien.

Frithjof Bergmann: Wenn ich darf, würde ich erstmal sehr persönlich antworten. Ich habe das persönlich erlebt. Ich hatte im Grunde genommen eine steilansteigende Biografie in der Philosophie und in Universitäten. Ich habe an vielen Gästeuniversitäten länger unterrichtet und so weiter. Man hat mir, als ich damit anfing, immer wieder gesagt: „Um Gottes willen Frithjof, du ruinierst eine gute Karriere, niemand interessiert sich für Arbeit. Schreib weiter den Hegel oder schreib weiter über das, was andere Menschen interessiert. Die Arbeit interessiert überhaupt niemand.“

Also, das war schon ein sehr kaltes Wasser über den Kopf gegossen, aber ich habe dem wiederstanden und habe gesagt „Das ist mir ganz Wurst. Ich glaube, dass die Arbeit ein wichtiges Thema werden wird in der Zukunft. Nicht jetzt. Und ich werde es versuchen. Ich weiß, es ist verrückt – sehr viele Dinge, die vernünftig sind, sind eigentlich verrückt. Ich werde versuchen herauszufinden, wie man Leuten helfen kann, das zu erkennen, was sie im Ernst wirklich wollen." Und das ist hauptsächlich das Lehren und Lernen oder das "sich gewöhnen daran", dass man sich selber viel mehr zuhört, als das in unserer Kultur normalerweise der Fall ist. (...)

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Das volle Video gibt es am Montag, 24.08. auf nwx-now.com – sei mit dabei!

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Im Gegenteil, ich mein, das wird so oft betont als der schiefste und übelste Egoismus. Das wird auch von der Moral her betont, das „nein, nein, nein – das kommt nicht in Frage, dich zu fragen, was du wirklich willst, das interessiert uns überhaupt nicht. Was du wirklich willst ist ganz unwichtig. Wichtig ist, was die Gesellschaft will. Wichtig ist, was der Pfarrer sagt. Wichtig ist, was der Lehrer sagt." Und so weiter.

Wir leben jetzt in einer kulturellen Wende und ich glaube, das Wort "Wende" ist in Deutschland sehr bekannt, aber eigentlich wird es missbraucht. Es ist für alle möglichen Dinge im Gebrauch, die keine wirkliche Wende darstellen. Aber jetzt gehen wir einer richtigen Wende entgegen, weil eine andere Kultur sich durchsetzt gegen die alte Kultur.

Marc-Sven Kopka: Das interessiert mich, Frithjof. Diese Wende zu einer neuen Kultur. In der Tat spüren wir gerade, dass ganz viele Dinge neu gedacht werden, hinterfragt werden, die lange, lange als sakrosankt galten und sehr monolithisch. Du sprichst von einer Wende. Wo geht die hin? Was ist deine Vision und Erwartung von einer zukünftigen Arbeitswelt?

Frithjof Bergmann: Ich würde das Wort Vision durchstreichen, wenn ich darf. Ich komme mir nicht vor wie jemand, der Visionen hat. Ich komme mir mehr vor wie jemand, der krampfhaft versucht Ideen, die meiner Ansicht nach einfach, klar, deutlich und notwendig, notwendig, notwendig sind langsam zum Gehör zu bringen.

Manchmal sagt man sowas zu mir wie: "Das ist alles hoffnungslos, denn Du bist ja ein Utopist." oder sowas, und das stört mich nicht besonders. Ganz im Gegenteil, meine Meinung ist, dass gerade das, was man als utopisch bezeichnet, jetzt die Chance hat sich durchzusetzen, weil jetzt tatsächlich viele Menschen, ganz gewöhnliche Menschen, nicht irgendwie absurde Menschen oder Künstler oder Professoren oder so – das sind ganz einfache Menschen, die an einem Fließband 20 Jahre lang gearbeitet haben – diese Menschen haben das Verlangen etwas zu tun, was sie wirklich wollen.

