Müssen wir jetzt mit Verschwörungstheoretikern reden?
Ich habe eine Bekannte, mit der ich eigentlich nicht mehr bekannt sein möchte. Seit die Corona-Pandemie ausgebrochen ist, glaubt sie an Verschwörungstheorien. Sie ist überzeugt, das Virus sie eine Erfindung der Pharmaindustrie. Auf den Straßen demonstrieren inzwischen Tausende wie sie gegen Corona-Maßnahmen mit. Mal glauben sie, Bill Gates habe das Virus in die Welt gesetzt. Mal, dass es das Virus nicht gibt. Meine Bekannte hat Architektur studiert. Und glaubt, es fachlich mit jedem Virologen aufnehmen zu können.
Mir macht der Aufstand der selbst ernannten “Querdenker” Sorgen. Denn wir erleben seit Ausbruch von Covid19 eine Hochblüte der Wissenschaften. Noch nie wurden in so kurzer Zeit so viele Studien publiziert und noch nie mit so viel Tempo und Teilerfolgen an einem Impfmittel gearbeitet. Vom Reproduktionsfaktor R bis zur Wucht einer pandemischen Verbreitung: Im Netz kann sich jeder, der will, mit anschaulich erklärten Daten-Stories wie diese der Washington Post, die sich um die Welt verbreitete, über komplexe, wissenschaftliche Phänomene informieren. So hat auch meine zehnjährige Tochter verstanden, wie exponentielles Wachstum funktioniert. Ich wusste das in ihrem Alter nicht. Und doch: Die Verneiner und die Erklärer - sie kommen einfach nicht mehr zusammen.
Den Trend hin zu alternativen Fakten gab es schon vor Corona. Aber es sind Krisen wie diese, an denen der Fluss der Geschichte oft eine andere Richtung einschlägt. Die Zuversicht in Wissenschaft und Forschung haben es uns in nur hundert Jahren ermöglicht, das Penicillin zu entdecken, zum Mond zu fliegen, das Internet zu erfinden und das menschliche Genom zu entschlüsseln. Wir dürfen uns das Narrativ, dass eine gute Zukunft auf Wissen basiert, jetzt nicht kaputtreden lassen. Nach dem Zusammenbruch der Antike folgte das Mittelalter. Mit ihm verschwanden in Europa viele Errungenschaften, etwa die Kanalisation. Darüber werde ich mit meiner Bekannten doch reden. Denn am Ende vereint uns dieselbe Sorge.
Bleiben Sie gesund,
Ihre Astrid Maier
(Chefredakteurin XING News)