NWX – New Work News

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Alles zur Zukunft der Arbeit

New Work im Maschinenbau: "Bis auf Gehälter und Arbeitszeitkonten legen wir alle Geschäftszahlen offen"

Als Projektmanager schaffte Marco Niebling die klassischen Hierarchien in einem traditionellen Maschinenbauunternehmen ab und gründete kleine, agile und selbstorganisierte Teams. Der gelernte Wirtschaftsingenieur, Industriemechaniker und –kaufmann, initiierte und organisierte bei der Firma HEMA Maschinenbau GmbH die Umgestaltung der Unternehmensorganisation.

Bei den NEW WORK SESSIONS Montabaur am 27.02. erzählt er, wie er das geschafft hat und welche Learnings er aus dieser Umstellung zieht.  Wir haben ihn vorab zum Interview getroffen.

Agiles Projektmanagement wurde bei euch nötig, um für die neuen Herausforderungen im Maschinenbau gewappnet zu sein. Wie hat das den Arbeitsablauf verändert?

Marco Niebling: Unser Ziel war es, dass bei uns jeder die Initiative ergreift und Verantwortung übernimmt. Sonst kommt es irgendwann bei den einen zu Überlastungen und andere sind unterfordert, weil sie vielleicht gute Ideen haben, sie aber nicht umsetzen dürfen. In Workshops haben wir uns Gedanken dazu gemacht, wie sich die Zusammenarbeit mit den Kunden verändern muss, wie wir generell zusammenarbeiten wollen und welche Anforderungen wir ans Unternehmen stellen. Wir haben verschiedene Formate ausprobiert, die uns helfen, die tägliche Arbeit besser zu managen, und haben diese Ansätze in den Arbeitsalltag integriert.

Darüber hinaus evaluieren wir regelmäßig, was gut oder weniger gut läuft. Diese Retrospektiven finden sowohl in der Produktion als auch auf strategischer Ebene statt. Außerdem hat sich ein erweiterter Strategiekreis etabliert, der zum Beispiel Megatrends beobachtet. Wir denken, dass in wenigen Jahren komplizierte Arbeiten durch Automatisierung und Algorithmen abgelöst werden, so dass sich die Bediener komplexeren Tätigkeiten zuwenden können.

Ihr habt die Führungsebene abgeschafft, wie funktioniert das in der Praxis?

Marco Niebling: Wir haben keine „Personen“ abgeschafft, aber wir haben gesagt, dass sich niemand über den anderen erheben soll. Stattdessen wollten wir herausfinden, wo die Stärken jedes einzelnen liegen. Spezialisten und Leute mit Erfahrungen sind in der Vergangenheit zu Führungskräften geworden, ohne dass sie Mitarbeiter führen konnten. Das wollten wir nicht mehr, jedoch wollten wir die Erfahrung im Unternehmen behalten. So kam die Frage auf, welche Tätigkeit dann das Gehalt eines ehemaligen Meisters rechtfertigt. Die Antwort war, dass er zwar keine disziplinarische Führung mehr hat, aber als Spezialist einen Mehrwert für das Unternehmen darstellt.

Der After-Sales-Service zum Beispiel war ein Geschäftsbereich, den wir in den vergangenen Jahren ziemlich vernachlässigt haben. Hier hat sich einer der ehemaligen Meister etabliert. Mit dem neuen Spezialisten hat der Bereich seine Wertschöpfung von 800.000 Euro auf heute über zwei Millionen Euro gesteigert. Das erklärt dann natürlich auch ein entsprechendes Gehalt.

Zuvor hatten Führungskräfte oftmals die unglückliche Aufgabe, mehr oder weniger nur Anweisungen weiterzugeben. Damit kommt man in einer komplexen Welt nicht weiter. Aber mit entsprechender Begleitung des Umwandlungsprozesses haben alle unsere vormaligen Führungskräfte gute Spezialistenrollen bei uns gefunden, sind erfolgreich und fühlen sich dem Unternehmen zugehörig.

Aus welchen Bereichen setzen sich die Teams zusammen – und wer fällt eine endgültige Entscheidung, wenn es Differenzen gibt?

Marco Niebling: Wir haben interdisziplinäre Teams gebildet, die verschiedene Wertschöpfungen bei HEMA bearbeiten – ein Team Standardmaschinen, ein Team After-Sales und ein großes Team Sondermaschinen. Sie alle versuchen, ohne Führungskräfte, ohne Meister oder Produktionsleiter ihre tägliche Arbeit zu organisieren, zu optimieren und effektiv zusammenzuarbeiten. Die Kommunikation unterscheidet sich dabei stark. Die einen treffen sich wöchentlich, die anderen stimmen sich täglich ab. Am Anfang ist es manchmal vorgekommen, dass Besprechungen endlos waren und zu lange diskutiert wurde. Aber inzwischen haben wir definiert, welche Art von Entscheidungen bei uns anstehen und auf welche Weise wir sie treffen wollen.

Es gibt Entscheidungsrahmen mit klarem Commitment vom Management und von der Geschäftsführung, die es natürlich noch gibt und die sozusagen den ganz großen Hut auf hat. Dazu müssen folgende Fragen geklärt sein: Welche Entscheidungen sind wir bereit abzugeben? Worüber wollen wir noch informiert werden beziehungsweise was könnt ihr tun, ohne uns zu informieren? Letztendlich haben wir festgestellt, dass es bei uns eigentlich immer weniger Abstimmungsbedarf gibt, weil das Verantwortungsgefühl in die Haltung jedes Einzelnen übergeht und in seine Handlungen einfließt.

Natürlich stärken Erfolge dann auch das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter und das kann dazu führen, dass sie sogar mal mehr entscheiden, als sie ohne Rücksprache sollten. Aber besser zu viel als zu wenig. Wenn das nicht passt oder wenn es deshalb zu Fehlern kommt, diskutiert man dann offen darüber und optimiert die Abläufe.