Die Ohren sind da sehr geputzt und sehr sauber und manchmal sehr zu. Also ich habe den Faden jetzt nicht verloren, ich bin von Beruf Professor.

Marc-Sven Kopka: Aber beschreib doch gerne nochmal für uns, wo führt diese Wende hin?

Frithjof Bergmann: Wo geht die Wende hin? Das ist eine etwas unverschämte Frage, die Antwort ist die selbstverständliche Antwort. Ich hoffe sehr, dass am Ende etwas der Neuen Arbeit ähnliches sich tatsächlich durchsetzen wird.

Es ist natürlich verrückt von mir, solche Hoffnungen zu hegen, aber trotzdem. Ich glaube, mir kommt mein eigenes Leben wie eine Reihe von Überraschungen vor. Eine Reihe von Überraschungen also. Ich habe das nie erwartet. Besonders nachdem man mir am Anfang immer wieder gesagt hat, das ist alles eine Verschwendung und eine absolut nicht richtige Sache. "Du solltest weiter an Philosophie arbeiten und nicht am Arbeiten."

Wenn ich das sagen darf, ich habe ja schließlich in einer Reihe von ziemlich renommierten Universitäten unterrichtet – Michigan, Princeton, Stanford. Man hat mir immer wieder gesagt „Nein, nein, nein du bist sehr begabt, das geben wir zu. Aber um Gottes willen nicht das Thema Arbeit, das ist doch kein interessantes Thema. Niemand hat irgendwas Interessantes zum Thema Arbeit zu sagen, also bitte gehe zurück zum Hegel oder zum Nietzsche oder schreibe über diese Dinge, an denen du schon lang gearbeitet hast und wo du eigentlich recht vernünftige Sache gesagt hast, aber jetzt höre auf diese unvernünftigen Sachen über die Arbeit zu schreiben.“

Das war schon für mich ein ganz markantes Erlebnis, dass mich viele Leute für irre ansahen und ich eine Karriere versaue. Im Grunde genommen hat man mir das immer wieder angedroht. Meine gute Karriere, die mich dazu gebracht hat, dass ich in Princeton, Brooklyn, Chicago unterrichtet habe, mit allen möglichen großartigen Universitäten. (Auf die) ich eigentlich keinen Anspruch hatte. Die mich eingeladen haben, mir erlaubt haben dort Vorträge zu halten. All das war neu und jetzt will ich zurück zu deiner Frage.

(...) Ich hatte schon vor langer Zeit, also schon in den 70er Jahren, das Gefühl; das "Was ist es, was du wirklich, wirklich willst?" Das war keine mühselige Frage, sondern eine Frage, ob die Menschen reagierten. Jetzt habe ich das Gefühl – (...) eben wegen dieser großen Krankheit, die sich um den Globus herum sich verbreitet – dass jetzt das Verlangen nach etwas Neuem, nach etwas Ursprünglichen, nach etwas noch nicht Bekanntem, nach etwas – wenn ich das sagen darf – dass es weder Kapitalismus noch Funktionalismus ist, sondern was grundsätzlich Neuem. Etwas, das sich jetzt durchsetzen wird. Und das, glaube ich, ist keine Träumerei; das könnte passieren. Wenn du fragst, wie sehe ich die Zukunft – nicht als Vision. Vision ist mir kein sympathisches Wort. In sehr praktischer Art und Weise, glaube ich, dass jetzt eine neue Zeit angebrochen ist. (...)

Ich denke sehr viel über mein Leben nach. Das ist in meinem Alter eine sehr selbstverständliche Beschäftigung, sich mit dem vergangenen Leben zu beschäftigen und ist eben für mich hoch interessant, dass jetzt aus diesem Thema, das mir ursprünglich so viele Leute ausgeredet haben oder versucht haben mir auszureden, dass sich daraus etwas entwickelt hat, dass jetzt tatsächlich verbreitet hat. Also, ich war in Russland, in Indien, ich war in Gott weiß was für Ländern – das hat sich jetzt verbreitet.

