© Dr. Tina Ruseva

Purpose in der Arbeitswelt: „Die Suche nach dem Sinn ist ein Teil von uns“

Das „Big & Growing“ Festival, das seit Donnerstag stattfindet, möchte zeigen, dass „Purpose“ für die Arbeitswelt viel mehr ist als ein modisches Schlagwort. Im Interview spricht Mitorganisatorin Tina Ruseva über Sinn und Zweck für New Work, ein veraltetes Wirtschaftsdenken und die Grenzen zwischen Beruf und Privatem.

Frau Dr. Ruseva, Sie fungieren beim “Big & Growing” Festival, das Sie mitveranstalten, als “Head of Purpose“. Was für eine Aufgabe hat man denn mit diesem Titel genau?

Dr. Tina Ruseva: Ich bin persönlich und beruflich dem sinnorientierten Schaffen sehr verbunden. Ich möchte, dass alles einen Purpose hat – und zwar in genau der Weise, wie die beiden deutschen Übersetzungen dieses Begriffes lauten: nämlich Sinn und Zweck. Den Sinn tragen wir meistens in uns, das sind Motivation, Leidenschaft und Werte, die uns treiben. Der Zweck dagegen ist meistens ein externer Faktor: Wem dient das, was wir machen?

Und darum versuchen wir auch mit dem Festival nicht nur unsere persönliche Leidenschaft für das Neue Arbeiten auszuleben, sondern auch darauf zu achten, dass die Außenwelt, sprich die Besucher, möglichst viel davon mitnehmen.

Nun ist von Purpose ja neuerdings sehr viel die Rede im Zusammenhang mit der Arbeitswelt. Selbst Unternehmen, denen man das gar nicht zugetraut hatte, sprechen jetzt begeisternd von ihrem Purpose, der edlen Mission, die sie umtreibt. Ist das nicht oft ein wenig zu viel Buzzword-Geplapper?

Ruseva: Auf jeden Fall. Es ist das Gleiche wie mit der Klimadebatte, schließlich haben wir ja auch nicht erst seit zwei Jahren eine Klimakrise. Für das Buzzword-Phänomen gibt es mehrere Gründe: Zum einen hat das Thema Purpose nun eine kritische Masse erreicht, und ist damit ein gesellschaftlich relevantes Masseninteresse geworden. Das ist die gute Nachricht, weil jetzt immer mehr Menschen über den Sinn und Zweck der Dinge reden, die wir erwirtschaften und erschaffen und welche Wege wir dazu beschreiten.

Die schlechte Nachricht ist, dass bei jedem Buzzword irgendwann die Müdigkeit einsetzt, man davon nichts mehr hören will. Darum müssen wir immer darauf achten, bei den Tatsachen und Fakten zu bleiben und nicht auf Metaebenen zu geraten...

...oder auch, weil Sie davon sprachen, nicht nur Green-Washing zu betreiben, also so tun, als ob man nun als Marke sehr ökologisch unterwegs ist, sondern nun auch Purpose-Washing.

Ruseva: Ja, das stimmt, mit Purpose-Washing versuchen sich jetzt viele Unternehmen zu positionieren, weil das in Sachen Image, Mitarbeitergewinnung und -motivation etc. viele Vorteile hat. Sie bleiben aber oft an der Oberfläche und bei bloßen Aussagen. Dabei haben wir heute durch den technologischen Fortschritt doch die Möglichkeit, die Antwort nach dem Sinn unseres Tuns, viel umfassender und tiefer anzugehen.

Sie halten die technologische Entwicklung, vor allem die Digitalisierung, für den entscheidenden Faktor bei dieser Wandlung?