Transparenz und Agilität sind bei New Work wichtige Parameter. Wie weit geht die Transparenz in eurem Unternehmen?

Marco Niebling: Bis auf Gehälter und Arbeitszeitkonten legen wir alle Geschäftszahlen offen. Diese Einschränkung wollten wohlgemerkt die Mitarbeiter, nicht das Management. Aber auch das Thema Gehälter würde ich gern transparent machen, weil immer mal wieder herauskommt, wie viel jemand verdient. Und dann fühlt sich ein Kollege vielleicht ungerecht behandelt, weil er nicht nachvollziehen kann, warum der andere ein bisschen mehr verdient als er selbst.

Aber ansonsten herrscht volle Transparenz. Dabei werden die Zahlen von uns natürlich auch interpretiert, weil nicht alle in der Lage sind, die Bilanzen zu lesen. Aber jeder kann sehen, ob es dem Unternehmen gut geht oder nicht, ob wir auf Erfolgskurs sind oder ob jeder Einzelne noch mehr Einsatz zeigen muss.

Dieser Prozess der Organisationsumstellung hat sicher nicht reibungslos funktioniert, wo gab es Hürden und wie habt ihr sie überwunden?

Marco Niebling: Das größte Problem war, dass wir am Anfang keine Vision hatten. Wir hatten ein tolles operatives Geschäft, wir hatten einen Großauftrag aus Russland und sind davon ausgegangen, dass wir auch Folgeaufträge bekommen. Und dann kam die Annexion der Krim samt der darauf folgenden Sanktionen. So ist uns das komplette Russlandgeschäft zusammengebrochen. Es erforderte großen Mut, sich in dieser Phase Gedanken über die Zukunft zu machen, eine Vision zu entwickeln und fundiert zu erklären, was wir künftig wollen oder eben nicht mehr wollen. Es war ein harter Weg, aber es hat sich gelohnt. Wir haben in eine zukunftsfähige Branche investiert und ernten heute die Früchte.

Ein anderes Problem war, bei der Umstellung auf das agile Projektmanagement mit den Egos von Führungskräften umzugehen. Wir mussten ihnen aufzeigen, dass sie für das Unternehmen noch wichtig sind und ihnen helfen, mit dem Statusverlust fertig zu werden. Generell war es für alle schwierig, die wirtschaftlichen Auf- und Abschwünge zu bewältigen. Es ist eine Herausforderung, das Team bei Laune zu halten, wenn der Erfolg ausbleibt. Aber wenn sich der neue Weg auszahlt und man gemeinsam durch die Krise gekommen ist, dann sind sich alle bewusst, dass das System gut ist und alle ziehen mit.

Du hast diesen Umbruch im Unternehmen initiiert und begleitet. Mit welchem Ansatz bist du herangegangen, was musstest du selbst lernen?

Marco Niebling: Ich bin erst einmal ganz klassisch an die Sache herangegangen und habe versucht, ein Projekthandbuch zu schreiben – um dann festzustellen, dass sich für komplexe Prozesse und Organisationen ein Handbuch nicht eignet, sondern es der agile Ansatz ist, der uns weiterbringen kann. Sprich: Ich habe eigentlich erst einmal ein Jahr umsonst gearbeitet. Ich musste dann meinen Chefs sagen, dass das, was ich bisher gemacht habe, nutzlos ist und dass wir etwas Neues ausprobieren sollten. Das war keine Sternstunde, aber es war ein wichtiger Schritt, zu dem auch Mut gehörte.

Es gibt Stimmen, die New Work als „Hype“ bezeichnen – wie stehst du zu dieser Haltung?

Marco Niebling: Für mich bedeutet New Work Selbstwirksamkeit, Selbstorganisation, Agilität. Es kann uns helfen, in einer komplexen Welt eine Zukunft zu haben. Allerdings stelle ich fest, dass viele Unternehmen dabei zu stark auf angenehmes Arbeiten setzen, ohne den Kunden und den Unternehmenserfolg im Fokus zu behalten. Dabei entstehen einfach nur Wohlfühloasen. Das kann man verhindern, indem man eine klare Vision davon hat, wohin man sich entwickeln möchte und wie alle davon profitieren können. Uns ist das gelungen.

Wir haben unseren Mitarbeitern viele Freiheiten ermöglicht, aber immer im Kontext: Wie machen wir unseren Kunden glücklich? Der zahlt letztendlich unsere Gehälter, mit dem wollen wir gemeinsam wachsen. Wir wollen seine Engpässe erkennen, die er vielleicht selbst noch gar nicht sieht und dafür zukunftsfähige, innovative Produkte oder Dienstleistungen entwickeln. Letztendlich geht es immer um die Frage: Ist es sinnvoll, dass es mein Unternehmen noch gibt, oder wäre es vielleicht besser, wenn wir den Laden dicht machen und etwas anderes, sinnvolleres suchen?

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Event-Info: Mehr Tipps und Insights zum Thema gibt es außerdem bei den NEW WORK SESSIONS am 27.02. in Montabaur. Marco Niebling ist dort einer der zahlreichen Teilnehmer des Events, das wir in Kooperation mit der Akademie Deutscher Genossenschaften (ADG) auf die Beine stellen.

Worum geht's bei den NEW WORK SESSIONS? Fokusthemen sind Partizipation, Kooperation, Kollaboration, inspirierende New Work-Konzepte und die genossenschaftliche Idee von Schulze-Delitzsch und Raiffeisen – ein Tag voller Impulse, Austausch und spannenden Sessions. Mehr Informationen und Tickets finden Sie unter diesem Link.

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