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Sinnsuche im Job: Purpose darf kein Luxus sein

„Je mehr Du Purpose im Außen suchst, desto weniger findest Du ihn“, ist sich Anaïs Bock sicher. Als Gründerin hilft sie Arbeitnehmenden und Firmen, ihren Purpose zu formulieren. Mit uns hat sie über Erfüllung im Job gesprochen, und wie jede·r mit wenigen Fragen herausfindet, wo er oder sie auf dem Weg dorthin gerade steht.

Der Begriff Purpose hat in der New Work Debatte zuletzt deutlich an Bedeutung gewonnen. Würdest du sagen, Corona ist ein Purpose-Treiber?

Anaïs Bock: Ein großes Ja. Ich glaube, dass die aktuelle Situation dazu geführt hat, dass viele Menschen hinterfragen, was sie machen und warum. Einige sind auch auf die Nase geflogen. Andere hatten vielleicht bisher wunderschöne Scheuklappen auf. Sie hatten sich mit ihrem jährlichen Trip nach Bali und ihrem Konsum davon abgelenkt, dass sie doch nicht ganz an der richtigen Stelle sind in ihrem Leben.

Du beschäftigst dich schon seit 2011 mit dem Begriff. Kannst du uns erklären, was Purpose konkret bedeutet?

Anaïs Bock: Für mich ist Purpose kein Ort, wo das Gras besonders grün ist, keine Destination. Es ist ein Zustand. Genauer gesagt ist es ein Zustand mit vier Dimensionen: Du kannst es, du liebst es, die Welt braucht es und du wirst dafür bezahlt. Diese Faktoren müssen erfüllt sein, und zwar in meiner subjektiven Wahrnehmung erfüllt sein. Das kann auch der Fall sein, wenn ich gerade zwischen zwei Jobs hänge und von Hartz IV lebe. Andersherum kann ich den bestbezahlten Job der Welt haben und mich absolut nicht „on purpose“ fühlen.

Auf bietest du einen kostenlosen Purpose-Test an. Worauf basiert dieser und wie hast du diesen entwickelt?

Anaïs Bock: Ich habe während meines Studiums der Organisationspsychologie angefangen, mit Menschen in meinem Umfeld zu meinem Purpose-Diagramm zu sprechen. Dabei fand ich mehrere Dinge sehr spannend: Zum einen, dass es bei vielen Personen enorme Unterschiede zwischen der Eigen- und Fremdwahrnehmung gab. Also Personen, bei denen ich dachte, sie hätten den perfekten Job, fühlten sich oft gar nicht „on purpose“. Zum anderen fiel mir gerade bei Millennials auf, dass diese Menschen keine Lust mehr haben, einfach nur ein Rädchen im Getriebe zu sein, und stattdessen etwas anderes suchen. Gleichzeitig kamen bei manchen Befragten richtiggehend innere Widerstände auf, wenn es darum ging, über Erfüllung im Job zu sprechen.

Du bist also mittels Befragungen auf bestimmte Schemata gestoßen?

Anaïs Bock: Genau. Im Laufe der Jahre habe ich mit mehr als eintausend Selbstständigen und Führungskräften zum Thema Purpose gesprochen. Deren Aussagen habe ich geclustert und zugeordnet, und so wurde ersichtlich: Menschen, die sich innerhalb der genannten vier Dimensionen an den gleichen Stellen verorteten, hatten auch mit den gleichen inneren Widerständen zu kämpfen.

Der Purpose-Test ist sehr kompakt und Teilnehmende müssen nur wenige Fragen beantworten. Was genau wird damit gemessen?

Anaïs Bock: Die Fragen orientieren sich an den eben genannten vier Dimensionen – Fähigkeiten, Leidenschaft, Bedeutung und Bezahlung. Sie messen die aktuelle Nähe oder Entfernung zu diesen Bereichen. Dabei gibt es 15 potenzielle Resultate. Wichtig ist mir dabei zu betonen, dass das Ergebnis ein Schnappschuss deines aktuellen Zustandes ist, kein Persönlichkeitstest oder ähnliches. Ich selbst mache den Test immer wieder mal. Insbesondere wenn ich das Gefühl habe, es ist gerade der Wurm drin. So verstehe ich, wo ich im Defizit bin und welche Fragen mir weiterhelfen.

Würdest du sagen, dass Purpose Luxus ist?

Anaïs Bock: Ältere Generationen würden das vermutlich sagen. Ich glaube, dass es in der Vergangenheit Luxus war. Aber die Arbeitsrealität hat sich verändert. Die Frage nach der Work-Life-Balance ist viel präsenter geworden. Arbeit greift heute mehr in die persönliche Sphäre ein, und umgekehrt ist in der Arbeit viel mehr Raum, um die eigene Persönlichkeit einzubringen. Meine Antwort dazu ist daher ein klares Nein. Es ist genau wie Nachhaltigkeit kein Luxus. Die Unternehmen von morgen werden auch alle einen klaren Purpose haben, da bin ich mir sicher.

Wenn Purpose ein innerer Zustand ist, liegt es dann überhaupt in der Verantwortung von Arbeitgebenden, mir einen Purpose zu liefern?

Anaïs Bock: Mein Zustand ist zu einhundert Prozent meine Verantwortung, niemand anders kann mich glücklich machen. Daher wäre es aus meiner Sicht der falsche Ansatz, diese Macht einfach abzugeben. Gleichzeitig ist es so, dass Purpose auch auf Teamebene und bei Organisationen stattfindet. Auf all diesen drei Ebenen arbeite ich mit meinem Beratungsunternehmen. Auch auf Teamebene ist es wichtig, sich des eigenen Impacts bewusst zu sein: was können wir erreichen und warum machen wir das. Gleiches gilt für eine Organisation als Ganzes. Im Idealfall sind alle diese Ebenen aufeinander abgestimmt und ausgerichtet. Es gibt dazu den schönen Satz: „Purposeful people make purposeful teams that contribute to a purposeful organization”.

Hast du Tipps für alle, die sich gerade mit ihrem Purpose beschäftigen?

Anaïs Bock: Wir sprechen hier natürlich in einer privilegierten Perspektive, aber es ist mir wichtig zu sagen: Du kannst diesen Zustand erreichen, egal was in deinem Leben gerade los ist. Daneben ist es wichtig zu verstehen, dass es ein Zustand ist, kein Ziel, und diesen Zustand hat jeder verdient. Du darfst es haben, du bist es wert. Purpose ist nicht egoistisch. Ganz praktisch empfehle ich natürlich jeder Person, den Test zu machen. Zusätzlich ist es eine gute Übung, sich das Purpose-Diagramm zu nehmen und zu allen vier äußeren Dimensionen persönliche Notizen zu machen im Sinne von „was ist schon da“ und was nicht. Das ist eine gute Aufgabe, um in die Selbstreflektion zu gehen.

Über Anaïs Bock

Anaïs führt mit Let’s Work Magic ein unkonventionelles Beratungsunternehmen – ohne den üblichen Business Bullshit, wie sie selbst sagt. Sie berät Einzelpersonen, Führungskräfte, Teams und Organisationen auf internationaler Ebene zum Thema Purpose und hilft, dieses schwer greifbare Konzept verständlich und erlebbar zu machen. Hier geht es zu ihrem Purpose-Test. Anaïs lebt mit ihrem Mann und ihrem neugeborenen Sohn in Berlin.


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