NWX – New Work News

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Alles zur Zukunft der Arbeit

"Glück macht viel Arbeit." – Warum Unternehmen dringend in das Glück der Mitarbeiter investieren sollten

Dr. Ha Vinh Tho leitete viele Jahre das Gross National Happiness Center (GNH) in Thimphu, der Hauptstadt Bhutans. Heute hilft er weltweit Firmen, Schulen und Organisationen die Idee des Bruttonationalglücks zu implementieren. Am kommenden Montag spricht er im NWXnow-Videocast mit Marc-Sven Kopka über die wichtigsten Faktoren für berufliches Glück und die Emanzipierung gängiger Kennzahlen der Wirtschaft.

Im Interview haben wir vorab mit ihm über die Kriterien des Glücks gesprochen, über Happiness-Skills und den „inneren Wetterbericht“ zu Beginn eines Meetings.

Auf welche Weise finden Arbeit und Glück im beruflichen Umfeld zusammen?

Dr. Ha Vinh Tho: Lassen Sie uns hier von bruttonationalem Glück sprechen, also von Glück in Organisationen oder als gesellschaftliche Verantwortung. Im Gegensatz zu den vorübergehenden, angenehmen Gefühlen jedes Einzelnen, ist dieses echte Glück von Dauer. Dazu braucht es drei Faktoren: Als erstes das Gefühl, dass man mit sich selbst in Einklang ist. Das beinhaltet u.a. ein sinnvolles Leben zu führen, mit seiner Arbeit einen Beitrag zu leisten, der tatsächlich etwas bewirkt, und eine Tätigkeit auszuüben, die mit den eigenen Werten übereinstimmt. Die zweite Ebene des Glücks bemisst sich nach der Qualität der menschlichen Beziehungen. Selbst bei einem sinnstiftenden Job, der gut bezahlt und mit Verantwortung verbunden ist, stört es das Wohlbefinden, wenn es Streit im Büro gibt. Und das dritte Element, welches heutzutage immer wichtiger wird, ist das Leben in Harmonie mit der Umwelt. Vor uns liegen große ökologische Herausforderungen und wenn wir unseren Planeten weiter so zerstören, wird es gar kein dauerhaftes Glück mehr geben.

Wie wichtig ist es, im Berufsleben Erfüllung zu finden?

Dr. Ha Vinh Tho: In meinen Augen ist es sehr wichtig. Wir verbringen einen großen Teil unserer Zeit am Arbeitsplatz, und selbst wenn wir privat ein gutes Leben führen, mit einer netten Familie und ausfüllenden Hobbys, fehlt der berufliche Aspekt zur Ausgewogenheit. Wenn sich während der Arbeit nicht ein Gefühl der Erfüllung einstellt, wenn wir nicht das Gefühl haben, dass wir einen sinnvollen Beitrag leisten können, wenn wir nicht das Gefühl haben, dass uns mit unseren Kollegen gute Beziehungen verbinden, dann wird es sehr schwierig auf Dauer. Auch das Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lässt nach, wenn der Arbeitsplatz kein Ort der Erfüllung ist, des Wohlbefindens, des Glücks.

Haben wir ein Recht auf Glück im Job?

Dr. Ha Vinh Tho: Ich habe ein Buch geschrieben, das heißt „Grundrecht auf Glück". Das Streben nach Glück halte ich für ein menschliches Recht. Wie weit man das dann erfährt, bleibt natürlich sehr individuell. Aber ich finde, dass ein Unternehmen sich um das Wohlbefinden aller Mitarbeitenden kümmern sollte.

Welche Verantwortung haben Unternehmen und Arbeitgeber gegenüber ihren Angestellten, wenn es um Glück und Sinnstiftung geht?

Dr. Ha Vinh Tho: Einerseits trägt ein Unternehmen die ethische Verantwortung für die Auswirkungen, die seine Entscheidungen auf die Gesellschaft und die Umwelt haben. Aber es muss auch Verantwortung übernehmen für das Wohlbefinden der eigenen Mitarbeiterschaft. Viele junge Leute wollen nicht nur einfach Karriere machen, sondern streben ein erfülltes, sinnvolles Leben an. Wenn man als Unternehmen guten Nachwuchs rekrutieren will, muss man also ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem eine harmonische Atmosphäre herrscht, wo Menschen respektiert werden und man sich als Arbeitnehmer tatsächlich wohlfühlen kann und Erfüllung findet.

Was für Parameter geben darüber Auskunft, ob einem Unternehmen das Glück seiner Mitarbeiter nicht egal ist?

