Führung 4.0: Über Bewusstsein, Überwindung und Stärkung von Mitarbeitern.
Die Arbeitswelt von heute benötigt Führungskräfte, die bereit sind, ihr eigenes Verständnis ständig zu reflektieren. In seinem Buch „Kraftquelle Tradition. Benediktinische Lebenskunst für heute“ beschreibt Bodo Janssen, warum gute Führung, die Stärken des Einzelnen erkennt. Wir haben mit ihm gesprochen.
Janssen: Der Ausgangspunkt für einen grundlegenden Kulturwandel war eine Mitarbeiterbefragung. Die zeigte nämlich, dass sich Viele einen anderen Chef wünschten. Die Upstalsboom-Mitarbeiter fühlten sich schlecht geführt. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Ich bin daraufhin regelmäßig in das Benediktinerkloster von Pater Anselm Grün gegangen, um neue Sichtweisen zu verstehen. Ich habe mich mit dem Thema Freiheit beschäftigt. Seitdem ist es mir ein Anliegen, dass jeder, der bei uns arbeitet, die Freiheit hat, sich persönlich weiterzuentwickeln und sich dafür einzusetzen, was ihm wichtig ist. Dafür gilt es den Einzelnen zu stärken.
Janssen: Das genaue Gegenteil der Pyramide, die hierarchische Form der Unternehmensführung, die sich bis in die heutige Zeit in den Organisationen und Strukturen vieler Unternehmen wiederfindet. Die Pyramide ist ein System der Leistungsgesellschaft. Es gibt einen Chef, der an oberster Stelle steht. Dann folgen die Abteilungsleiter und ganz unten die Mitarbeiter. In dieser Kultur ist der berufliche Aufstieg damit verbunden, dem Chef zu gefallen, statt zu tun, was das Gewissen verlangt oder die Situation erfordert. Wir haben uns bewusst gegen die Pyramide entschieden. Wir wollen Menschen stärken.
Janssen: In der Pyramide ist Führung ein Privileg, im Netzwerk eine Dienstleistung, die dem Menschen dient. Hier geht es darum, füreinander Dienst zu leisten. Wir verstehen uns heute zunehmend als einen Organismus. Da gibt es Zellen, die verbinden sich zu Organen und die wiederum zu einem Organismus. Zusammengehalten wird der Organismus von der Unternehmensseele, die über die Kultur des Unternehmens ihren Ausdruck in der Öffentlichkeit erfährt. Unser Weg hat so zu selbstorganisierten Teams und der teilweise Abschaffung von Positionen im Unternehmen geführt.
Janssen: Wichtig ist das eigene Bewusstsein. Wofür mache ich das alles? Was haben die Mitarbeiter davon, dass es mich gibt? Denn die Aufgabe von Führung bedeutet nichts anderes, als Menschen zu stärken. Und Menschen zu stärken heißt, dass sie sich physisch, psychisch und sozial wohlfühlen. Ich komme so sehr schnell zu dem Prozess des New Work. Wenn ich an den New-Work-Vordenker Frithjof Bergmann denke, dann hat der nichts anderes gesagt, als das Arbeit nur eine Möglichkeit ist, seine Selbstunerkenntnis zu überwinden und sich auf die Suche nach einer Arbeit in Übereinstimmung mit den eigenen Wünschen, Hoffnungen, Träumen und Begabungen zu machen. Es geht darum Antworten auf die Frage zu finden, was ich wirklich will. Und wenn ich darauf eine Antwort haben will, muss ich mir meiner Selbst bewusstwerden, ich muss mich selbst reflektieren. Ich muss meine Vergangenheit verstehen. Ich muss meine Gegenwart ordnen und muss meine Zukunft gestalten. In der Führung muss ich die Menschen stärken. Ich muss ihnen helfen ihre Vergangenheit zu verstehen: wieso verhalte ich mich, wie ich mich verhalte? Sie dabei unterstützen, die Antworten auf wichtige Fragen zu finden. Sie dabei zu unterstützen ihre Persönlichkeit in den Alltag einzubringen und ihre Zukunft zu entwickeln.
