New Work in 9.400 km Entfernung

Interview mit Corina Hoch, Marketing- und Kommunikationsexpertin, über ihre Auswanderung nach Mexiko, Chancen und Herausforderungen von New Work sowie die Rolle von Führungskräften in diesem Prozess.
Corina, Dir hat ein Urlaub in Mittelamerika so gut gefallen, dass Du kurz darauf dorthin ausgewandert und seitdem von Mexiko aus für deutsche Kunden tätig bist. Dein erster Kunde war kein anderer als Dein früherer Arbeitgeber, viele weitere deutsche Kunden sind dazugekommen. Ein Paradebeispiel für die schöne neue Arbeitswelt?
Als der österreichisch-amerikanische Soziologe Frithjof Bergmann den Begriff „New Work“ prägte, ging es um Transformation von Arbeitsprozessen. Umgemünzt auf meine Geschichte ist es für mich unglaublich innovativ und mit sehr viel Freiheit verbunden, dass ich mit meinem Wissen von einem Standort aus arbeiten kann, der mir persönlich enorme Freude bereitet. Ich lebe hier ganz nach dem Motto „High-Tech-Self-Providing“, das heißt Selbstversorgung auf „höchstem“ technischem Niveau. Also meine persönliche Transformation. Was besonders erfreulich ist, so viel positives Feedback, wie seit meinem Umzug nach Mexiko, habe ich für meine Arbeit noch nie bekommen.
Machst Du Deinen Ortswechsel dafür verantwortlich?
Nicht den Ortswechsel, sondern die Balance, die ich durch den Ortswechsel erlangt habe. Ich bin seither deutlich zufriedener und ausgelassener. Und zufriedene Mitarbeiter beziehungsweise Freelancer liefern bessere Ergebnisse. Verschiedene Studien bestätigen, dass Mitarbeiter die Freiheit brauchen, sich selbstständig nach ihren Stärken zu organisieren. Die daraus resultierende Zufriedenheit steigere nicht nur ihre Kreativität und Effizienz, sondern auch die Qualität der Arbeitsergebnisse. Glückliche Mitarbeiter leisten mehr und spielen ihre Stärken aus. Ich bin ein sehr gutes Beispiel dafür.
Die University of Warwick, Marktforschungsinstitute wie Gallup oder auch die ZEIT haben Studien veröffentlicht, die dem Verhalten von Führungskräften einen großen Einfluss auf die Emotionen ihrer Mitarbeiter zuschreiben. Welche Rolle spielen Führungskräfte bei der Umsetzung von New Work?
Heutzutage heißt es immer, die neuen Generationen fordern sehr viel. Doch gleichzeitig müssen Führungskräfte erkennen, dass sich der Markt ändert. Es ist wichtig, Flexibilität, Vertrauen und Führen auf Augenhöhe viel stärker zu leben. In manchen Köpfen ist jedoch verankert, dass Mitarbeiter oder Freelancer weniger leisten, wenn diese nicht am selben Ort sind. Daraus resultiert das Gefühl, regelmäßig Kontrolle ausüben zu müssen. Wenn ich hingegen spüre, dass mir meine Führungskraft beziehungsweise mein Auftraggeber vertraut, bin ich eher dazu bereit, meine eigenen Ideen zu äußern. Wer Vertrauen schenkt, bekommt eine ganze Menge zurück.
Nehmen wir beispielsweise einen Mitarbeiter, der die Sonne liebt und Frühaufsteher ist. Dazu einen zweiten Mitarbeiter, der eher nachtaktiv ist. Er liebt die dunklen Tage. Wenn man dem ersten Mitarbeiter die Chance gibt, früher ins Büro zu kommen und ihm am Nachmittag einen Platz am Fenster mit viel Licht zuteilt, liefert er andere Ergebnisse als in den normalen Bürozeiten und in der Mitte eines Großraumbüros. Der nachtaktive Mitarbeiter sollte hingegen morgens am großen Fenster mit viel Licht arbeiten, damit sein Kreislauf in Schwung kommt. Gegebenenfalls gewährt man ihm, dass er später ins Büro kommen kann, und dementsprechend abends länger bleibt. Beide Mitarbeiter bekommen ein bisschen mehr Freiraum und sind in der Regel sehr dankbar für diese Gesten. Dies spiegelt sich normalerweise auch in deren Arbeitsergebnissen wider. Führungskräfte müssen dieses Vertrauen mitbringen und sich überlegen, was sie mit solchen Kleinigkeiten erreichen können. Nämlich zufriedene Mitarbeiter, eine höhere Effizienz, mehr Kreativität und bessere Leistungen.
Vertrauen ist also Deiner Meinung nach einer der Schlüsselfaktoren für eine erfolgreiche neue Arbeitswelt.