Dr. Ha Vinh Tho: Es gibt leider zurzeit noch relativ wenige Studien, die solche Vergleiche zulassen. Bei den gern veröffentlichten Rankings über die besten Arbeitgeber wird nicht immer ganz klar, nach welchen Kriterien da entschieden wurde. Dagegen kann das Bruttonationalglück eine definierte Reihe von Kennziffern anbieten.

Wir messen in neun Domänen eine ganze Anzahl von Indikatoren, um zu ermitteln, inwiefern ein Unternehmen in das Gemeinwohl investiert. Das Gebiet „Psychologisches Wohlbefinden“ wird beispielsweise über Indikatoren gemessen, die darüber Auskunft geben, ob sich die Leute respektiert fühlen, ob die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass sie einen gewissen Freiraum für ihre Kreativität bekommen, ob es eine Inklusions-Politik gibt, Gender Equality, Vielfalt usw.

Im Gebiet „Bildung“ zeigt sich, inwiefern das Unternehmen Weiterbildungsmöglichkeiten fördert und womöglich sogar finanziell unterstützt, oder ob die Mitarbeiter das Gefühl haben, in ihrem Fortkommen zu stagnieren. Eine andere Domäne ist „Gesundheit“, deren Indikatoren messen, ob die Arbeitssituation gesundheitsfördernd ist oder krank macht. Dabei geht es um psychologische Aspekte, wie Stress oder Mobbing, aber auch um physische Belastungen, beispielsweise in einer Fabrik. Es gibt noch jede Menge andere Gesichtspunkte. Natürlich spielt es eine Rolle, ob man gerecht entlohnt wird. Aber ebenso, ob man ein Gefühl der Zugehörigkeit und der Solidarität verspürt und ob Kooperation oder Konkurrenzkampf vorherrschen.

Mit welchen konkreten Maßnahmen kann das Glück in einem Unternehmen implementiert werden?

Dr. Ha Vinh Tho: Wenn wir mit Unternehmen Bruttonationalglück umsetzen, arbeiten wir auf zwei Ebenen: Zunächst gibt es eine Umfrage, die auf den 9 Gebieten des BNG basiert, um herauszufinden, welche schon existierenden positiven Elemente bewusst gewürdigt werden können und wo es Gebiete gibt, die verbesserungsbedürftig sind.

Daraus entstehen erste konkrete Maßnahmen, um das Wohlbefinden der Mitarbeiterschaft zu stärken. Dazu zählt gesündere Ernährung in der Kantine, flexiblere Arbeitszeiten, Fitnessangebote oder Yogakurse. Allein die Wahrnehmung, dass die Führung sich um das Wohlbefinden der Mitarbeiterschaft kümmert, verbessert bereits das Arbeitsklima. Außerdem führen wir ganz einfache Übungen ein, die im Arbeitsalltag untergebracht werden können.

Zum Beispiel beginnen Meetings mit 3 Minuten Achtsamkeit, damit alle mental wirklich anwesend sind, zu sich selbst kommen und nicht ihre persönlichen Probleme mit in die Sitzung bringen. Dann gehen wir mit einem „inneren Wetterbericht“ in die Runde, in dem jeder mitteilt, wie sie/er sich gerade fühlt. Vielleicht ist jemand unaufmerksam, weil er sich Sorgen um die Gesundheit der Eltern macht, aber von anderen könnte das als mangelndes Interesse gewertet werden. Spricht man die wahren Ursachen einmal aus, sind Missverständnisse aus dem Weg geräumt und es fällt den Betroffenen leichter, wieder ganz bei der Sache zu sein.

Solche kleinen Übungen können durchaus auch im Familienkreis gemacht werden. Das setzt allerdings voraus, dass man einander auch wirklich Beachtung schenkt und nicht jeder auf sein Handy schaut, während man als Familie zusammensitzt. Aber das ist ein Kapitel für sich.

Welche Fragen muss sich der Einzelne stellen, um zu überprüfen, ob bei ihm Job und Glück zusammengehen?

Dr. Ha Vinh Tho: Wenn man den Bruttonationalglück-Index verwendet, ergibt sich immer eine Mischung von subjektiven und objektiven Fragen. Eine solche wäre beispielsweise: Habe ich vorwiegend positive Gefühle, wenn ich zur Arbeit gehe, oder überwiegen negative Gefühle, wie Stress oder Angst? Objektive Kriterien hingegen sind Aussagen über krankheitsbedingte Fehltage oder bestimmte Krankheitsbilder wie Burn-out. Wichtige Fragen, die man sich stellen sollte, sind weiterhin: Schlafe ich ausreichend? Nehme ich mir Zeit für Sport und Fitness? Bemühe ich mich, mit meiner Ernährung meine Gesundheit zu unterstützen? Aus solchem Fragenkatalog ergibt sich dann ein genaues Bild davon, wie es einem Menschen tatsächlich geht.

