Hirnforscher weiß: "Sinn ist in der Arbeitswelt das Entscheidende überhaupt."
Hirnforscher Dr. Bernd Hufnagl befasst sich viel mit der schnelllebigen Arbeitswelt und dem Stress, der dadurch entsteht. Er ist Dozent am Management Center Innsbruck (MCI), Buchautor, er hält Keynote-Vorträge, Kongressvorträge und Dinnerspeeches – und Multitasking ist absolut nichts für ihn. Neben zahlreichen weiteren prominenten Speakern wird er bei der kommenden NEW WORK EXPERIENCE 2020 am 10. Juni dabei sein und darüber reden, wie aus Stress wieder Sinn und Freude an der eigenen Arbeit werden.
Bernd Hufnagl: Ich war beim Zahnarzt.
Hufnagl: … war alles harmlos.
Hufnagl: Da hätte ich Sie eh etwas enttäuschen müssen: Mein Leben ist viel einfacher als das der allermeisten Menschen. Ich lebe nämlich als Sprecher und Autor durchaus privilegiert. Ich fahre von einer Veranstaltung zur nächsten, die letzten Tage waren sehr voll, gestern Abend zum Beispiel bin ich erst sehr spät aus Köln gekommen.
Und so geht es hin und her, aber das Leben an sich ist sehr einfach. Ich bin zwar viel auf Reisen, aber Reisen sind, wenn man sich das im Kopf richtig zurechtrückt, ja auch Freizeit. Es ist nicht nur Stress, nicht nur belastend, sondern ich habe es tatsächlich geschafft, dass ich gerne reise.
Natürlich habe ich es auch nicht ganz so gerne, wenn Flüge gecancelt werden oder der Zug nicht pünktlich ist – aber mehr löst das nicht bei mir aus. Im Gegenteil, ich genieße die Zeit, trinke einen Cappuccino, lese ein gutes Buch. Und dann stehe ich eine Stunde auf der Bühne und reise anschließend wieder fünf Stunden lang zurück.
Hufnagl: Unser Gehirn interpretiert die Welt einmal so – und dann wieder ganz anders. In stressigen Zeiten sind wir schnell von vielen Dingen genervt. Und wenn es uns besser geht, sehen wir in den gleichen Dingen vielleicht sogar das Positive. Zwischen diesen beiden Polen pendeln die meisten Menschen. Unsere Patienten, also Menschen, die sehr pessimistisch sind, mitunter depressiv, sind aber auf der einen Seite gefangen, kommen aus dem Jammern und Klagen kaum heraus.
Dabei es ist so, wie Sie mit Ihrer Frage suggerieren: Es liegt schon auch an uns selbst, nicht nur, aber auch an uns, wie wir mit unangenehmen Dingen umgehen. Zum Beispiel bei Menschen, die nach einem Malediven-Urlaub nur über die zwei Tage Regen meckern, die sie gehabt haben, und über das nicht ganz so üppige Buffet – aber die anderen 12 großartigen Tage in einer phantastischen Umgebung überhaupt nicht erwähnen.
Viele Menschen neigen dazu, in bestimmten Lebensphasen nur das Negative zu sehen und alles andere ausklammern. Die sind übrigens dann auch davon vollkommen überzeugt, dass alles negativ ist. Und das ist ein fataler Prozess.
Hufnagl: Ja klar, vor allem auch, weil wir in der Komplexität der Arbeitswelt arbeits- und zeitteilig unterwegs sind, d.h. wir sind von anderen abhängig. Selbst viele CEOs von Großkonzernen, mit denen ich spreche, fühlen sich nur als Passagier des eigenen Lebens. Da gibt es dann noch den Aufsichtsrat, den Kunden, den Markt, die Globalisierung – niemand kann mehr sagen „Ich bestimme alles, da ist niemand über mir“. Und dann wiederum gibt es Menschen, auch in den untersten Arbeitsebenen, die fühlen sich – ganz subjektiv – eben nicht als Passagiere.
Hufnagl: Die haben gelernt, dass es im Leben darum geht, sich eine ganz wesentliche Fähigkeit zu bewahren: die sogenannte Selbstwirksamkeit. Das ist die Überzeugung, dass ich selbst dazu beitragen kann, wie es mir geht. Das heißt, innerhalb der gesteckten Leitplanken, der Beschränkungen des Alltags, zu erkennen, was sie verändern können und was nicht. Es geht also um die Akzeptanz der Fremdbestimmtheit.