Ruseva: Ja, das sind auch wichtige Themen unseres Festivals. Sehen Sie, es verändert sich derzeit so viel in allen Bereichen des Arbeitslebens: „Neue Menschen“, also die Generationen Y, Z und all die nachfolgen, kommen zusammen in neuen Arbeitsumgebungen, wie etwa Co-Working-Büros. Sie nutzen neue, kollaborative Tools für Arbeit und Kommunikation wie Slack und andere, die ihnen neue Zusammenarbeitsformen ermöglichen, wie agile Projekte oder virtuelle Teams.

Das wiederum hat Folgen für die Führungskultur in unseren Unternehmen: Wie führt man nun diese „neuen Menschen“, in dieser sich rasend schnell verändernden Arbeitswelt? Das erfordert neue Zielsetzungen, die sich nicht mehr ausschließlich an KPIs und Umsätzen orientieren, sondern eben an Fragen von Sinn und Zweck des eigenen Unternehmens. Diese grundlegenden Fragen betreffen aber nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Kultur, Politik und vieles mehr.

Hilft Technologie ihrer Meinung nach also dabei, den alten Widerspruch aufzulösen, zwischen dem einst einzigen Zweck des Unternehmens, nämlich möglichst viel Gewinn zu erzielen, und der Sinnsuche des Arbeitsnehmers auf der anderen Seite?

Ruseva: Ja, genau darüber müssen wir sprechen. Durch die Digitalisierung entstehen nicht nur Möglichkeiten für weltweite Geschäfte, und das nahezu zum ersten Mal in der Geschichte der Menschen für fast Jedermann, sondern auch Risiken. Die exponentielle Produktivität mit der mittlerweile Software, AI und KI funktioniert, geben uns so viele Chancen. Ein junges E-Commerce-Startup zum Beispiel kann sein Geschäft heutzutage wahnsinnig schnell skalieren. Aber wenn es dabei nicht rechtlich korrekt zugeht oder nicht nachhaltig produziert, läuft es sofort Gefahr, ebenso schnell einen massiven Impact auf Umwelt und Gesellschaft zu haben. Und darum ist für mich reines Wirtschaften nach alten Maßstäben in einer vollkommen verbundenen Welt mit ihren endlichen Ressourcen nicht mehr vertretbar.

Und wie sieht es mit dem einzelnen Menschen aus? Also wo man Purpose wirklich gut übersetzen kann mit jener „Sinnhaftigkeit“, die man für die eigene, alltägliche Arbeit empfindet. Gibt es aus Ihrer Sicht Kriterien für eine in diesem Sinne besonders sinnvolle Arbeit?

Ruseva: Ich glaube, diese Kriterien sollte jeder selbst für sich erarbeiten. Für mich ist das immer die Kombination aus Sinn UND Zweck: Wie passt diese Arbeit zu mir, und was bringt sie anderen? Wenn eine dieser Komponenten fehlt, wenn ich etwa nur für andere da bin, aber mich in keinster Weise damit identifizieren kann, dann ist etwas nicht in Ordnung. Umgekehrt gilt das übrigens genauso.

Kann diese „Sinnhaftigkeit“ zum prägenden Begriff von New Work werden?

Ruseva: Ich denke schon. Purpose – um diesen Begriff mal wieder zu verwenden – kann unser Orientierungsstein sein, um all diese Veränderungen unserer Werte, Technologien, Organisationen und Ziele zu vermessen.

Manch einer aber möchte ja möglicherweise gar nicht seinen Lebenssinn in der Arbeit finden, sondern eher im Privaten. Gibt es diese Grenze zwischen Arbeit und Leben für Sie persönlich nicht?

Ruseva: Diese Frage bekomme ich sehr oft gestellt. Und die Meinungen darüber gehen sehr weit auseinander. Ich habe die Frage nur für mich gelöst und lebe gerne dieses purpose-orientierte Sein, in allen Bereichen meines Lebens. Ich glaube, man kann die Suche nach dem Sinn nicht vom Individuum entkoppeln, sie ist ein Teil von uns und bleibt damit auch Teil von allem, mit dem wir gerade beschäftigt sind. Aber sicher, das ist in der einen beruflichen Situation bestimmt leichter zu erfüllen und zu erleben als in der anderen.