Ich habe schon vorhin gesagt, mein Leben ist eigentlich eine Reihe von Überraschungen und das ist eine von den vielen Überraschungen. Das habe ich nicht gewusst, das habe ich nicht erzielt, sondern das ist mir mehr oder weniger auf den Kopf gefallen oder in den Schoss gefallen, dass sich das jetzt verbreitet hat.

Astrid Maier: Frithjof du hast ja sehr schön die Reisen beschrieben, wie Du mit New Work angefangen hast Ende der 70er in der Autokrise in Flint. Damals ging es ja auch um Automatisierung, jetzt haben wir 2020. Corona ist wiederum ein großer Brandbeschleuniger, auch auf das Thema New Work und wieder geht es um Automatisierung.

Also immer mehr Unternehmen, gerade in der Produktion, haben ja wieder angefangen noch mehr Roboter in die Hallen zu stellen. Sie sagen, dass hilft auch beim Sicherheitsabstand für die Menschen, die da arbeiten. Fakt ist aber auch, dass immer weniger Menschen in diesen Fabriken arbeiten werden. In dieser neuen Welt, von der du sagst in die wir gerade eintreten, welche Bedeutung wird da Arbeit überhaupt noch haben und werden wir überhaupt alle so viel arbeiten müssen?

Frithjof Bergmann: Das ist natürlich eine Frage über die ich sehr, sehr viel nachgedacht habe und ich weiß nicht, ob ich eine gute Antwort geben kann, aber meine Vorstellung ist: ganz im Gegenteil. Arbeit wird sehr wichtig in der Zukunft sein.

Aber eben nicht die Arbeit, an die wir gewöhnt sind, sondern eine sehr andere Art zu arbeiten. Eine Art zu arbeiten, in der das Erfinderische, das Nachdenkliche, das neue Sagen und neues Erdenken, eine viel größere Rolle spielt als bisher. Mein Eindruck ist – und ich versuche sehr mich mit China bekannt zu machen und lese im Augenblick eine ganze Reihe von Büchern über China – dass sie sehr aufpassen müssen. Denn in China ist man bereit, sich auf das Neue einzustellen. Ich habe den Eindruck, dass – also, ich kenne mich jetzt in Deutschland nicht so gut aus, aber in Amerika ist man viel zu langsam, was das alles angeht, viel zu vorsichtig.

Es ist jetzt nötig wirklich neu zu denken.
Prof. Dr. Frithjof Bergmann

Es ist jetzt nötig wirklich neu zu denken und mein Eindruck ist – ich hoffe ich trete jetzt niemanden zu sehr auf den Schlips – dass wir uns mit der Art und Weise beschäftigen sollten, wie China sich auf die Zukunft einstellt.

Sie sind vielmehr darauf eingestellt über die Zukunft wirklich nachzudenken und die Zukunft einzuführen. Ich habe gerade ein Buch hier auf dem Tisch liegen – "Die zweite Revolution in China"/"China's Second Revolution"**. Ich habe den Eindruck, dass sich die Welt sehr ändern wird, dass China eine unglaublich große Rolle spielen wird, dass wir es uns sozusagen auf sehr dumme Art und Weise verspielen, wenn wir nicht aufpassen, anstatt uns das anzueignen. Das ist gerade der Punkt – sich neues anzueignen.

Das ist es, was sie jetzt machen müssen und ich habe wirklich gute Information über Deutschland. Das Einzige, was ich wirklich weiß, was mir viele Leute gesagt haben ist, dass diese Krankheit in Deutschland, wahrscheinlich wegen der Merkel viel sanfter ausgefallen ist, als in fast allen anderen Ländern. Also unvergleichlich sanfter als in Spanien.

(...)

Astrid Maier: Du hast doch gerade beschrieben, dass du dich sehr stark mit China beschäftigst, dass die Chinesen sehr viel schneller dabei sind Innovationen anzunehmen und Neues auszuprobieren. Das war ja in der Vergangenheit immer die Rolle der USA. Alle kennen das Silicon Valley, dort kamen immer die innovativsten Ideen her. Was ist eigentlich mit Amerika passiert, wo bleibt die USA in diesem Szenario, das du entworfen hast, in dem immer stärker werdenden China und der Gefahr, dass wir alle anderen zurückfallen?

