Sind Büros bald überflüssig?
Mit der massenhaften Arbeit im Home Office, wie sie die Coronapandemie ausgelöst hat, häuft sich die Frage: Brauchen wir Büros in Zukunft überhaupt noch? Die kurze Antwort lautet: Ja. Die lange: Sie werden sich verändern müssen, um Unternehmen und Beschäftigte leistungsfähig zu halten. Ein Einblick in die Welt künftiger Bürogestaltung.
Immer mehr Menschen haben ihren Arbeitsplatz im Büro – vom Einzelbüro bis zum Großraumbüro, vom Beamten bis zur Softwareentwicklerin. Gerade für die sogenannten Wissensarbeiterinnen und Wissensarbeiter geht ohne Büro nichts. Doch die Arbeitswelt verändert sich. Sie wird digitaler, komplexer und verlangt flexiblere Antworten. Schon vor der aktuellen Krise haben sich Unternehmen und Wissenschaft daher Gedanken gemacht, wie Büroarbeitsplätze gestaltet sein müssen, damit Menschen leistungsfähig bleiben und kreativ sein können. Auch die Lern- und Experimentierräume des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), die Betriebe darin unterstützen, neue Arbeitsweisen zu erproben, haben viele dieser Ansätze begleitet.
Ein häufiger Weg ist die Einrichtung von Kreativräumen. Gemeint sind Raumkonzepte, die abseits starrer Bürostrukturen kreatives Arbeiten fördern sollen. Sie kommen wahlweise mit Tischtennisplatten, Sitzsäcken und Smartboards daher wie bei den Berliner Wasserbetrieben; mit eigener Küche, Sofaecke und beschreibbaren Glaswänden wie beim Hannoveraner Energiedienstleister GETEC net oder mit Bastelmaterial und Tablets wie bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG). Dabei spiegelt sich der Wunsch nach mehr Offenheit und Experimentierfreude auch in der Wahl und Ausgestaltung der Räumlichkeiten wider: Der Kreativcampus der BVG umfasst gleich 350 Quadratmeter, gelegen in einem ehemaligen Gewerbehof, umgeben von Start-ups. Der „Erlebnisraum Führung“ der Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit, in dem Führungskräfte u. a. mit Metall und Holz bauen, hat eher Werkstattcharakter.
Die „Smart Workspaces“ von Microsoft Deutschland machen gleich ganz Schluss mit dem klassischen Büro: Die Beschäftigten entscheiden nicht nur, wann sie arbeiten, sondern auch, wo – und das auch innerhalb des Büros. In der Münchener Zentrale gibt es nur noch leise Zonen zum Nachdenken oder Abarbeiten von E-Mails oder laute Zonen für Teamarbeit und Workshops. Festnetztelefone sind abgeschafft. Kommuniziert wird über Smartphone und Notebook, Skype und Co.
Doch trotz aller Freiheiten: „Das Büro ist noch lange nicht Geschichte“, sagt Beatriz Arantes vom Münchener Learning + Innovation Center von Steelcase. „Aber es verändert sich. Arbeit ist eine soziale Tätigkeit, und wir brauchen Orte, an denen wir uns treffen und gemeinsam Probleme lösen können.“ Das sieht auch Bianca Bauer, Change Agent bei Microsoft, so: „Manchmal besteht das Bedürfnis, sich direkt mit den Kolleginnen und Kollegen auszutauschen. Dieses Zusammenkommen, um Dinge persönlich zu entwickeln und in einem innovativen Umfeld auszuprobieren – genau das wollen wir mit unserem ‚Smart Workspace‘ erreichen.“ Für Beatriz Arantes zählt dabei: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich in ihrer Arbeitsumgebung wohlfühlen. Es geht aber nicht nur um kognitives und physisches Wohlbefinden, sondern auch darum, dass die Unternehmenskultur im Raum erlebbar wird und sich die Mitarbeitenden damit verbunden fühlen.“
Der unkonventionelle, moderne Büroarbeitsplatz wird so auch zum Ausdruck einer neuen Unternehmenskultur – weg von monotonen Abläufen hin zum agileren Arbeiten. Die „netzwerkstatt“ von GETEC net etwa ist nicht nur ein umgewidmetes altes Möbellager mit anderen Farben und Materialien als im Rest der Firma. Sie ist auch frei zugänglich für alle Beschäftigten, die dort in nichthierarchischen, eigenverantwortlichen Teams zusammenarbeiten. Das Ziel: in einer anderen Umgebung neue Methoden ausprobieren, Zukunftsthemen identifizieren und Geschäftsideen entwickeln.
GETEC-net-Mitarbeiter Tim Dittmar erklärt, was die „netzwerkstatt“ so besonders macht:
Gerade die Möglichkeit, sich am Arbeitsplatz mit seiner Individualität einbringen zu können und Vielfalt zu erleben, trägt zu Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden bei, weiß Dr. Stefan Rief, Mitglied des Direktoriums des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation. Das wird sich auch auf die Bürogestaltung auswirken: „Das Büro der Zukunft wird vielfältiger sein. Es wird kleine Zellen zur phasenweisen Nutzung geben sowie offene Bereiche, wo ich darüber informiert werde, was in der Organisation passiert“, erläutert Rief. Vor allem aber rückt durch die Digitalisierung das Individuum verstärkt ins Zentrum. Galt früher bei der Arbeitsgestaltung die Frage, was tut dem Durchschnitt gut, können Beschäftigte in einer selbstlernenden Umgebung nun herausfinden, welche Temperatur oder Beleuchtungsstärke ihnen beim Kreativsein hilft.
Auch in anderen Bereichen könnte die Flexibilität in Zukunft noch weitergehen. So erwartet Bernd Fels vom Beratungsunternehmen if5 anders arbeiten, dass durch die Digitalisierung vor allem Projekt- und Pionierarbeit zunehmen werden, die wiederum agile Prozesse und die stärkere Einbindung interner und externer Partner benötigen. Für die Büroarbeit heißt das: „Man wird seinen Job vermehrt mit anderen Abteilungen und Netzwerkpartnern machen“, so Fels. Das heißt: außerhalb des eigenen Büros. Gelingen werde das nur mit einem anderen Verständnis von Zusammenarbeit und Führungskultur. „Viele Unternehmen sind da noch nicht, aber dort müssen sie hin. Dabei kann das Bürogebäude unterstützen.“
Wie man die Bürogestaltung gemeinsam mit den Beschäftigten voranbringen kann, erläutert Bernd Fels, Geschäftsführer und Mitbegründer von if5:
Dass es funktioniert, hat etwa Microsoft längst bewiesen: „Die Zufriedenheit unserer Beschäftigten ist sehr groß“, sagt Bianca Bauer. „Daneben wandelt sich die Wahrnehmung von Microsoft als Arbeitgeber: Wir werden ‚cooler‘. Dazu trägt natürlich unser ‚Smart Workspace‘ bei, der eine breite Außenwahrnehmung erzeugt hat. Aber wir wandeln uns auch bei den Produkten und den Strukturen im Unternehmen. Alles zusammen bewirkt positive Bewerberzahlen.“
Service-Info: Mit dem Webportal experimentierräume.de bietet das BMAS eine Plattform, auf der Unternehmen und Verwaltungen durch inspirierende Beispiele Impulse erhalten, um neue Wege in Richtung Arbeitswelt der Zukunft zu gehen. In einer regelmäßigen Artikelreihe werden ausgesuchte Beispiele der Experimentierräume hier vorgestellt.