Lässt sich Glück erlernen?

Dr. Ha Vinh Tho:  Glück lässt sich durchaus erlernen, und zwar mit Kompetenzen, die wir Happiness-Skills nennen. Dazu gehört zuerst Selbsterkenntnis, also die Fähigkeit, sich selbst zu beobachten und herauszufinden, wie es einem geht und möglicherweise etwas an seinem Verhalten zu ändern. Beispielsweise deuten sich Anzeichen für einen Burn-out meist lange vorher an. Nur werden emotionale Erschöpfung, negative Gefühle gegenüber den Kollegen, reduzierte persönliche Leistungsfähigkeit oder Depersonalisierung gar nicht wahrgenommen, weil in einem hektischen Leben keine Zeit bleibt für Self Awareness. Eine weitere Glückskompetenz ist Selbstmanagement, die es ermöglicht, mit schwierigen Gefühlen wie Wut, Trauer, Eifersucht oder Ärger umzugehen. Es gibt Methoden, wie man diese negativen Emotionen verarbeiten kann, um zu lernen, bewusst positive Empfindungen und innere Haltungen zu pflegen. Belastende Gefühle kann man allmählich verwandeln, indem man folgende Schritte übt:

  1. Innehalten und anerkennen, dass ich gerade negative Gefühle habe.

  2. Akzeptieren, dass schwierige Gefühle zu mir gehören, also ich mich ihrer nicht schämen oder sie verdrängen muss

  3. Genau beobachten, wie solche Emotionen sich körperlich anfühlen, wie sie die Atmung ändern, was für Gedanken damit verbunden sind

  4. Sich auf Körper und Atem konzentrieren, Abstand zu den Gedanken gewinnen.

  5. Wenn möglich in die Natur gehen und ganz ruhig gehen, indem man Atem und Schritte zusammenbringt

Positive Gefühle lassen sich ebenfalls durch Übung kultivieren. Dankbarkeit zum Beispiel kann gestärkt werden, indem man sich jeden Abend mindestens drei Situationen ins Bewusstsein ruft, für die man dankbar sein kann. Das können ganz kleine Dinge sein, wie schönes Wetter, ein freundliches Wort von einem Kollegen oder das Lächeln von meinem Kind.

Zu den Happiness-Skills gehört auch Social Awareness. Diese soziale Aufmerksamkeit, anderen mit Empathie zu begegnen, Menschen wahrzunehmen, ihnen zuzuhören und sie zu respektieren, schafft die Grundlage für gute Beziehungen und eine ehrliche Kommunikation. Nicht zu vergessen ist die Fähigkeit, verantwortungsbewusst Entscheidungen zu treffen. Verschaff dir stets einen Überblick über die Wirkungen und Auswirkungen, die deine Entscheidungen haben.

Glück macht also viel Arbeit?

Dr. Ha Vinh Tho: Wenn ein Unternehmen in Glück und Wohlbefinden investieren will, oder wenn man als Privatperson danach strebt, kostet das eine gewisse Kraft und Zeit. Aber unglücklich zu sein ist viel kräftezehrender und kostet auf Dauer sehr viel mehr. Man zahlt am Ende teuer dafür, wenn man sich nicht um sein eigenes Wohlbefinden kümmert. Früher oder später hat es negative Auswirkungen auf die Familie, führt zu Scheidungen oder gestörte Beziehungen zu den Kindern. In sein Glück zu investieren, ist also ein gutes Geschäft, würde ich sagen.

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Über die NWXnow

Wer mehr von Dr. Ha Vinh Tho erfahren möchte, sollte am 2. November 2020 bei der NWXnow vorbeischauen.

Wir präsentieren analog zur NEW WORK EXPERIENCE die neue digitale Formatreihe NWXnow. Wir möchten weiterhin ein Forum für die Diskussion zur Zukunft der Arbeit bieten. Denn wir sind davon überzeugt: Es geht mehr denn je um die Frage, wie wir die Weichen für eine zukünftige Arbeitswelt stellen, in der wir arbeiten wollen. Um Klarheit und Orientierung zu schaffen, sprechen wir dazu regelmäßig mit unterschiedlichsten Experten, Vordenkern und Praktikern.

Die NWXnow beinhaltet Videocasts, bei denen Fachleute aus Gesellschaft, Wirtschaft und Politik über den Wandel der Arbeitswelt sprechen, spannende Artikel, Hintergrundinformationen, Interviews, Online-Workshops und Webinare, spannende Artikel und vieles mehr. Die zentrale Fragestellung: Was kommt, was bleibt und was verändert sich?

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