Frithjof Bergmann: Mein Eindruck ist, dass die USA – in der ich ja nun zu Zuhause bin und in der ich lebe – irgendwie die Initiative verloren hat und ich glaube, das darf ich riskieren, das zu sagen, das hat eine ganze Menge mit dem Trump zu tun. Also dem Nicht-Präsidenten den wir jetzt als Präsidenten haben. Es kommt mir so vor, als ob er (...) sehr altmodische (Denkweisen) (...) hervorgehoben und betont hat, und die haben ihm die Wahl geschenkt. Oder er hat ihnen die Wahl abgenommen. Ich habe einen sehr negativen Eindruck von ihm sozusagen und das ist die große Gefahr. Viele Amerikaner, die so ein bisschen so eine Art von Amerikaner sind.

(...) Also die Situation ist schon, dass Trump einen sehr negativen Eindruck jetzt gemacht hat, ganz besonders in den letzten Tagen mit der Gewalttätigkeit gegen die Schwarzen. Es kommt mir so vor als ob es zum großen Teil die Schuld von Trump ist, dass Amerika jetzt das verloren hat, was Amerika einmal ausgezeichnet hat. Das ist jetzt viel langsamer, viel konservativer, viel primitiver geworden, als es ursprünglich war und ob es das noch mal wiederbekommt, das ist jetzt die große Frage. Die große Frage, die viele Menschen sozusagen auch an mich stellen. Man fragt mich, ob ich glaube, ob die nächste Wahl so ausgehen wird, so dass es sozusagen die neue Arbeit verstärkt und nicht schwächt.

Es kann sein, dass ich mich täusche und dass Trump die nächste Wahl eben doch, ich glaube irgendwie manipuliert, auf seine Art und Weise. Dass die Leute, die er anspricht, wieder die Hauptrolle (bei den Wahlen) spielen werden. Das wäre verheerend, wenn das passiert, weil er sich eigentlich gewendet hat an die Elemente in Amerika, die am wenigsten fortschrittlich sind. Und in dem Sinn ist er ja wirklich ein sehr konservativer Mensch, aber er kommt mir hauptsächlich vor wie ein sehr dummer Mensch. Das merken ihm jetzt eine ganze Menge Leute an, aber ob es noch reicht, ob man jetzt noch etwas wirklich Neues einführen kann, ist eine große Frage.

Die Demokraten, glaube ich, haben das auch nicht. Aber wenn ich das sagen darf – und ich hoffe das klingt nicht arrogant – Ich habe von Anfang an betont, dass die Neue Arbeit wirklich ein Versuch ist, etwas Neues einzuführen, weder Sozialismus noch Kapitalismus und nicht irgendwie nur eine Mischung von den beiden, sondern tatsächlich etwas Neues. Viele Leute erkennen das jetzt oder haben das jetzt langsam kennengelernt. Und wenn, wenn, wenn sich das durchsetzt dann könnte etwas sehr Gutes passieren.

Ich habe aber eigentlich mehr die Hoffnung, dass sich die Neue Arbeit in China, Indien durchsetzen wird, dass sie sich in Russland durchsetzt. Ich war sehr überrascht. Ich hatte die Vorstellung, dass ich in Russland überhaupt nicht ankommen würde, aber das war falsch. Die Russen sind sehr interessiert an der Art und Weise eine Ökonomie aufzubauen, in der wir versuchen eine Ökonomie aufzubauen.

Es ist eine Möglichkeit, dass sich etwas sehr Gutes verhältnismäßiges bald – schnell, in den nächsten Monaten, nicht Jahren, sondern Monaten – entwickelt. Das könnte sein. Ich habe aber auch das Gefühl, es könnte auch nichts werden und wenn das nichts wird, dann verliert Amerika wirklich sehr viel von dem, was es in der Vergangenheit hatte.