Und was wünschen Sie sich für Ihr „Big & Growing“-Festival?

Ruseva: Eines unserer Ziele ist es, die unterschiedlichen Welten, die bei uns zusammenkommen, wirklich miteinander zu verbinden, einen echten Mehrwert zu schaffen. Die Zukunft der Arbeit kann nicht in den Silos von Startups, HR-Experten, Technologie-Firmen, Coaches oder Führungsetagen von Konzernen erarbeitet werden. Dazu möchten wir gemeinsam mit allen Beteiligten eine Landkarte von New Work entstehen lassen, die zeigt, an welchen Punkten wir auf dem Weg dorthin eigentlich genau stehen. Und schließlich wollen wir mit diesem Festival-Konzept auch selbst die Prinzipien von New Work vorleben, das Dezentrale, die Inklusion und auch das Adaptive, bei dem nicht von Anfang an feststeht, wie das Endergebnis aussehen wird. Wenn es uns gelingt, damit einen ersten Impuls zu setzen, wäre das sehr schön.

Das Interview führte Ralf Klassen

Zur Person: Dr. Tina Ruseva, die Initiatorin des Big & Growing Festivals, ist mehrfache Gründerin in der Münchner Tech-Szene, Buchautorin und Expertin für Arbeiten mit Purpose. Die 36-Jährige, zweifache Mutter ist Geschäftsführerin der Firma Mentessa, mit der sie Mentoringprogramme digital begleitet und sich auch als Mentorin selbst insbesondere Mädchen und Frauen in MINT-Fächern unterstützt.

Event-Info: Acht Tage zum Thema New Work und jede Menge Networking – das erleben Sie bei der Premiere des Big & Growing New Work Festivals vom 14. bis 21. November in München.

Über ganz München verteilt öffnen die verschiedensten Unternehmen, Organisationen und Initiativen ihre Türen, wobei es über 50 Sessions in mehr als 10 Locations zu verschiedensten Zeiten in der Stadt geben wird! Die Mission hinter Big & Growing: “Make purpose work”. Alle Stakeholder im Bereich New Work sollen bei dem Festival zusammengebracht werden, um sich in einem dezentralen, inklusiven und adaptiven Ansatz über die Zukunft der Arbeit auszutauschen. Das Festival versteht sich als eine interaktive Plattform.

Wir von XING glauben an eine Arbeitswelt, in der Menschen sich selbst verwirklichen und ihre Potenziale entfalten können. Wir sind überzeugt: Das macht nicht nur den Einzelnen zufriedener und glücklicher – sondern gleichzeitig Unternehmen erfolgreicher. Mit passenden Veranstaltungen in ihrer Nähe helfen wir Business Professionals vom Absolventen bis zur Führungskraft, ihr berufliches Netzwerk zu stärken und sich in der neuen Arbeitswelt ständig weiterzuentwickeln. In dieser Rolle fungieren wir als Hauptpartner des Big & Growing Festivals.

Alle Infos sowie die Anmeldung zum Big & Growing Festival: www.bigandgrowing.com

Im Rahmen des Festivals trifft sich auch die Münchner XING HR Community und diskutiert rund um das Thema „Neugier & Kreativität in HR“. Weitere Infos und Tickets gibt es hier.

NWX – New Work News schreibt über Alles zur Zukunft der Arbeit

Alles zur Zukunft der Arbeit: Auf dieser News-Seite finden alle New Work-Interessierten multimedialen Content rund um das Thema. Neben Experten-Interviews, Debatten, Studien, Tipps und Best Practices, erwarten die Leser auch Video- und Podcastformate. Und natürlich ein Überblick unserer gesamten New Work Events, die mehrmals im Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum stattfinden. Weitere spannende Inhalte zum Thema New Work finden Sie auf: nwx.new-work.se

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