Damit ist aber nicht die Resignation gemeint, die manche Menschen befällt. Diese Menschen glauben, genau zu wissen, wer daran schuld ist, dass es ihnen so schlecht geht. Die kennen die „Täter“.
Ich muss meine Arbeit auch tatsächlich schaffen können. Ich brauche die Ressourcen dafür.Prof. Dr. Bernd Hufnagl
Jene aber, die die Fremdbestimmtheit akzeptieren, die reden nicht von den Tätern, sondern überlegen sich, was sie dazu beitragen können, die Situation zu verändern. Und wenn sie zu dem Schluss kommen, sie können gar nichts dazu beitragen, reden sie nicht mehr darüber.
Das ist ein ganz wichtiger Prozess im Leben jedes Einzelnen. Dass man damit aufhört, ständig über Dinge in einer vergangenheits- und problemorientierten Art und Weise zu denken. Das bedeutet nicht, dass man nicht mehr über Probleme reden darf. Aber wenn man darüber redet, dann differenziert, mit dem Bestreben, selber etwas zur Lösung beizutragen.
Hufnagl: Nein, natürlich nicht. Die Glücksforschung zeigt, dass es selbst bei einer absolut stumpfen, monotonen Fließbandarbeit Menschen gibt, die es schaffen, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Um so einer Arbeit oder auch einer hektischen, fremdbestimmten Büroarbeit einen Sinn zu geben, muss man sich drei Dinge bewahren und auch das Umfeld, also der Arbeitgeber muss dazu beitragen.
Erstens: Ich muss das Gefühl haben, ich kann mich selbst beteiligen, also: Partizipation. Ich kann, zumindest ein kleines bisschen, den Weg bestimmen, den ich zum Ziel gehen will.
Zweitens: Ich muss verstehen können, was ich da tue – und es auch wollen. Ich erlebe in der Arbeitswelt ganz viele Menschen, die scheinbar gar nicht verstehen wollen, warum diese und jene Management-Entscheidung so ausgefallen ist. Sie fragen nicht nach. Sie warten bis zur nächsten Mitarbeiterbefragung und kreuzen dann an „Mir sagt es ja niemand“.
Drittens: Ich muss meine Arbeit auch tatsächlich schaffen können. Ich brauche die Ressourcen dafür. Ich brauche die Kompetenzen, ich brauche auch den richtigen, passenden Job für mich.
Dies alles führt zu dem Gefühl, dass es Sinn macht, was wir tun. Und Sinn zu machen, das ist in der Arbeitswelt das Entscheidende überhaupt.
Hufnagl: Ja, auch. Aber was ich damit grundsätzlich meine, ist nicht der Vorwurf, dass wir grundsätzlich doof arbeiten, oder ohne Hirn, sondern dass wir Erben eines uralten Netzwerkes in unserem Hirn sind, das immerhin zwischen 300 und 150 Millionen Jahr alt ist. Und als Hirnforscher versuchen ich und meine Kollegen immer zu verstehen, wie uns dieser Erbteil prägt. Wir wissen, dass dort ganz viele Fallen eingebaut sind.
Zum Beispiel, dass wir durch das darin verankerte Belohnungssystem quasi gezwungen sind, uns anzustrengen und vor allem das Ergebnis unserer Anstrengungen sofort oder zumindest zeitnah sehen zu können. Ich nenne das die Rasenmäherlogik. Da sehen Sie auch sofort, was Ihre Arbeit bewirkt.
Und Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Menschen, darunter viele Topmanager, mir erzählen, wie gut sie sich beim Rasenmähen entspannen. Oder bei anderen handwerklichen Tätigkeiten. Und auf dieses Gefühl, dieses Bedürfnis muss die moderne Arbeitswelt Rücksicht nehmen.
Hufnagl: Zum Beispiel mit der verstärkten Nutzung agiler Methoden, die ja eigentlich gar nicht so neu sind, aber das nur am Rande. Was diese Methoden leisten, ist, Ursache und Wirkung wieder in einen näheren Zusammenhang zu bringen zusammenzubringen. Das ist wichtig in dieser digitalisierten Welt, wo es oft nur noch Großprojekte gibt, wo es um Meilensteine geht, die oft Monate, wenn nicht Jahre auseinanderliegen, wo zu viel Zeit zwischen den einzelnen Steps vergeht.