Marc-Sven Kopka: Die Frage ist ja, was wir dazu beitragen können. Stichwort Bildungs-Zentren. Du hast dich immer dafür eingesetzt, auch gerade junge Leute und beim Thema Bildung anders zu fördern als es in der Vergangenheit der Fall war. Vielleicht magst Du abschließend nochmal erläutern was es damit auf sich hat und was diese Bildungs-Zentren machen?

Frithjof Bergmann: Vielen Dank für die Frage und das hinein geworfenen Wort Abschied. Es tut mir leid, wenn wir jetzt am Ende sind. Ich kann bis vier Uhr früh weiterreden.

Marc-Sven Kopka: Ich mache mir bisschen Sorgen, dass wir Deine Zeit und Energie über die Maßen strapazieren, wir sind über eine Stunde dran. Deutlich jüngere Gesprächspartner hören nach einer halben Stunde üblicherweise auf. Das ist der einfache Grund – wir sind dankbar mit Dir zu sprechen und wollen Dich nicht über Gebühr strapazieren.

Frithjof Bergmann: Ihr habt mir ein Geschenk gemacht. Ihr habt mir etwas geschenkt, dadurch dass ihr euch so viel Zeit genommen habt, um mich einigermaßen auszuhören.

Marc-Sven Kopka: Wir danken Dir Frithjof, dass Du uns Deine Zeit und Gedanken schenkst.

Frithjof Bergmann: Das ist alles Nebensache. Wichtig ist, dass ihr das alles eingeführt habt und ich bin sehr, sehr dankbar euch gegenüber. Aber jetzt zurück zu dem Thema Bildung. Ich habe versucht eine neue Art der Schule einzuführen und in Deutschland hat sich das einigermaßen durchgesetzt.

Ich habe Entwürfe für eine neue Schule nach Deutschland geschickt (...). Ein Günther Thoma hat sich besonders eingesetzt für neue Arten von Schulen. Diese Schulen sind schon sehr anders als Schulen bisher. Ich habe das Gefühl, dass es, wie soll ich sagen, längst fällig geworden war. Es ist etwas, das eigentlich schon vor langer Zeit hätte passieren sollen und alle möglichen Leute, auch bekannte Leute, wie Pestalozzi, haben vor langer Zeit schon von einer anderen Art der Erziehung geredet. Jetzt ist die Stunde geschlagen, wo diese neue Art der Bildung sich, glaube ich, durchsetzen wird.

Marc-Sven Kopka: In Deutschland gibt es eine sehr intensive Diskussion über die Zukunft der Bildung, gerade auch jetzt, angesichts der aktuellen Situation. Vielleicht kannst Du kurz schildern was die neue Idee ist, was Deine Idee ist, die sich unterscheidet vom bisherigen Bildungssystem.

Frithjof Bergmann: Im Grunde genommen habe ich das wahrscheinlich schon zu oft gesagt in diesem Gespräch. Immer wieder und wieder. Ich habe etwas Angst, dass ich langweilig werde.

Marc-Sven Kopka: Definitiv nicht. Im Gegenteil.

Frithjof Bergmann: (...) Die meisten Leute haben eine Vorstellung, dass die Zukunft der Bildung etwas mit Freiheit zu tun hat. Ich habe mich schon vor vielen Jahren darüber sehr geärgert, weil die meisten Leute keine Ahnung hatten, von dem was Freiheit bedeutet. Ich habe mein erstes Buch über die Freiheit geschrieben und das hat sich sogar einigermaßen verbreitet. In diesem Buch habe ich versucht zu beschreiben, dass Freiheit etwas damit zu tun hat, dass man das tut was man wirklich, wirklich will. Das kam sozusagen schon in meinem ersten Buch vor.