Aus meiner Sicht ist Vertrauen der wichtigste Schlüsselfaktor. Dieses muss man sich allerdings zunächst erarbeiten. Als ich auswanderte, ging mein Umfeld davon aus, dass ich meine Karriere in Mexiko fortführen würde. Doch dann entschied ich, als Freelancer im Home-Office Unternehmenskommunikation und Marketing für deutsche Auftraggeber zu betreiben. Das häufigste Vorurteil mit dem ich konfrontiert wurde: Ich werde dort dann häufiger am Strand liegen und weniger produktiv sein. Solche Aussagen spornen mich zwar erst recht an, dennoch stehe ich jeden Tag mit dem Gefühl auf, etwas ganz Besonderes leisten und liefern zu müssen, damit ich meine Projekte auch am nächsten Tag noch habe. Im Ausland zu leben war ein Herzenswunsch von mir, am liebsten mit viel Sonne und Strand. Durch die Zeitverschiebung nach Deutschland stehen mir meistens jedoch nur fünf Stunden zur Verfügung, um innerhalb der normalen Geschäftszeiten mit den deutschen Unternehmen zu kommunizieren. Mein Arbeitstag beginnt daher um sechs Uhr morgens und in diesem Moment muss ich zu 100 Prozent wach und fokussiert auf unterschiedlichste Projekte sein.
Um Unternehmenskommunikation und digitales Marketing zu betreiben, muss ich trotz der Entfernung und Zeitverschiebung Teil des Teams sein. Während andere in den Büros viel mitbekommen, muss ich eine deutlich stärkere Durchsetzungsfähigkeit und Ausdauer haben, um notwendige Informationen zu erhalten. Für diese besondere Form des Freelancing muss man geschaffen sein, denn es bedarf eine hohe Selbstmotivation und viel Durchhaltevermögen, eine sehr organisierte und strukturierte Arbeitsweise, Hartnäckigkeit und eine Hands-On-Mentalität.
Obwohl viele Unternehmen von sich behaupten, modern zu sein, fehlt ihnen der direkte Kontakt zu mir und sie wollen mich gerne persönlich treffen, bevor sie eine Zusammenarbeit eingehen. Was in meinem Fall schwieriger ist, jedoch nicht unmöglich.
Steht das nicht im Widerspruch zu Deiner Aussage, dass Du nach Deiner Auswanderung durch die Flexibilität in Deiner Arbeitstätigkeit glücklicher und zufriedener geworden bist?
Das kann man so und so sehen. Für mich ist jeder Tag eine Challenge, die ich gerne annehme, ohne das Gefühl zu haben, in einem Hamsterrad zu sein. Ich fühle mich eher gefordert und angespornt, als unter Druck gesetzt. Es gibt jedoch auch Menschen, die klare Anweisungen und direkte Kommunikation brauchen. Hier ist es die Pflicht der Führungskraft und der Mitarbeiter, dies richtig einzuschätzen.
New Work ist also nichts für jedermann, dennoch sollten Unternehmen offen für alternative Arbeitsmodelle sein?
Gerade an weniger lukrativen Standorten oder in einem Umfeld, das von hohem Wettbewerb geprägt ist, erwarten viele, dass man alles über Geld regeln müsse. Doch ich bin der Überzeugung, dass bestimmte Benefits viel mehr bewirken können: sei es, einmal die Woche im Home-Office zu arbeiten, Sabbaticals zu ermöglichen, Shared Arbeitsplätze einzurichten, flexible Arbeitszeiten anzubieten und so weiter. Natürlich gibt es Jobs, wo das nicht funktioniert. Aber es gibt genügend Situationen, in denen man Mitarbeitern mehr Flexibilität einräumen kann. Das macht sie zufriedener, gelassener und fokussierter auf die Arbeit.
Das Interview führte Susan Höntzsch
Zur Person:
Nachdem sie 16 Jahre lang als Angestellte in unterschiedlichen Unternehmen für Marketing und Unternehmenskommunikation verantwortlich war, wanderte sie 2016 nach Mexiko aus. Seither arbeitet sie freiberuflich als strategische Unternehmens- und Kommunikationsberaterin für deutsche Kunden. Sie sagt über sich selbst: „Während der Arbeit „deutsch“ zu funktionieren und danach „mexikanisch“ zu entspannen, ist meine gesunde Work-Life-Balance.“

Weiterführende Informationen:
• Gallup, „State of the Global Workplace”, 2017.
• Infas für die ZEIT, „Mein Job und ich“, 2018.
• University of Warwick, „Happiness and Productivity”, 2014.
• Willis Towers Watson, „Global Benefits Attitudes Survey”, 2014.
Über die Autorin:
Als Diplom-Psychologin, Karrierecoach und Trainerin bin ich Expertin für berufliche Neuorientierung und Karriereplanung. Mein Motto „Karriere ist eine Reise. Der Weg ist das Ziel.“ spiegelt sich in meiner Arbeit wider. Seit 2017 lebe ich in Kanada - insbesondere in die Bedürfnisse von Auswanderern und Expatriates beim beruflichen Neuanfang im Ausland aber auch bei der Reintegration in Deutschland kann ich mich daher sehr gut einfühlen.