Janssen: Es geht nicht nur darum, einfach seine Eigenschaften und Fähigkeiten im Unternehmen einzusetzen. Es geht darum, sich für etwas einzusetzen, das dem Einzelnen besonders wichtig ist. Das ist der Clou. Nur so entwickele ich Kraft. Das ist der Turbo für eine starke Gemeinschaft. Um ein Beispiel zu geben: ich habe einen Mitarbeiter für den Gerechtigkeit sehr wichtig ist. Ich würde dem Menschen im Unternehmen die Möglichkeit geben, an Aufgaben zu arbeiten, die mit dem Thema Ungerechtigkeit zu tun haben. Er wird dann alles, was er im Sinne der Gerechtigkeit tut, als sinnvoll erachten.
Janssen: Für ganz ausschlaggebend halte ich die Fähigkeit hinzuhören. Denn Menschen, denen ich zuhöre, fühlen sich zugehörig. Ich schaffe damit Verbundenheit und Mitarbeiter fühlen sich angenommen und beteiligt. Und Menschen, die sich beteiligt fühlen, entwickeln ganz andere Energien. Nichts hemmt die Menschen mehr als Konzepte, die ihnen vor die Nase gesetzt werden. Das macht ihnen Angst. Oder Funktionsbezeichnungen von denen sie noch nie etwas gehört haben.
Ich erlebe immer wieder Führungskräfte, die zu viel wollen, die ganz plötzlich die Welt retten wollen. In meinen Seminaren rate ich keine Ergebnisse zu definieren, sondern für eine Entwicklung zu sorgen. Das bedeutet den Druck herauszunehmen und die eigene Begrenztheit anzunehmen. Ich kann nur immer mein Bestes geben. Werte sind wertlos, wenn sie nicht gelebt werden. Eigentlich ist es ganz einfach. Es gibt gute Gewohnheiten, die ich mir als Führungskraft aneignen kann. Die führen zur Stärkung der Mitarbeiter und Verbundenheit mit dem Unternehmen.
Schlechte Gewohnheiten schwächen Menschen und Teams entzweien. Die Frage lautet doch, welche Verhaltensweisen führen zur Stärkung? Jeden Tag kann ich aufschreiben, welche Chance ich heute nutzen werde? Kann ich Kritik, die mir entgegengebracht wird, annehmen? Mein Buch mag für einige unangenehme Gefühle auslösen, weil es keine Entschuldigung zulässt, etwas nicht zu tun. Im Sinne von, es liegt an mir und kein Budget und keine Struktur hängen von einer Veränderung ab.
Janssen: Ich glaube, dass es immer wichtig ist, die Größe der Schritte für sich zu bemessen. Sich zu überwinden muss zu einer Gewohnheit werden. Sich überwinden, heißt, Kritik anzunehmen und gewillt zu sein, kleine Verhaltensweisen zu kippen. Innere Bilder helfen ganz klar dabei, mehr zu wagen. Ich kann mich an etwas in meiner Kindheit erinnern, dass Mut erforderte und Überwindung kostete. Bei mir war es der Sprung vom Zehnmeterbrett. Immer, wenn ich mich überwinden möchte, suche ich Kontakt zu diesem Bild. Als Führungskraft muss ich mich ständig überwinden. Doch auch wenn etwas neu ist, sollte ich es wagen. Die meisten werden so immer mutiger.
Der Autor: Bodo Janssen erbte 2006 die norddeutsche Hotelkette Upstalsboom, nachdem sin Vater bei einem Flugzeugabsturz starb. Führung bedeutete für ihn damals, sich an Zahlen zu orientieren. Nach einer Mitarbeiterbefragung 2010 erhielt er deprimierende Bewertungen. Janssen zog sich daraufhin regelmäßig in ein benediktisches Kloster zurück. Auf Grundlage der Lebensregeln des Heiligen Benedikt aus dem 6. Jahrhundert entwickelte er eine eigene Unternehmenskultur. Das Unternehmen beschäftigt 850 Mitarbeiter.
Über das Buch: In „Kraftquelle Tradition. Benediktinische Lebenskunst für heute“ erzählt Janssen von seinen Klosteraufenthalten und zeigt, wie er das Erlebte auf seine Hotelkette angewendet hat. Im Mittelpunkt steht das Wohlbefinden des Mitarbeiters. Er zeigt auf, wie man als Unternehmer seine Mitarbeiter unterstützten kann, sich selbst zu entfalten und ihre Fähigkeiten zu entdecken.