Darauf will ich zurückgreifen, jetzt. Es kommt mir so vor (...) als ob das eine ganz andere Idee ist, als die Idee, die die meisten Leute haben, von der Zukunft der Bildung. Also meine Art die Zukunft der Bildung zu sehen, hat zu tun mit dem Satz „wirklich, wirklich wollen“ und den Versuch zu machen junge Leute in der Richtung zu entwickeln, dass sie sich diese Frage stellen und nicht locker lassen, sondern diese Frage stellen bis sie eine Antwort haben darauf, was sie wirklich, wirklich wollen. Es kommt mir so vor als ob das recht anders als das ist, was man – soweit ich weiß – in Deutschland jetzt im Gespräch hat. Hast du da einen ganz anderen Eindruck?

Marc-Sven Kopka: Wenn ich dich richtig verstehe, wird die Kernfrage der Neuen Arbeit im Zentrum dieses neuen Bildungs- oder Schulsystems sein?

Frithjof Bergmann: Absolut, ja. (...) Es geht um die Idee der Begriffe „Components of New Work School“. Was wären die Teile, die zusammenkommen müssen, um eine New Work School zu bauen? Das ist eben das, was mir jetzt vorschwebt.

Auch in Indien und Russland ganz besonders sind eine meiner Überraschungen. Ich war sehr überrascht, ich hatte den Eindruck, dass weder in Indien noch in Russland man mich nett empfangen würde, sondern im Gegenteil. Ich habe gefühlt, dass man mich ein bisschen prügeln würde. Aber das war nicht der Fall. Man war ganz ungewöhnlich nett zu mir und hat mich eingeladen zu allen möglichen renommierten Universitäten. Ich wurde eingeladen nach Moskau, um an der Moskauer Universität einen Vortrag zu halten, was ich nie erwartet hätte. Aber so hat es sich eben entwickelt, dass es jetzt in vielen Ländern dazu gekommen ist (...), dass man sich mit diesen Ideen, die anders sind, als das, was man sich bisher unter Freiheit vorgestellt hat.

Ich stelle mir nicht unter Freiheit vor, dass es damit zu tun hat, dass man alle (...) Widerstände abschafft. Ganz im Gegenteil, ich finde, das ist ein großer Fehler. Im Grunde genommen meine ich mit Freiheit – wie ich schon vor vielen, vielen Jahren beschrieben habe –, dass es davon abhängt, was man eigentlich will und dass ein großer Teil der Bildung der Zukunft sein würde, Menschen zu helfen sich selbst zu erkennen und sich selbst nicht auszuweichen, sondern sich selbst durchzusetzen. Ich hoffe das war jetzt nicht zu arrogant.

Marc-Sven Kopka: Nein, überhaupt nicht. (...) Im Grunde ist es die alte Frage aus Delphi – erkenne dich selbst, die deiner Philosophie letztendlich zu Grunde liegt.

Frithjof Bergmann: Ich danke euch ganz, ganz von Herzen.

Marc-Sven Kopka: Frithjof wir danken Dir ganz herzlich für die Zeit und für Deine Gedanken. Wir wünschen Dir alles Gute, drücken Dir die Daumen für die Zukunft und ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Frithjof Bergmann: Danke euch, wirklich. Ich danke euch von Herzen, für die Zeit und die Mühe und das Interesse. Wir reden weiter.

Marc-Sven Kopka: Würde uns sehr freuen und bleibe gesund, Frithjof!

Frithjof Bergmann: Absolut, ich rechne damit, dass ich mindestens 100 Jahre alt werde.

Marc-Sven Kopka: Wunderbar, dann machen wir eine große Party und nächstes Jahr führen wir das nächste Interview.

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*Anmerkung der Redaktion: Diese Interview wurde auf Basis des Webcasts mit Prof. Dr. Frithjof Bergmann aufgezeichnet und veschriftlicht. Um die Lesbarkeit zu gewährleisten, wurden einige Passagen gekürzt. Die Aussagen wurde dabei nicht verändert.

** "China's Second Revolution: Reform after Mao", Harry Harding, Brookin Institution Press, 1987.

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