Das ist – um es zu wiederholen – nicht hirngerechtes Arbeiten. Es muss, im Selbstmanagement oder in der Organisation, berücksichtigt werden, dass Menschen davon abhängig sind, Ursache und Wirkung ihrer Arbeit wieder unmittelbar zu erleben.
Hufnagl: Ich würde das nicht unbedingt so formulieren. Es geht nicht um Spaß, sondern in erster Linie darum, dass ich jeden Tag erkennen können muss, was ich leiste. Es darf nicht passieren, dass Sie nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause kommen und sich mit diesem unangenehmen Gefühl fragen „Was habe ich heute eigentlich geleistet?“
Diese Intransparenz unserer digitalisierten Welt, dieser Zustand, dass Menschen nur noch von Meeting zu Meeting hetzen und während der Meetings noch Mails schreiben, also dieses fragmentierte Arbeitsleben – das lässt nicht zu, dass wir einen Zusammenhang von Ursache und Wirkung sehen. Darauf müssen wir und unsere Organisationen mehr achten: dass Menschen zufrieden nach Hause gehen.
Und für alle, die damit bei sich selber anfangen wollen, habe ich einen Tipp: Fangen Sie an, ein Leistungstagebuch zu schreiben und, bevor Sie Feierabend machen, aufschreiben „Was war heute meine Leistung? Was habe ich heute wirklich getan?“
Klar, dass ist zusätzliche Arbeit, aber die ist gut investiert. Denn sich seiner Leistung zu vergegenwärtigen, die positiven Aspekte der eigenen Arbeit zu betonen, kann helfen, ihre Einstellung fundamental zu ändern. Dann kommen Sie vom Malediven-Urlaub zurück und erzählen von den zwölf traumhaften Tagen, nicht mehr vom Regen.
Hufnagl: Definitiv mehr Chancen, auch im Gegensatz zu manch anderen, durchaus bekannten, Hirnforschern (lacht). Wir werden nämlich weder dumm noch debil. Natürlich gibt es medizinische Risiken, darüber gibt es ja auch viele Studien. Aber diese Panikmache von manchen Kollegen ist einfach übertrieben.
Ich hätte gerne in dieser Welt studieren und lernen dürfen: in den virtuellen Welten, in denen von Augmented Reality, der mit der direkten und schnellen Verfügbarkeit von Informationen. Für unsere Kinder gibt es – ob in Youtube oder anderen digitalen Räumen – so viele wunderbare Möglichkeiten zu verstehen und lernen, auch ohne Bücher. Das kann ein Lehrer nicht leisten, niemals.
Also: Viel mehr Chancen durch die Digitalisierung, natürlich mit Nebenwirkung. Aber auch hier ist es wie mit vielen Dingen auf der Welt: Die Dosis macht das Gift.
Das Interview führte Ralf Klassen
-----------
Event-Info: Du möchtest Bernd Hufnagl live sehen? Dann sicher Dir gleich ein Ticket: Im Sommer wird er als einer der zahlreichen hochkarätigen Speaker bei der NEW WORK EXPERIENCE (NWX20) auf der Bühne stehen. Diese und mehr spannende, visionäre und mutige Geschichten und Erfahrungen rund um New Work kannst Du bei der NWX am 10. Juni 2020 live erleben. Das von XING initiierte Event ist die größte Austauschplattform zur Zukunft der Arbeit im deutschsprachigen Raum und baut der New Work Bewegung die große Bühne, damit sich immer mehr Menschen und Unternehmen auf den Weg machen.
Sicher Dir jetzt ein Ticket – und werde Teil der New Work Bewegung.
Alle sind eingeladen, ihre Erfahrungen und Kenntnisse zu teilen, um die Diskussionen rund um das neue Arbeiten voranzutreiben und die Arbeitswelt der Zukunft mitzugestalten. Denn New Work ist nur dann der Schlüssel für eine bessere Arbeitswelt, wenn es Ideen, Veränderungen und Tools mit sich bringt, die tatsächlich helfen, funktionieren und angewendet werden können. New Work – make it work! Auf der NWX20.